Israel

Beweise für Folter und Missbrauch

03.03.2025   Lesezeit: 7 min  
#gaza  #gesundheit 

medico-Partner Physicians for Human Rights Israel prangert Haftbedingungen medizinischen Personals aus Gaza in Israel an.

Zwischen Juli und Dezember 2024 besuchten Anwälte der langjährigen medico-Partnerorganisation Physicians for Human Rights Israel (PHRI) mehr als 24 Gesundheitsarbeiter aus dem Gazastreifen, vor allem Ärzte, in Haftanstalten des Militärs und des Israel Prison Service (IPS). In einem 21-seitigen Bericht hat PHRI die Haftbedingungen analysiert. Außerdem liegen 61 Seiten mit Zeugnissen von (ehemals) inhaftiertem medizinischem Personal vor. Sowohl der vollständige Bericht als auch die gesammelten Zeugnisse können am Ende der Seite heruntergeladen werden.

Die Schlussfolgerung des Berichts "Unlawfully Detained, Tortured and Starved: The Plight of Gaza's Medical Workers in Israeli Custody" zeichnet ein vernichtendes Bild von den Bedingungen in israelischen Haftanstalten. Wir haben einige der Schlussfolgerungen aus dem Bericht entnommen und stellen sie hier gekürzt in deutscher Übersetzung vor:

„Nach Angaben von Healthcare Workers Watch hat das israelische Militär bis September 2024 über 250 Beschäftigte des Gesundheitswesens im Gazastreifen festgenommen. Dazu gehört ein breites Spektrum an medizinischem Personal und Hilfskräften, von denen viele inmitten des andauernden Krieges lebensrettende Pflege leisten. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts befinden sich noch über 180 Personen in Haft, ohne dass klar ist, wann oder ob sie freigelassen werden.

Die im Gazastreifen festgenommenen Gesundheitsarbeiter:innen sind gewaltsam verschwunden [d. h. sie wurden Opfer des Verbrechens des Verschwindenlassens; Anm. medico], so dass ihr Aufenthaltsort, ihr Zustand und ihr Schicksal unbekannt blieben, während ihre Rechtsvertreter sie nicht auffinden oder besuchen konnten. Nach mehr als sechs Monaten völliger Isolation gelang es Menschenrechtsorganisationen endlich, einige der Inhaftierten ausfindig zu machen und zu besuchen.

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Seit Oktober 2023 sind über 70 Gefangene in israelischem Gewahrsam gestorben. Unter den Getöteten sind mindestens vier palästinensische Mediziner aus dem Gazastreifen: Dr. Adnan Al Bursh, Dr. Iyad Al Rantisi, Dr. Ziad Al-Dalou und der Sanitäter Hamdan Abu Anaba.

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Von den 24 medizinischen Mitarbeitern, die von den PHRI-Anwälten aufgesucht wurden, wurden 20 während der Ausübung ihrer medizinischen Tätigkeit verhaftet – ein direkter Verstoß gegen mehrere Bestimmungen des humanitären Völkerrechts, die die Fähigkeit medizinischen Personals schützen sollen, lebensrettende Aufgaben ohne Angst oder Einmischung zu erfüllen. Die übrigen vier wurden entweder zu Hause, beim Passieren von Kontrollpunkten oder in Vertriebenenlagern verhaftet. Alle verhafteten Mediziner berichteten, dass sie extremer Gewalt und Demütigungen ausgesetzt waren und sich ausziehen mussten, auch auf dem Krankenhausgelände. Sie wurden stunden- bis tagelang in Handschellen und mit verbundenen Augen gehalten, sowohl im Gazastreifen als auch während des Transports zu israelischen Haftanstalten.

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Diese und weitere Zeugenaussagen zeigen, dass palästinensisches medizinisches Personal in Gaza unter Verletzung des humanitären Völkerrechts festgenommen wurde. Ihre Fähigkeit, Verwundete zu versorgen, wurde nicht nur behindert, sondern gänzlich unterbunden, trotz der Verbote in Artikel 24 der Ersten Genfer Konvention und Artikel 3 der Dritten und Vierten Genfer Konvention. Es gibt auch Belege dafür, dass sie während ihrer Verhaftung einer erniedrigenden, grausamen und unmenschlichen Behandlung ausgesetzt waren, wobei sie aufgrund ihres Berufs noch stärker ins Visier genommen wurden. Diese systematische Behandlung, die sich wie ein roter Faden durch alle gesammelten Zeugenaussagen zieht, könnte als eine Form der außergerichtlichen Bestrafung angesehen werden. Dies stellt eine völlige Missachtung der Verpflichtungen in Bezug auf die Behandlung geschützter Gruppen im Rahmen des humanitären Völkerrechts dar, einschließlich der in den Artikeln 12 und 15 des Ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen festgelegten Pflichten, die eine menschenwürdige Behandlung garantieren und Missbrauch und außergerichtliche Bestrafung verbieten.

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Die Verhaftungsverfahren des israelischen Militärs sind grundsätzlich nicht korrekt, insbesondere wenn es um palästinensisches medizinisches Personal im Gazastreifen geht, von dem die meisten in Krankenhäusern verhaftet wurden. Die bei diesen Verhaftungen beobachteten Muster geben Anlass zu ernsten Bedenken hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit und lassen auf ein systematisches Vorgehen schließen, das nicht nur gegen das humanitäre Völkerrecht, sondern auch gegen grundlegende Menschenrechte verstößt.

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Aus den uns vorliegenden Zeugenaussagen geht eindeutig hervor, dass die israelischen Behörden bei den Verhören mehrerer medizinischer Mitarbeiter im Gazastreifen sowohl psychischen als auch physischen Zwang ausgeübt haben, um durch Drohungen und Gewalt Informationen zu erhalten. Die Anwendung von Missbrauch oder Zwang zur Erlangung von Informationen während der Verhöre ist nach dem humanitären Völkerrecht streng verboten. Artikel 32 der Vierten Genfer Konvention verbietet ausdrücklich die Anwendung von physischem oder psychischem Zwang gegen geschützte Personen, um Informationen zu erlangen. Diese Bestimmung dient dem Schutz von Gefangenen vor Folter und anderer grausamer und unmenschlicher Behandlung während der Haft.

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Nach monatelanger Inhaftierung wurde gegen die meisten Gesundheitsarbeiter nie offiziell Anklage erhoben. In allen Fällen wurde ihnen ihr Recht auf anwaltlichen Beistand verweigert. Bei der Verhaftung von Palästinensern im Gazastreifen, darunter auch medizinisches Personal, haben sich die israelischen Behörden auf das Gesetz über ‚ungesetzliche Kämpfer‘ berufen, das zunächst auf libanesische Staatsangehörige angewandt wurde, die bei [früheren; Anm. medico] Gefangenenaustauschen als Faustpfand eingesetzt wurden. Diese Einstufung beraubt palästinensische Inhaftierte aus dem Gazastreifen ihres Status als Kriegsgefangene, verweigert ihnen Zugang zu Rechtsbeistand für längere Zeit nach der Verhaftung und verzögert richterliche Anhörungen verzögert. Infolgedessen ist die entscheidende Aufsicht bezüglich ihrer Festnahme und Haftbedingungen stark eingeschränkt.

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Hinsichtlich des Verdachts auf das Aushungern von Gefangenen konsultierte PHRI einen klinischen Ernährungswissenschaftler, der die Bedingungen – insbesondere in Ofer – untersuchte und eine Experteneinschätzung abgab. Die Bewertung bestätigte, dass die Ernährung der Gefangenen sowohl in Bezug auf die Kalorienzufuhr als auch auf wichtige Nährstoffe völlig unzureichend ist. Den Mahlzeiten mangelt es an Proteinen, Fetten, Kohlenhydraten, Vitaminen und Mineralien, so dass sie den grundlegenden Nährstoffbedarf eines erwachsenen Menschen nicht decken. In der Stellungnahme des Ernährungswissenschaftlers wird die alarmierende Diskrepanz zwischen der Ernährung der Häftlinge und den empfohlenen Ernährungsstandards hervorgehoben, was erhebliche Bedenken hinsichtlich des Potenzials für schwerwiegende und irreversible Gesundheitsschäden aufkommen lässt.

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Diese Politik des Aushungerns ist eine Form der grausamen Behandlung und dient den israelischen Behörden als Mittel der Folter. Im Kern handelt es sich um einen schweren Verstoß gegen die grundlegenden Bestimmungen des humanitären Völkerrechts über die Behandlung von Gefangenen.

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Inhaftiertes medizinisches Personal mit vorbestehenden gesundheitlichen Problemen sowie diejenigen, deren Gesundheitszustand sich während der Haft verschlechterte, beschreiben eine allgegenwärtige medizinische Vernachlässigung. [...] Die vorliegenden Zeugenaussagen deuten darauf hin, dass die israelischen Behörden als Inhaftierungsorgane ihre Verantwortung gegenüber den Inhaftierten bewusst missachten und die Verweigerung der medizinischen Versorgung als eine Form der Folter einsetzen. Die Komplizenschaft des ärztlichen Personals in den Hafteinrichtungen bei der systematischen Verweigerung der medizinischen Behandlung von Gefangenen verstößt gegen die Grundprinzipien ihres Berufsstandes und verschärft die ethischen Verstöße, die hier im Spiel sind. Die Missachtung dieser Prinzipien verschlimmert nicht nur die physischen und psychischen Schäden, die den Gefangenen zugefügt werden, sondern birgt auch die Gefahr irreversibler Schäden. Einige Gefangene sind bereits in israelischem Gewahrsam gestorben.

Durch die Missachtung umfangreicher Beweise von Menschenrechtsorganisationen, die israelischen Gerichten und Behörden vorgelegt wurden, und durch die Zulassung von Missbrauch und Folter schafft der Staat ein Umfeld der Straflosigkeit, in dem diese Handlungen normalisiert werden, was die Menschenrechtsverletzungen weiter verschärft. Dass Täter:innen nicht zur Rechenschaft gezogen werden, unterstreicht den systemischen Charakter des Problems, denn die Opfer sehen sich ständigen Verstößen ausgesetzt und haben keine Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen. Diese vorsätzliche Missachtung einer menschenwürdigen Behandlung und des Rechtsschutzes – wie sie sowohl nach nationalem als auch nach internationalem Recht vorgeschrieben sind – sowie der gravierende Mangel an Aufsicht zeigen, dass die israelischen Behörden nicht gewillt sind, die Übergriffe zu beenden, und bestätigen ihre Mitschuld an diesen rechtswidrigen Handlungen.“


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