Israel/Palästina

Blumenstrauß als Drohung

05.09.2016   Lesezeit: 5 min

Anonyme Angriffe gegen palästinensische Menschenrechtsorganisationen in Europa. Aber kein Prozess ohne Widersprüche, die es zu nutzen gilt.

Von Amira Hass

Er stellt sich als Abu Nabil vor, aber Arabisch ist nicht seine Muttersprache. Leute aufzuspüren und ihnen mit Mord zu drohen ist sein Geschäft. Man darf annehmen, dass er dafür ein Gehalt bekommt. Er arbeitet mit einem Team, das mit modernster Technologie gerüstet ist, um Personen zu überwachen und zu lokalisieren. Am 25. Februar rief Abu Nabil zu Hause bei der Familie von Nada Kiswanson in Schweden an. Sie ist eine palästinensische Anwältin mit schwedisch-jordanischer Staatsangehörigkeit. Er warnte ihre Familie: Für den Fall, dass Kiswanson ihren Arbeitgeber nicht verlasse, werde sie die Familie nie wiedersehen.

Kiswanson, 31, lebt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in den Niederlanden. Als Angestellte der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al Haq ist sie die permanente Verbindungsperson zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Zwei Wochen vor dem Drohanruf hatten Kiswanson und ein Kollege des Al Mezan Menschenrechtszentrums aus Gaza dem Gericht einen umfassenden Bericht über den „Schwarzen Freitag“ in Rafah am 1. August 2014 (während der israelischen Militäroperation in Gaza d.Red.) übergeben. Dieser Bericht ist Teil der Dokumente, die der Gerichtshof im Rahmen der vorläufigen Untersuchung erhalten hat. Er muss entscheiden, ob die Möglichkeit, dass während der „Operation Fels in der Brandung“ Kriegsverbrechen verübt wurden, weiter untersucht wird.

Wenige Tage nach dem Anruf bei ihrer Familie wurde Kiswanson von einer Frau angerufen, die sich als Mitarbeiterin des niederländischen Gesundheitsministeriums ausgab. Sie bat die Anwältin um die Teilnahme an einer Erhebung über den Zika-Virus. Die Alarmglocken sprangen zu dem Zeitpunkt noch nicht an. Kiswanson gab ihre Adresse preis. Dann rief Abu Nabil bei ihr zu Hause auf dem Festnetz an. Er arbeite für den palästinensischen Geheimdienst und wolle warnen: Ihr Leben sei in Gefahr. Dasselbe gelte für Al Haq-Direktor Shawan Jabarin. Nachforschungen ergaben, dass das Gesundheitsministerium an keiner Erhebung über den Zika-Virus arbeitete.

Die Anrufe und Drohungen gingen weiter. Kiswanson wechselte ihre Telefonnummer, ließ sich aus sämtlichen Verzeichnissen austragen und begann schließlich, das Telefon ihres Mannes zu benutzen. Aber sobald sie ihre Kollegen in Ramallah anrief, wurde ihre Nummer identifiziert. Ihre Adresse auf der Anwendung für geschützte Kommunikation „Single“ wurde ebenfalls identifiziert. Drohungen und Warnungen wurden nun auch dorthin geschickt. Kiswansons Computer wurde gehackt und abgestellt. Ein Blumenstrauß mit Grußkarte, gezeichnet von Abu Nabil, wurde zu ihr nach Hause geschickt. Der Strauß wurde aus Amsterdam geschickt.

Die Polizei fand heraus, dass jemand sieben Mal versucht hatte, dafür über das Internet mit einer Luxemburger Kreditkarte zu bezahlen. Als diese Versuche fehlschlugen, kam der Käufer in den Blumenladen. Auf Überwachungskameras ist er aber nicht zu finden.

In Kiswansons Nachbarschaft wurde ein Flugblatt mit dem Namen von Al Haq verteilt, das um diverse Sachspenden für Flüchtlinge in Holland bat. Als Sammelstelle wurde ihre Heimadresse angegeben, und die Hilfsgüter begannen sich vor ihrem Eingang in unübersehbarem Umfang zu stapeln. Die Nachbarn waren außer sich vor Wut über das Chaos. Am 10. August erhielt ihr Kollege von Al Mezan, als er sich in Europa aufhielt, eine Email mit sechs Photos des Hauses, in dem er wohnte – und der Drohung, ihn und seine Familie zu ermorden.

Die Morddrohungen überschatteten andere Angriffe auf Mitarbeiter von Al Mezan, Al Haq und des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte – also der drei palästinensischen Organisationen, die daran arbeiten, Israel vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen. Ihre Emails wurden gehackt, und seit Februar haben sie eine Flut von Nachrichten erhalten, die darauf abzielten, Ärger zwischen ihnen und ihren Direktoren zu erzeugen, falsche Gerüchte in Umlauf zu bringen und gefälschte Angebote zu Arbeit mit Flüchtlingen in Europa zu machen. Einrichtungen im Ausland, die die drei Organisationen unterstützen, erhielten ebenfalls anonyme Anrufe und wurden aufgefordert, die Unterstützung wegen Korruptionsvorwürfen gegen die palästinensischen Organisationen einzustellen.

Staatsanwalt Simon Minks von der Bezirksstaatsanwaltschaft in Den Haag leitet die Ermittlungen über die Drohungen gegen Kiswanson. Laut der niederländischen Zeitung NRC, die zuerst berichtete, ist Minks auf internationale Verbrechen wie Kriegsverbrechen und Terrorismus spezialisiert. Die vorläufige Schlussfolgerung des Ermittlers ist, dass nicht private Einzelpersonen dahinter stecken. Die palästinensischen Organisationen schlussfolgern, dass die Drohungen beweisen, dass die öffentlichen und rechtlichen Schritte, um Israel in Den Haag vor Gericht zu bringen, denjenigen Sorgen machen, die besorgt sein sollten.

Übersetzung: Riad Othman

Dieser Artikel erschien erstmals auf Englisch in der Online-Ausgabe der israelischen Tageszeitung Haaretz vom 17. August 2016

Menschenrechtsarbeit wird immer schwieriger

medico unterstützt drei palästinensische Menschenrechtsorganisationen. Al Haq arbeitet vorwiegend in der Westbank. Adalah setzt sich für die Rechte der israelischen Palästinenser ein. Al Mezan ist im Gazastreifen tätig. Als Menschenrechtsorganisationen untersuchen sie Einschränkungen derselben auf israelischer wie palästinensischer Seite und sind bis zu einem gewissen Grad Anfeindungen und Behinderung ihrer Arbeit gewohnt.

Im Zuge der Polarisierung des Konflikts verstärken sich in beiden Gesellschaften jedoch antidemokratische Tendenzen und werden menschenrechtliche Normen in Frage gestellt werden. In dem asymmetrischen Konflikt, in dem die einen besetzt sind und die anderen Besatzer, findet hier ein ähnliches Phänomen statt. Die Räume für die Arbeit der Menschenrechtsorganisationen werden kleiner. Aber kein Prozess ohne Widersprüche, die es zu nutzen gilt. Auch auf Drängen der palästinensischen Menschenrechtsorganisationen hat die palästinensische Autonomie-Behörde die Jurisdiktion des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag anerkannt. Das hat wiederum den Weg geebnet Menschenrechtsverletzungen dort vor Gericht zu bringen, falls das zuständige Gerichtswesen vor Ort nicht fähig oder willens ist für Recht zu sorgen.

Die Versuche der Partner Adalah und Al Mezan, vor israelischen Institutionen Gerechtigkeit für Opfer aus Gaza zu erlangen, sind bisher gescheitert. In keinem der zahlreichen Verdachtsfälle auf Kriegsverbrechen, die die Organisationen beim Militärgeneralanwalt eingereicht haben, wurde bislang Anklage erhoben. Deshalb schon frühzeitig die Überlegung in Den Haag zu klagen. 

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