Jüngste Medienberichte über die Einstellung der Unterstützung von palästinensischen und nun sogar israelischen Organisationen durch die Bundesregierung machen auch einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber bekannt, was diverse NGOs und politische Stiftungen hierzulande schon länger umtreibt: Politiker:innen haben in der Vergangenheit immer wieder klargestellt, sie seien nicht mit der Regierung Netanjahu solidarisch, sondern mit Israel als Land und mit den dort lebenden Menschen.
Doch ihre Entscheidungen im Bereich der Fördermittelvergabe kommen den Zielen dieser rechtsextremen Regierung immer wieder weit entgegen. Zu jener jüngsten, hochgradig fragwürdigen Entscheidung des Auswärtigen Amtes, den israelischen Organisationen Zochrot und New Profile die sogenannte „außenpolitische Unbedenklichkeitserklärung“ – und damit jede weitere Unterstützung – zu verweigern, gibt es eine längere Vorgeschichte, in die sich ein Blick lohnt, um den erweiterten Kontext und die politische Auseinandersetzung zu verstehen, um die es hier geht.
Schon vor dem 7. Oktober 2023 war die deutsche Position zur israelischen Politik gegenüber den Palästinenser:innen zunehmend fragwürdig geworden. Nicht zum ersten Mal warnte auch medico vor Bestrebungen der Regierung Netanjahu, die Repression nach innen auszuweiten, um israelische Kritiker:innen von Ethnonationalismus und Siedlungspolitik mundtot zu machen oder doch zumindest so zu schwächen, dass deren Möglichkeiten drastisch eingeschränkt würden. Diese Tendenzen waren Jahre vor dem geplanten Justizcoup in Israel klar und deutlich erkennbar, und ein ums andere Mal warnten israelische Stimmen vor jenen Entwicklungen.
Alleinanspruch auf Jerusalem
Dabei beschränkten sich die Ambitionen der israelischen Regierung keineswegs auf das eigene Land. Erinnert sei in dem Zusammenhang an das „Non-Paper“, das Benjamin Netanjahu 2018 an die damalige Bundesregierung unter Angela Merkel übermitteln ließ und in dem Israel von Deutschland verlangte, die Unterstützung des Jüdischen Museums in Berlin auf den Prüfstand zu stellen, weil eine Ausstellung über Jerusalem auch den nicht-jüdischen Charakter, das heißt die palästinensisch-arabische Prägung der Stadt und ihrer Geschichte umfassend mit beleuchtete. Für den jüdischen Staat, der einen Alleinanspruch auf Jerusalem erhebt und den illegal besetzten Teil der Stadt bereits vor Jahrzehnten völkerrechtswidrig annektiert hat, war das offenbar zu viel.
Daneben wurde in jenem Papier bereits vor sechs Jahren gefordert, Organisationen wie medico, Misereor, Brot für die Welt und diversen politischen Stiftungen in Deutschland die Unterstützung für ihre Partnerschaften mit aus israelischer Regierungssicht politisch unbequemen Organisationen vor Ort zu streichen. Nach Verständnis der Regierung Netanjahu zählte hierzu unter anderem die anerkannte israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem. Sie dokumentiert Rechtsbrüche der israelischen Armee und von Siedlern gegen die palästinensische Bevölkerung.
Die Bundesregierung unter Angela Merkel setzte ihre Unterstützung dennoch fort, wenn sie auch sonst keine wirkungsvollen Maßnahmen gegen den kontinuierlichen Landraub im Westjordanland oder die rechtswidrige Abriegelung des Gazastreifens ergriff. Professor Peter Schäfer aber, ein weltweit anerkannter Judaist und damals Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, sah sich nur wenige Monate später gezwungen, seinen Rücktritt einzureichen, weil eine seiner Angestellten es gewagt hatte, über den offiziellen Account des Museums bei Twitter einen Artikel aus der Zeitung taz zur Lektüre zu empfehlen, der sich kritisch mit der Anti-BDS-Resolution des Deutschen Bundestages befasste, die im Mai 2019 verabschiedet wurde und durch die Mehrheit der deutschen Parlamentarier:innen in einem geschichtsvergessenen Beschluss den antisemitischen Charakter der Boykottbewegung feststellte. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages stellte fest: Wäre dieser Beschluss ein Gesetz, wäre er grundgesetzwidrig.
Wenn nicht antisemitisch, dann terroristisch
Tatsächlich gab es in der Förderpraxis von Partnerorganisationen in den besetzten palästinensischen Gebieten auch nach dem umstrittenen BDS-Beschluss zuerst nur wenige Veränderungen, auch wenn einzelne Organisationen schon damals keine weitere Unterstützung erhielten oder diese ausschlugen, weil sie sich weigerten, ihre Prinzipien für die aus Berlin gestellten politischen Bedingungen zu verraten. Unterdessen verschob sich in Israel seitens der Regierung und mit ihr verbündeter Organisationen der Schwerpunkt in der Agitation gegen palästinensische Organisationen: Sollten sie bislang vor allem über ihre Unterstützung des Boykottaufrufs zur Beendigung der Besatzung als antisemitisch dargestellt werden, verlagerten sich die Anschuldigungen zunehmend darauf, sie als verdeckte Frontorganisationen der PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) darzustellen. Die Partei wird in der Europäischen Union und in den USA bis heute als terroristische Organisation aufgelistet.
Strafrechtlich relevante Beweise für ihre Anschuldigungen blieb die israelische Regierung schuldig, und selbst ernannte Watchdog-Organisationen wie der sogenannte NGO Monitor arbeiteten routinemäßig mit verzerrten Darstellungen, Auslassungen, Falschaussagen und nach dem Prinzip der Kontaktschuld. Auch wiederholte Verleumdungen zeitigten immer noch nicht das gewünschte Ergebnis: Organisationen finanziell auszutrocknen, die lautstark die Siedlungspolitik kritisierten, israelische Menschenrechtsverletzungen dokumentierten und – im Gegensatz zur israelischen Regierung – mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) kooperierten, da sie nichts zu verbergen hatten. Geberländer wie die Bundesrepublik Deutschland unterstützten die meisten Organisationen weiterhin.
Im Oktober 2021 erhöhte der israelische Staat den Druck auf die in seinem Visier stehenden Organisationen drastisch, indem er sechs von ihnen zu Terrororganisationen erklärte. Mit der Prüfung der israelischen Vorwürfe ließ sich die Bundesregierung damals reichlich Zeit. Im Juli 2022 erklärten dann aber neun EU-Mitgliedsstaaten, darunter die BRD, dass sie auch nach sorgfältiger Prüfung der israelischen Vorwürfe keinen Anlass für eine Änderung ihrer Unterstützung der betroffenen Organisationen sähen. Israelisches Militär brach nur wenige Wochen nach dieser Erklärung in einer konzertierten Aktion in die Büros der Organisationen ein, beschlagnahmte Material und schweißte deren Türen zu. Die Außenministerien derselben neun EU-Mitgliedsstaaten äußerten sich dazu kritisch.
Für die israelische Regierung blieb ihr Vorgehen wie gewohnt vollkommen folgenlos. In Deutschland kam es mit der Zeit, auch dies ist aus Medienberichten bekannt, zu einem Stillstand in der Angelegenheit: Im Auswärtigen Amt, dem Entwicklungs- und dem Innenministerium herrschten unterschiedliche Einschätzungen über die Glaubwürdigkeit der israelischen Anschuldigungen vor. Im Ergebnis wurden Projektförderungen eingefroren, liefen aus, wurden nicht erneuert, obwohl den von Israel beschuldigten Organisationen keinerlei Fehlverhalten nachgewiesen worden war. Der Einsatz von Terrorismusvorwürfen zur Erreichung eines politischen Ziels hatte seine Wirkung nicht verfehlt.
Solidarität mit Israel?
Nach den Anschlägen des 7. Oktober 2023 hat die wiederholt proklamierte deutsche Solidarität mit Israel wahrlich absonderliche Formen angenommen. Die Bundesregierung liefert unverdrossen weiterhin Waffen an ein Land, dessen Regierung und Streitkräfte im Verdacht stehen, einen Genozid zu begehen, die sich erwiesenermaßen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig machen, die den Norden Gazas ethnisch gesäubert haben und gegen deren Premierminister und ehemaligen Verteidigungsminister Haftbefehle des IStGH vorliegen.
Schwerwiegende israelische Vorwürfe gegenüber dem UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge UNRWA lösten Untersuchungen aus, die – es kommt einem nun schon bekannt vor – die weitgehenden Anschuldigungen nicht bestätigen konnten. Die israelische Regierung beschloss dennoch, die UNRWA als wichtigsten humanitären Akteur in Gaza und im Westjordanland zu verbieten. Zurzeit unternimmt sie weitere Schritte, um auch die Präsenz und Arbeitsfähigkeit internationaler Hilfsorganisationen drastisch einzuschränken – all das allem Anschein nach ohne entschiedene Gegenwehr internationaler Geber, die die Arbeit der Organisationen unterstützen.
Nach der Überprüfung des deutschen Engagements in den besetzten palästinensischen Gebieten kam man in Berlin offenbar zu dem Schluss, dass es politisch bequemer wäre, die von der israelischen Terrorismuseinstufung betroffenen palästinensischen Organisationen endgültig fallen zu lassen. Die deutsche „Solidarität“ geht aber noch weiter, wie unter anderem die Deutsche Welle, taz und neues deutschland berichtet haben: Vom Entzug der „außenpolitischen Unbedenklichkeit“ und damit bundesdeutscher Fördermittel sind mittlerweile auch palästinensische Organisationen betroffen, die selbst laut dem israelischen Verteidigungsministerium keine „Terrororganisationen“ sind.
Zudem waren mehrere israelische Organisationen – zumindest vorübergehend – ebenfalls betroffen, obwohl sie ein klar menschenrechtlich motiviertes Mandat verfolgen. Das ist vielleicht insofern nicht sonderlich überraschend, als sich auch die Bundesregierung nicht wirklich an internationales Recht gebunden zu fühlen scheint, wenn es um Israel und die Gültigkeit von Menschenrechten bzw. dem Völkerrecht auch für Palästinenser:innen geht. Die regelbasierte internationale Ordnung, für die Deutschland immer wieder vorgibt einzutreten, wird damit ebenso ad absurdum geführt wie die postulierte universelle Gültigkeit der Menschenrechte.
Die jüngsten Opfer dieser verfehlten Positionierung, die Israel weder nützt noch das Land solidarisch unterstützt, sondern die sich für die Ziele der rechtsextremen Regierungskoalition unter Netanjahu zum Erfüllungsgehilfen macht, sind die Organisationen New Profile und Zochrot. Letztere hat eine Stellungnahme zur Streichung der deutschen Unterstützung herausgegeben. Gegen diese Art der von der deutschen Staatsräson, dem umstrittenen Bundestagsbeschluss „Nie wieder ist jetzt“ und vorauseilendem Gehorsam geprägten Politik hat der deutsche Träger der jüngst betroffenen Projekte, die Kurve Wustrow, eine Petition initiiert, in der der Bundestag dazu aufgefordert wird, sich gegenüber der Regierung für die Rücknahme der Förderstopps einzusetzen. medico gehört zu den Erstunterzeichnern dieser Petition, nicht nur weil zwei unserer Partnerorganisationen davon betroffen sind, sondern weil dies, wie der israelische Holocaustforscher Amos Goldberg bereits 2019 eindrücklich warnte, untrügliche Anzeichen für Demokratieabbau und autoritäre Tendenzen auch in Deutschland sind.
Im zunehmend aussichtslos erscheinenden Nahostkonflikt besteht medico an der Seite grenzüberschreitender palästinensischer und israelischer Initiativen darauf, dass das Recht auf menschenwürdige Lebensverhältnisse und auf Gesundheit für alle Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan gilt.