Wir befinden uns in der größten Gesundheitskrise der letzten 100 Jahre. Mit und in der Pandemie entfalten politische Fehlentscheidungen ihre tödliche Wirkung. Eine an Marktinteressen orientierte Gesundheitspolitik, eine in ihrer Bedeutung umkämpfte Weltgesundheitsorganisation, die nur in wenigen Bereichen unabhängig handeln kann, die fehlende Gesundheitsinfrastruktur in vielen Teilen der Welt und ein Patentsystem, das den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten dem Marktinteresse unterwirft – all das erschwert ein global abgestimmtes Handeln.
Offenbar ist das auch manchen Regierungen aufgefallen. So erklärte Frankreichs Präsident Manuel Macron, niemals dürfe das öffentliche Gut Gesundheit in private Hände gelangen. Es sei verrückt – so Macron – die Heilung von Kranken dem Markt zu überlassen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel betont immer wieder, dass die Gesundheit als globales Menschenrecht zu verstehen sei, und grenzte sich damit auch und vor allem von der America-first-Politik der USA unter Donald Trump ab. Der Impfstoff und Medikamente für die Behandlung von Corona müssten allen Menschen zur Verfügung stehen, lautet die Maxime der Bundesregierung. Immer wieder wird dabei die Weltgesundheitsorganisation – auch das in Abgrenzung zur nationalistischen Strategie der USA – als Orientierungsgröße für globales Handeln beschworen.
Eben dort wurde im Mai auf der World Health Assembly auf Initiative der WHO gemeinsam mit Costa Rica eine weitreichende Initiative vorgeschlagen: Mit einem offenen Patentpool sollen Daten und Wissen zu Covid-19-Behandlungsmöglichkeiten, Impfstoffen und Medikamenten gesammelt und die geistigen Eigentumsrechte gebündelt werden, um so die Produkte als „globales öffentliches Gut“ verfügbar zu machen. Das war die Chance, den großen Worten Taten folgen zu lassen und die Voraussetzungen für eine gerechte Verfügbarmachung eines Impfstoffes zu schaffen.
Doch sie ist vorerst vertan. Deutschland erhöht zwar die finanziellen Mittel für die WHO, wird die Initiative jedoch nicht unterstützen. Die Bundesregierung torpediert genau die Maßnahmen, die nötig wären, um ihre Versprechen zu verwirklichen. Die verbale Unterstützung der WHO erinnert verdächtig an die politische Antwort auf die Finanzkrise von 2008. Damals verpufften die kapitalismuskritischen Worte und die angekündigte weitreichende Regulierung des Finanzsektors schnell und das Verhältnis von Ökonomie und Gesellschaft blieb unangetastet.
Auch jetzt kehrt die Bundesregierung zum Business as usual zurück, als sei die Pandemie vorüber und als seien die großen Worte nie gesagt worden. Stattdessen: Auf Initiative aus Berlin haben Frankreich, Italien, die Niederlande und Deutschland einen Vertrag mit dem Pharmaunternehmen Astra Zeneca geschlossen, durch den sich Europa 300 Millionen Impfdosen sichert. Von globaler Solidarität keine Spur. Auch über eine Festlegung, zu welchem Preis der Impfstoff ausgegeben werden soll, ist nichts bekannt. Bisher heißt es, dass die ausreichende Versorgung für die EU und „darüber hinaus“ sichergestellt werden solle. Das klingt verdächtig nach „falls etwas übrig ist“. Anstatt mit dem WHO Patentpool die Voraussetzung zu schaffen, dass es auch im Süden der Welt eine lokale pharmazeutische Produktion des Impfstoffes geben kann, investiert Europa Steuergelder, die der Pharmaindustrie Millionengewinne bescheren werden.
Während sich das Virus im Süden der Welt massiv ausbreitet, droht Europa im geopolitischen Wettrennen um den Corona-Impfstoff gegen die USA und China der globale Blick verloren zu gehen. Damit gibt sie auch die Perspektive auf, dass ein gerecht und entlang der Bedarfe verteilter Impfstoff im Interesse aller ist. Pharma statt Patentpool – mit der Light-Version einer EU-first-Politik degradiert Europa den Süden auch im Kampf gegen Corona zu Hilfsempfängern.
Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 2/2020. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!