Die Hoffnung, die Abriegelung von Gaza möge sich im Hinblick auf das Corona-Virus ein einziges Mal als Segen für die Menschen vor Ort erweisen, zerschlug sich schnell: Schon am 17. März, keine zwei Wochen nach den ersten Fällen im Westjordanland, vermeldete auch das Gesundheitsministerium in Gaza die ersten Infektionen. Zu dieser Zeit standen in der seit Jahren abgeriegelten Küstenenklave gerade einmal 87 Krankenbetten mit Beatmungskapazität zur Verfügung. Entsprechend groß waren die Befürchtungen – und entsprechend drakonisch waren die Einschränkungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens, die die De-facto-Autoritäten in Gaza verhängten. Arbeitslosigkeit und Verelendung haben weiter zugenommen. Und das Leben der Bevölkerung, die infolge der 13 Jahre währenden Blockade, der streng rationierten und unzuverlässigen Energieversorgung und des auch wirtschaftlichen Niedergangs ohnehin leidet, ist noch härter geworden.
Unsere Partnerorganisationen haben reagiert: Da immer mehr Familien auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen waren und sind, verteilte die Organisation Union of Agricultural Work Committees (UAWC) Lebensmittelpakete an fast 400 Familien. Die Culture & Free Thought Association (CFTA), die sechs Gemeindezentren in der Stadt Khan Younis im südlichen Gazastreifen betreibt, hat ihre Angebote zur psychosozialen Unterstützung ausgeweitet; dies vor allem für Frauen, Jugendliche und Kinder, die infolge der Pandemie unter ansteigender (häuslicher) Gewalt, Vereinsamung und der drückenden Perspektivlosigkeit leiden. Dem eklatanten Mangel an medizinischer Versorgung in Gaza stemmt sich weiterhin die Palestinian Medical Relief Society (PMRS) in ihren Gesundheitszentren und vermehrt mit Hausbesuchen entgegen. Seit Beginn der Pandemie informieren die Nothelfer:innen in Gaza über Ansteckungsgefahren und Präventionsmöglichkeiten; und sie setzen die Betreuung von Patient:innen mit chronischen Krankheiten fort, auf deren Verlauf eine Pandemie keine Rücksicht nimmt. Hierzu zählt auch der Einsatz des Al Mezan Menschenrechtszentrums in Gaza und der Physicians for Human Rights – Israel in Jaffa für das „Recht auf Behandlung“ gegenüber den israelischen Autoritäten. Bei einer Vielzahl der Entscheidungen darüber, wer Gaza wann und ob überhaupt für eine Operation oder Therapie im besetzten Ost-Jerusalem, der West Bank oder Israel verlassen darf, wird dieses Recht missachtet.
Im Zuge der Corona-Krise riefen medico-Partnerorganisationen vor Ort, Adalah, Al Mezan Center for Human Rights in Gaza, Physicians for Human Rights – Israel, gemeinsam mit internationalen Menschenrechtsorganisationen, darunter auch medico, die israelische Regierung dazu auf, ihrer Verantwortung als Besatzungsmacht nachzukommen. Doch bis heute erfährt das palästinensische Gesundheitssystem nicht die nötige Unterstützung, auch nicht im Zuge der erfolgreichen Impfkampagne. Während in Israel selbst mittlerweile die große Mehrheit der gesamten, also auch nicht-jüdischen Bevölkerung geimpft ist, bleiben die Menschen jenseits der Grünen Linie außen vor – mit zwei Ausnahmen. Impfungen erhalten zum einen die dort lebenden Siedler:innen, zum Zweiten jene rund 120.000 Palästinenser:innen, die Israel oder die Siedlungen betreten dürfen, weil sie dort auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder als Reinigungskräfte gebraucht werden. Offener kann man Gesundheitspolitik aus Eigennutz nicht betreiben. Dessen ungeachtet setzten sich unsere Partnerorganisationen weiterhin für Impfgerechtigkeit zwischen Mittelmeer und Jordan ein. Sie haben eine Petition an den Obersten Gerichtshof in Jerusalem gestellt, um die Regierung dazu zu bringen, gesundheitliche Verantwortung für alle Menschen zu übernehmen, über die sie effektiv Kontrolle ausübt.