Palästina

Unrecht, das nichts kostet

19.08.2022   Lesezeit: 4 min

Das israelische Militär stürmt die Büros von sieben Organisationen der palästinensischen Zivilgesellschaft. Zwei dieser Organisationen sind langjährige Partner von medico international.

Von Riad Othman

In der Nacht vom 17. auf den 18. August brach das israelische Militär in die Büros von sieben palästinensischen Menschenrechtsorganisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft im besetzten Westjordanland ein, beschlagnahmte Computer, Server und Akten, schweißte deren Eingänge zu und ordnete ihre Schließung an. Zwei von ihnen sind langjährige Partner von medico international: einerseits die Menschenrechtsorganisation Al Haq, eine der ältesten und renommiertesten in den besetzten palästinensischen Gebieten, die Menschenrechtsverletzungen der Besatzungsmacht genauso untersucht wie die der palästinensischen Selbstverwaltung unter Mahmoud Abbas. Ihre Dokumentation israelischer Menschenrechtsverletzungen und die Zusammenarbeit mit entsprechenden Körperschaften auf internationaler Ebene wird im Sprachgebrauch der israelischen Regierung als „lawfare“ bezeichnet, also als ein kriegerischer Akt mit den Mitteln des Rechts, und wird deshalb bekämpft. Bei dem anderen Partner handelt es sich um die Bauernorganisation Union of Agricultural Work Committees (UAWC), die gegen den beständigen Druck der israelischen Siedler und Armee die bäuerliche Landwirtschaft vor allem in den vollständig von Israel kontrollierten C-Gebieten der West Bank (und im Gazastreifen) fördert, seit mehreren Jahren auch mit Mitteln des Auswärtigen Amtes. 

Dem war im Oktober 2021 bereits die Einstufung von Al Haq, UAWC und vier weiteren Menschenrechtsorganisationen als Terrorgruppen durch den israelischen Verteidigungsminister Benny Gantz vorausgegangen. Das war der Anlass, den Umgang mit dem Terrorismusbegriff in einem etwas erweiterten Zusammenhang zu kommentieren. Drei von ihnen hatten gegen die Einstufung Rechtsmittel in Israel eingelegt, eine vierte gegenüber der Militärverwaltung in der West Bank das Verfahren zum Widerspruch begonnen. Am Vortag der Einbrüche wurden drei der Organisationen die Ablehnungsschreiben ihres Einspruchs übermittelt. In derselben Nacht drang die Armee in die Büroräume aller sieben Organisationen ein.

Keine Beweise, viel Repression

Nach der israelischen Entscheidung von Oktober 2021 hatten Geberregierungen ihre Unterstützung eingefroren und monatelang Dossiers über die Organisationen geprüft, die der israelische Geheimdienst erstellt und übergeben hatte. Nach einhelliger Auffassung der Regierungen mehrerer EU-Mitgliedsstaaten, darunter die Deutschlands, Dänemarks, Frankreichs und Irlands, sowie der USA, Norwegens und der Schweiz, bzw. der von ihnen mit der Analyse betrauten Geheimdienste enthielten die Dossiers allerdings keinerlei Beweise. Zu diesem Schluss kam auch die oberste Antikorruptionsbehörde der EU, das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung, kurz OLAF. Folgerichtig gaben die Regierungen, die seitens Israels dazu aufgefordert worden waren, jegliche Unterstützung einzustellen, in den vergangenen Wochen und Monaten sukzessive bekannt, die Finanzierung der palästinensischen Zivilgesellschaft fortzusetzen. Hätte es einen Zweifel an der Stichhaltigkeit der Beweislage gegeben, hätten sich diese Regierungen kaum zu dem Schritt entschlossen, alleine schon deshalb nicht, um nicht gegen die geltende Anti-Terror-Gesetzgebung in der EU und den einzelnen Mitgliedsstaaten zu verstoßen.

Nach dieser eindeutigen Absage nahm die israelische Regierung die offenbar politisch motivierten und unbewiesenen Anschuldigungen jedoch nicht zurück, sondern plante anscheinend vielmehr den nächsten Schlag gegen die betroffenen Organisationen. Vermutlich ging dem gestrigen Vorgehen eine sorgfältige außenpolitische Risikoabwägung ebenso voraus wie die operationale Planung der nächtlichen Einbrüche durch die israelische Armee (und vermutlich auch den Inlandsgeheimdienst). Es ist davon auszugehen, dass die israelische Regierung die geäußerten außenpolitischen Positionen verbündeter Regierungen gezielt missachtet, indem sie legitime Organisationen angreift und deren Arbeit für palästinensische Menschenrechte (auch das Recht auf Zugang zu den eigenen Ressourcen, wie im Falle UAWCs) unmöglich zu machen versucht. Neu ist das nicht. Mahnende Worte europäischer Regierungen gegenüber der israelischen Regierung, beispielsweise im Bereich der Siedlungspolitik, stoßen regelmäßig auf taube Ohren, obwohl sich die Politik der Landnahme nicht mit Sicherheitsinteressen des israelischen Staates rechtfertigen lässt. Die politische Zielsetzung gegenüber den betroffenen Organisationen ist klar. Die Dokumentation von Rechtsbrüchen soll erschwert, konkreter, gewaltloser Widerstand durch Projekte vor Ort soll gebrochen werden. Nebenbei werden unbequeme kritische Stimmen gegenüber der Palästinensischen Autonomiebehörde, ihrem autokratischen Präsidenten und dem repressiven palästinensischen Sicherheitsapparat geschwächt, die allesamt den Status quo zugunsten der israelischen Politik abzusichern helfen.

In den Beziehungen zu den befreundeten Staaten, die progressive Kräfte in der palästinensischen Gesellschaft unterstützen möchten, hat die israelische Regierung mit ihren jüngeren und jüngsten Aktionen nichts zu gewinnen – aber eben auch nichts zu verlieren, solange es bei Ermahnungen bleibt. Und genau dieses Kalkül scheint den Handlungen vor Ort zugrunde zu liegen: Solange es mit Besatzung und Siedlungspolitik, mit der Missachtung von internationalem Recht und der Unterdrückung legitimer palästinensischer Organisationen mehr zu gewinnen als zu verlieren gibt, solange die Vorenthaltung elementarster Rechte gegenüber der palästinensischen Bevölkerung und die Verweigerung des Rechts auf Selbstbestimmung den israelischen Staat nichts kostet, solange wird sich die Politik des Unrechts vor Ort auch nicht ändern.

Riad Othman

Riad Othman arbeitet seit 2016 als Nahostreferent für medico international von Berlin aus. Davor war er medico-Büroleiter für Israel und Palästina.

Twitter: @othman_riad


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