Zwei der aktuell betroffenen Organisationen sind medico-Partnerinnen: die Union of Agricultural Work Committees (UAWC) und die Menschenrechtsorganisation Al Haq.
Die UAWC unterstützt palästinensische Bauern- und Hirtenfamilien unter anderem mit Know-how und Saatgut, beim Bau von Bewässerungsleitungen und Regensammelbecken zur landwirtschaftlichen Nutzung sowie mit Rechtsbeistand, falls die israelische Besatzungsverwaltung Land enteignen will. UAWC ist außerdem Teil der internationalen Landarbeiter- und Bauernbewegung Via Campesina und setzt sich für das Recht von Menschen ein, den Zugang zu den eigenen Ressourcen und deren Nutzung zu kontrollieren. Al Haq dokumentiert Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsbrüche. Ihre Arbeit befasst sich mit (möglichen) Verbrechen israelischer und palästinensischer Organe.
Cui bono?
Unsere Partner und die anderen betroffenen Organisationen, die mit friedlichen Mitteln in einem politischen Konflikt agieren, kommen mit ihrer Arbeit regelmäßig den Interessen der Siedlerbewegung und der israelischen Armee in die Quere, die ihrerseits eine weitere Landnahme und die uneingeschränkte Kontrolle des Zugangs zu Ressourcen anstreben. So soll die verbliebene palästinensische Bevölkerung aus rund 60 Prozent der besetzten West Bank nach und nach verdrängt werden. In jenen C-Gebieten sind die Palästinenser:innen gegenüber den völkerrechtswidrig angesiedelten Bürger:innen Israels längst in der Minderheit.
Seit Jahren sind die nun Betroffenen von regierungsnahen israelischen Organisationen wie NGO Monitor oder dem Israel Law Center (Shurat HaDin) und ihren Verbündeten im Ausland (zum Beispiel den UK Lawyers for Israel) mit dem Vorwurf belegt worden, Terrorismus zu unterstützen. Immer wieder hatte dies auch zur Folge, dass sich Regierungen in Geberländern durch die mediale Berichterstattung oder Anfragen aus ihren Parlamenten und Haushaltskontrollgremien so sehr unter Druck gesetzt sahen, dass sie die so Beschuldigten, ohne Beweise erhalten zu haben, teils langwierigen Untersuchungen und intensiven vertieften Prüfungen unterwarfen. Im Mindesten aber kamen sie immer wieder unter Rechtfertigungszwang für die Unterstützung einer Arbeit, die in anderen globalen Kontexten völlig unumstritten war.
Ein direktes Ergebnis dieses Vorgehens war, dass in den betroffenen Organisationen personelle und finanzielle Ressourcen in erheblichem Umfang von der eigentlichen Arbeit abgezogen und der Verteidigung gegen Angriffe und verleumderische Anschuldigungen gewidmet werden mussten. In manchen Fällen gingen Geldgeber so weit, die Unschuldsvermutung faktisch außer Kraft zu setzen und die Unterstützung trotz fehlender Beweise zu suspendieren oder gar einzustellen.
Neben diesen konkreten Hindernissen für die eigentliche Arbeit gehen solche Angriffe immer auch mit einem Reputationsverlust einher, der das spätere Einwerben internationaler Unterstützung erschwert – und zwar selbst dann, wenn sich alle Vorwürfe längst als haltlos erwiesen haben. Tatsächlich zitierte ein Artikel in der israelischen Zeitung Haaretz vom 1. November 2021 eine Quelle aus israelischen Sicherheitskreisen mit der Aussage, dass der Hauptgrund für die zuletzt vorgenommene Einstufung der sechs Organisationen als terroristisch gewesen sei, ein Ende der finanziellen Unterstützung ihrer Arbeit zu erreichen.
Mit der Intensivierung der Angriffe in den letzten Jahren und der seit geraumer Zeit offen zutage tretenden direkten Beteiligung israelischer Regierungsstellen wie des inzwischen stillgelegten „Ministeriums für strategische Angelegenheiten und öffentliche Diplomatie“ sind die Vorwürfe zu einem echten Politikum geworden. Die Äußerungen beschädigender Anschuldigungen sind nicht mehr nur die Meinungen einzelner nationalistischer Organisationen, die mitunter von denselben Kräften unterstützt werden wie die Siedlerbewegung selbst, sondern sie sind zu diplomatischen Akten geworden, zu offiziellen außenpolitischen Handlungen des israelischen Staates, mit denen er versucht, die Beziehungen Deutschlands und anderer Staaten zu den progressiven Teilen der palästinensischen Gesellschaft zu kontrollieren und zu beschädigen.
Vor der jüngsten Eskalation hatte es bereits im Mai den Versuch gegeben, insbesondere EU-Mitgliedsländer dazu zu bringen, die Unterstützung einzustellen. In einem 74-seitigen Geheimdossier, das der israelische Inlandsgeheimdienst erstellt hatte, wollte die israelische Regierung hieb- und stichfeste Beweise für ihre Vorwürfe liefern. Das Problem war nur: Das Dossier enthielt keine Beweise, wie am 4. November in israelischen Medien berichtet wurde. Peinlicher noch, die Vernehmungsprotokolle, die dem Journal +972, der hebräischen Schwesterpublikation Local Call und dem US-amerikanischen The Intercept vorliegen und weit über das Dossier hinaus gehen, gaben gar nicht das Bild ab, das die israelische Regierung gegenüber europäischen Regierungen zeichnete. Letztere hatten vor kaum sechs Monaten selbst dieses Zerrbild für nicht überzeugend befunden, ohne um die im Dossier enthaltenen Übertreibungen und Falschdarstellungen zu wissen. Das Ziel ist klar: Der konkrete Widerstand gegen Landraub durch Organisationen wie UAWC soll ebenso gebrochen werden wie die Dokumentation der Verbrechen der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik und die Vorbereitung ihrer künftigen strafrechtlichen Verfolgung durch Organisationen wie Al Haq.
Palästinensische Menschenrechte? Schon länger unpopulär
Auch andere Organisationen dokumentieren seit Jahrzehnten Menschenrechtsverletzungen und (mögliche) Verbrechen der israelischen Streitkräfte und des Staates. Die israelische B’Tselem und der in Gaza ansässige medico-Partner Al Mezan Center for Human Rights leiteten jahrelang stetig Informationen über konkrete Verdachtsfälle von Verbrechen der Armee dem israelischen Militärgeneralanwalt zu, teilten Zeugenaussagen und stellten weitere Dokumentation zur Verfügung, um eine interne Strafverfolgung auf nationaler Ebene zu ermöglichen. Dies hat in nahezu keinem Fall zu Gerechtigkeit für die Opfer, ja in den meisten Fällen nicht einmal zur Eröffnung von Untersuchungen geführt. B’Tselem gab deshalb im Mai 2016 bekannt, die Zusammenarbeit mit dem Strafverfolgungssystem des israelischen Militärs einzustellen. Al Mezan hat bis auf den heutigen Tag diese Praxis nicht aufgegeben, auch deshalb nicht, weil sie für Opfer in Gaza ein direkter Ansprechpartner sind und jede Möglichkeit nutzen wollen, um Gerechtigkeit für sie zu erlangen.
Mit dem Beitritt Palästinas zum Römischen Statut im Januar 2015, knapp ein halbes Jahr nach dem Gaza-Krieg 2014, wurde der zusätzliche Weg frei, mit dem Gang nach Den Haag Gerechtigkeit vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu suchen. Hierfür gilt das sogenannte Subsidiaritätsprinzip: Nur wenn vor örtlichen Gerichten der Rechtsweg nachweislich ausgeschlossen oder von diesen faire Verfahren nicht zu erwarten sind, kann sich der Internationale Strafgerichtshof überhaupt solcher Fälle annehmen. Und daran arbeiteten beide medico-Partner, Al Mezan und Al Haq. Wir täten gut daran, uns genau zu erinnern, dass diese beiden Menschenrechtsorganisationen just in jener Zeit von einer bedrohlichen Verschärfung der Kampagnen gegen ihre Arbeit bis hin zu Morddrohungen berichteten. Der Einsatz für palästinensische Menschenrechte war schon damals nicht beliebt.
Von bedrohlichen Kampagnen waren übrigens nicht nur unsere palästinensischen, sondern auch unsere israelischen Partnerorganisationen betroffen. Kampagnen gegen Organisationen wie Breaking the Silence wurden auch von Mitgliedern des israelischen Kabinetts mitgetragen und öffentlich verstärkt. Nestbeschmutzer und Landesverräter die einen, Terroristen die anderen.
Mit Willkür zum Ziel
Die Strategie, sich der Diskussion berechtigter Anliegen der politischen Gegner zu entziehen, indem sie unterschiedslos mit Terror gleichgesetzt werden, ist kein Alleinstellungsmerkmal israelischer Regierungen, aber sie ist dort seit Jahrzehnten methodisch benutzt worden. Das bedeutet nicht, dass es keinen palästinensischen Terror gegeben hätte; natürlich gab es den. Es bedeutet im gegebenen Kontext aber vor allen Dingen, dass die politische Organisation der unterworfenen Bevölkerung unterbunden werden sollte – und zwar unabhängig von der Gewaltbereitschaft der jeweiligen Organisationsform. Davon zeugen beispielsweise das militärisch dekretierte Versammlungsverbot, das bis heute in Kraft ist, oder die unmittelbar nach dem Krieg von 1967 erfolgten völkerrechtswidrigen zwangsweisen Deportationen derjenigen, die der israelische Staat als palästinensische politische Führung identifiziert hatte. Die alltägliche staatlich ausgeübte Gewalt, um der palästinensischen Bevölkerung klar zu machen, dass Gegenwehr oder Gewalt mit noch mehr Gegengewalt beantwortet werden wird, gehört ebenso zu einem vollständigen Bild.
Dabei sollten wir nicht vergessen, dass die israelische Regierung ständig mit „Terroristen“ verhandelt und Abkommen mit ihnen unterzeichnet hat: Das israelische Justizministerium und das Verteidigungsministerium führen die PLO ebenso wie die Fatah bis auf den heutigen Tag in ihren Listen terroristischer Organisationen. Mit ersterer haben Shimon Peres und Yitzhak Rabin das Osloer Abkommen unterzeichnet und dafür den Friedensnobelpreis erhalten. Mit letzterer verbindet den Staat Israel eine Sicherheitskooperation, da die Fatah die Autonomiebehörde und ihren repressiven Sicherheitsapparat trägt und dominiert – übrigens mit finanzieller Unterstützung aus dem westlichen Ausland.
Wenn die Fatah einen Polizeistaat im Westjordanland schafft, der nach innen der eigenen Machtabsicherung dient und für Israel die Funktion erfüllt, dass sich die Besetzten vor allem selbst überwachen und dabei den Expansionsinteressen des israelischen Staates nicht im Weg stehen, so spielt deren Status als Terrororganisation keine Rolle. Wenn das System Oslo den Status quo nicht in Frage stellt und die Palästinensische Autonomiebehörde oder auch die PLO sogar der laufenden Verschlechterung zusehen, solange nur die eigene Macht und damit verbundene Privilegien unangefochten bleiben, stört sich in Tel Aviv niemand an der eigenen Terrorliste. Auch in den Geberländern nicht, denn wenig wird so hoch geschätzt wie Stabilität, besonders in dieser Region und besonders in dieser Zeit.
Mit der Entscheidung des Militärgouverneurs der West Bank, am 3. November eine entsprechende Order zu unterzeichnen, die den Beschluss des Verteidigungsministers ins System des Militärregimes für das besetzte Gebiet überführt, ist nun alles möglich: Den Betroffenen drohen willkürliche Inhaftierung, die Beschlagnahmung von Vermögenswerten der Organisationen und die dauerhafte Schließung ihrer Büros.
Wenn nun aus politischen Gründen diejenigen als Terroristen gebrandmarkt werden, deren Stimmen gegen Landraub und Siedlungspolitik genauso aufbegehren wie gegen die Unterdrückung durch die palästinensische Obrigkeit, dann verdienen sie unsere Solidarität und den Schutz der EU und ihrer Mitgliedsstaaten. Ist die Frage, was in dieser Lage zu tun sei, wirklich so schwer zu beantworten? Sollten europäische Regierungen denjenigen in der palästinensischen Zivilgesellschaft vertrauen, die ihre Arbeit tun und akribisch dokumentieren oder dem Staat einen Vertrauensvorschuss zubilligen, dessen Vertreter:innen seit Jahren immer wieder unbewiesene Anschuldigungen erheben, während sie unter aller Augen die Zwei-Staaten-Regelung begruben und wiederholt öffentlich ausschlossen? Wenn diese Wahl tatsächlich so schwer fällt, sieht es für ein künftiges demokratisches Gemeinwesen in Palästina noch einmal düsterer aus, als ohnehin schon.