Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ist ein autokratisches Regime, das seit fast 30 Jahren in den besetzten palästinensischen Gebieten an der Macht ist. Die letzten 15 Jahre waren besonders schmerzhaft für die Palästinenser:innen, da die PA immer repressiver wurde, nachdem sie bei den Wahlen zum Legislativrat 2006 die Macht an die Hamas verloren hatte. Infolge der Kollaboration mit Israel und der weit verbreiteten Korruption, die diejenigen, die Teil des Systems sind, bereichert, hat sie kontinuierlich jegliche öffentliche Unterstützung verloren. Hinzu kommt, dass der PA-Chef und Vorsitzende der Fatah-Partei, Mahmoud Abbas immer älter wird, sich sein Gesundheitszustand verschlechtert, er das 16. Jahr in Folge an der Macht ist, es keinen Nachfolgeplan gibt und er die Wahlen, die eigentlich für Mai geplant waren, abgesagt hat.
All dies bildet einen Teil des Hintergrunds der aktuellen Situation in der Westbank. Nur einen Monat nach der jüngsten militärischen Eskalation, bei die Palästinensische Autonomiebehörde aufgrund des politischen Gezänks zwischen Abbas und der Hamas die Solidarität des Westjordanlandes mit dem Gazastreifen aktiv unterdrückten, ist die PA in die Offensive gegen ihre eigenen Bürger gegangen. Am Donnerstag um 3:30 Uhr morgens drangen palästinensische Sicherheitskräfte in das Haus der Familie des Cousins von Nizar Banat im israelisch kontrollierten Stadtteil H2 von Hebron ein.
Banat, ein bekannter, aber nicht sonderlich radikaler palästinensischer Dissident, hatte sich dort versteckt, seit sein eigenes Haus im Dorf Dura, nicht weit von Hebron, von nicht identifizierten Angreifern beschossen worden war. Banat war nicht nur ein lautstarker Gegner von Abbas, sondern auch der Kopf einer politischen Partei, die bei den kürzlich abgesagten Wahlen kandidierte. Mindestens 20 Sicherheitsmitarbeiter erhielten die israelische Erlaubnis, den Stadtteil H2 in Hebron zu betreten, drangen in das Haus von Banats Cousin ein und schlugen ihn rücksichtslos mit Schlagstöcken und einem Metallknüppel am ganzen Körper. Er wurde schreiend und tretend zu einem Jeep gezerrt und nach H1 (dem palästinensisch verwalteten Teil von Hebron) in ein Krankenhaus der Palästinensischen Autonomiebehörde gebracht, wo er kurz darauf für tot erklärt wurde.
Nizars Familie verbreitete die Nachricht von seinem Tod und am Donnerstag fand in Ramallah ein erster Protest gegen das statt, was viele Menschen als mutwillige Ermordung eines politischen Dissidenten wahrnahmen. In der Nacht solle eine weitere Demonstration zum Sitz des Präsidenten führen, um dort Abbas‘ Rücktritt und Rechenschaft von ihm zu fordern. Doch auf ihrem Weg wurden die Demonstrant:innen mit aggressiver Gewalt von palästinensischen Sicherheitskräften empfangen, Menschen wurden mit Knüppeln geschlagen und mit Tränengas und Betäubungsbomben beschossen. Dies setzte sich in der gesamten Innenstadt von Ramallah fort, wo die Demonstrant:innen Müllcontainer in Brand setzten und Steine auf die Sicherheitskräfte warfen. Es gab eine Handvoll Verhaftungen, aber die meisten Demonstrant:innen, die erwischt wurden, wurden einfach verprügelt und blutend auf der Straße zurückgelassen. Der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit für die innere Sicherheit schrieb anschließend auf Twitter:
"Stellt nicht die Geduld einer Bewegung [Fatah] auf die Probe, die Berge von Märtyrern und Gefangenen im Rücken hat, hütet euch vor dem Zorn der Fatah. Diese Botschaft muss von jedem gehört werden, der versucht, unsere innere Sicherheit zu bedrohen. Jeder, der versucht, die Bewegung und die Institutionen der Regierung zu beeinträchtigen, wird bekommen, was ihm zusteht. Und für diejenigen, die es trotzdem versuchen, sollten sie besser beten."
Am Samstagabend wurde zu einem weiteren Protestzug gegen die Palästinensische Autonomiebehörde aufgerufen. Als die Demonstrant:innen zum Hauptquartier des Präsidenten gingen und „das Volk will den Sturz des Regimes“ und „Abbas muss gehen“ skandierten, stand etwa 30 Meter vor der Kette der Sicherheitskräfte eine Gruppe von 75-100 aggressiven Männern, die sich gegen die Demonstration wandten und Pro-Abbas-Parolen skandierten. Schnell begannen diese Männer (bei denen es sich mutmaßlich um verdeckte Mitarbeiter des militärischen Geheimdienstes handelte), Demonstrant:innen mit Knüppeln, Steinen und Fäusten anzugreifen. Sie schlugen die Leute auf der Straße, waren aber schnell dem Ansturm von Tausenden Demonstrant:innen unterlegen. Daraufhin unterstützten die offiziellen palästinensischen Kräfte die Fatah-Schergen, indem sie Tränengas und Betäubungsbomben auf die Demonstrant:innen abfeuerten.
American and European tax dollars at work
— Chris Whitman (@ChrisWhitman11) June 27, 2021
I just personally witnessed yet another Fatah lynch mob in #Ramallah. Literally 300-400 thugs attacked anyone who was not w/ them, stoning individuals, hitting people with clubs, stealing dozens of phones, and gang beating scores of ppl pic.twitter.com/8Im48y1YHD
Als die Sicherheitskräfte anfingen, die Demonstration anzugreifen, begannen weitere Scharen von Fatah-Schlägern, die umliegenden Straßen zu durchstreifen und nach Journalist:innen und Demonstrant:innen zu suchen. Wahllos griffen sie Menschen an und beschlagnahmten alle Handys, die sie in die Finger bekamen. Wer sich dem verweigerte, wurde auf offener Straße verprügelt. Die Menschen flüchteten in nahegelegene Geschäfte, um der Gewalt zu entkommen, Krankenwagen wurden daran gehindert, die Verletzten zu erreichen. Ich war persönlich Zeuge, wie mindestens 15 Menschen von Sicherheitskräften in Zivil zusammengeschlagen wurden. Nach all dem, so berichten Ärzt:innen und so zeigen es auch Videos in den sozialen Medien, drangen diese Banden in Krankenhäuser ein, um nach verletzten Demonstrant:innen zu suchen und sie zu verhaften.
Die Aggression war kein spontaner Akt von Einzelpersonen, sondern ein gut koordinierter und vorsätzlicher Angriff auf friedliche Demonstrant:innen durch das paramilitärische Establishment der Palästinensischen Autonomiebehörde; ein Establishment, das seit 15 Jahren von der Europäischen Union (insbesondere Deutschland) und den Vereinigten Staaten mit vielen Milliarden Dollar finanziert und trainiert wird. Die Direktive ist scheinbar, die Palästinensische Autonomiebehörde, die Fatah und Mahmoud Abbas um jeden Preis zu schützen, die wiederum Israels Interessen und Sicherheit schützen. Tatsächlich gibt die Palästinensische Autonomiebehörde mehr als 33 Prozent ihres Budgets für „Sicherheit“ aus.
In israelischen und englischsprachigen Medien wurde kaum über die Gewalt berichtet, und in den wenigen Fällen, in denen das Thema erwähnt wurde, handelte es sich um „Zusammenstöße“ zwischen Demonstrant:innen und Sicherheitskräften. Doch tatsächlich kann Abbas‘ Manöver, die Macht der Banden und palästinensischen Sicherheitskräfte auszuspielen, ihm eine Gnadenfrist verschaffen, die ihn vor Kritik und weiteren sozialen Unruhen schützt. Denn die Menschen werden nicht nur intern und extern entrechtet, sondern ihnen wird erneut bewusst, wie repressiv ihre eigene Regierung ist und wie weit sie geht, um an der Macht zu bleiben.