Feminismus

Die Hoffnung liegt in der Erschöpfung

29.03.2022   Lesezeit: 5 min

Wider die patriarchiale Kriegslogik. Von Eva von Redecker

„Wir sind da. Das ist das, was Hoffnung gibt“, sagt Rita Segato und ergänzt, dass aus den Zwischenräumen ein Überschuss entstehen kann, der über das Bestehende hinauswächst – über die „Welt der Eigentümer“, wie sie es nennt, oder die „Sachherrschaft“, wie ich sagen würde. Hier kann ein utopischer öko-sozialistischer Wandel beginnen und in das münden, was ich als Weltwiederannahme bezeichnen würde. Was bedeutet Weltwiederannahme? Das ist erst einmal ein komischer Begriff. Er liegt ziemlich nah an dem, was man sich als Sozialistin immer schon wünscht, nämlich die Wiederaneignung der Produktionsmittel. Und das soll auch mitgemeint sein, reicht aber nicht aus. Wir brauchen auch eine Wiederannahme von ausgestoßenen, unterworfenen und verdinglichten Ressourcen und sozialen Beziehungen. Diese Wiederannahme soll nicht nur in der Welt der Eigentümer umverteilen, sondern aus ihr herausführen.

Schon vor der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine waren wir erschöpft vom Leben in der Eigentümerwelt. Wir hatten Arbeitsbedingungen, in denen die Angst vor der Prekarisierung und vor dem Überflüssigwerden grassierte und der Burnout ständiger Begleiter war. Wir hatten einen fossil getriebenen Konsum, der nur ermöglicht wurde durch die Vernutzung von Ressourcen, die zum Teil bereits irreversibel vergiftet und aufgebraucht sind. Wenn man diese Welt nicht nur auf klassische Weise als eine kapitalistische Welt kritisiert, als eine Welt der Ausbeutung, sondern reproduktionsfeministisch als eine Welt der Erschöpfung, dann ist die Priorität des Eigentums ein guter Ausgangspunkt. Denn das Eigentum in seiner modernen Form zieht eine restlose Zerstörung von Dingen nach sich. Eine Welt des Eigentums ist eine, die sich aufteilt in Subjekte und Objekte: Subjekte, die sich als Eigentümer auf Kosten anderer bereichern, aber ständig überfordert sind in dem Souveränitätsanspruch, die Dinge voll beherrschen können zu sollen; und Objekte, die aneigenbar oder potenziell verfügbar sind. Solche Objekte sind auch menschliche Lebenszeit als Arbeitskraft, weiblich kodierte Reproduktionsfähigkeit und -arbeit und natürliche Regenerationsarbeit.

Die aus der Erschöpfung entstehende Sehnsucht nach Erholung scheint mir ein sehr guter Ansatzpunkt für eine feministische Revolution, eine von der Reproduktionsarbeit ausgehende Revolution, eine Revolution für das Leben. Mit dem Krieg in der Ukraine kommen aber die Sachherrschaft und das Phantasma der Verfügung auf ganz andere Art, nämlich durch Säbel- bzw. Panzer- und sogar Nuklearsprengstoffrasseln auf den Plan. Aus einer feministischen Analyse können wir nicht ganz so überrascht sein über Putins imperialistischen Angriff auf das souveräne Nachbarland. Denn das, was viele Beobachter:innen jetzt versuchen als Wahnsinn und Gedächtnisverlust an Putin zu diagnostizieren, ist schon immer Teil der patriarchalen Logik: dass nämlich in dem Moment, in dem die Expansion, die Kontrolle und das Besitzen prekär werden und nicht gesichert werden können, im Zweifelsfall selbst die Zerstörung vorzuziehen ist. Denn in der Zerstörung kann man beweisen, dass man noch über das Objekt herrscht. Das ist der Extrempunkt der Souveränität. Aus dieser Sicht ist die Lage natürlich umso beängstigender.

Es gibt nun eine ganz merkwürdige Versuchung, aus der ohnehin schon erschöpften Situation mit Erleichterung auf den Krieg zu blicken. Aus der bequemen Position des Social-Media-Konsums in Deutschland heraus wandelt sich der diffuse Schmerz über unsichtbare Feindinnen wie Pandemie, Erderwärmung und finanzialisierte Wertschöpfung plötzlich in den konkreten Schmerz über einen klarer lokalisierbaren, mit dem Gesicht eines Bösewichts ausgestatteten Feind. Wenn man sowieso dem Schmerz nicht entfliehen kann, dann ist es auf eine Art kathartisch, einem Krieg mit klarem Gut und Böse zuzuschauen. In den sozialen Medien findet man Reaktionen wie: „Jetzt sehen wir endlich wieder die Realität.“ Es ist natürlich patriarchales Wunschdenken, dass die einzige Realität die Kraft der Waffen sei. Aber ich glaube, wir müssen verstehen, dass dadurch eine Entlastung von komplexeren Problemlagen angeboten wird.

Der feministische Ausweg läge hingegen in der Erholung, der Regeneration, im Retten und Schützen von Leben, in der Verhinderung von Krieg und im Widerstand. Nach Rita Segato gibt es zwei sich diametral gegenüberstehende historische Projekte: Es gibt das koloniale Projekt, sie nennt es das Projekt der Dinge. Und es gibt das relationale Projekt, das sie Projekt der Pueblos, der Beziehungen, nennt. Dass man ernsthaft daran festhält und sich danach sehnt, reicht natürlich nicht. Man muss es auch machen. Segato verweist auf indigene, plurale Zusammenhänge, die das Projekt des Kolonialismus im Verborgenen, in den Zwischenräumen überdauert haben, auch wenn sie es im Großen natürlich nicht haben aufhalten können.

Auch ich rede gerne von Zwischenräumen. Dagegen kann man einwenden: „Reicht das? Werden die Räume nicht gleich wieder angeeignet?“ Diese Einwände sind begründet, aber man muss ihnen auch entgegenhalten, dass sie manchmal Teil des patriarchalen Projekts sind, das Beziehungen und Bindungen unter Frauen, Queers, Trans kappt oder kleinredet. Deswegen scheint mir, dass die Revolution für das Leben am besten da gedeiht, wo zumindest ein Teil des Lebens aus den Kreisläufen der Sachherrschaft bzw. der Welt des Eigentums herausgenommen wird, wo es einen Rückhalt gibt, aus dem heraus man Widerstand organisieren kann. Die Herausforderung ist, daran festzuhalten, die ganze Welt ändern zu wollen (sonst redet man nicht von Revolution) und gleichzeitig zu verstehen, dass es in dem historischen Projekt der Bindungen möglich ist, aus dem bloßen Dasein schon Hoffnung zu schöpfen.

Dieser Text basiert auf einem Vortrag der Ringvorlesung „Turbulente Psyche[n)“.

Er erschien zuerst im medico-Rundschreiben 1/2022. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!

Die Ringvorlesung Turbulente Psyche(n) erkundet globale Affektpolitiken und psychosoziale Kämpfe um Gesundheit und Gerechtigkeit in pandemischen Zeiten. Die Veranstaltungsreihe wagt einen globalen Blick auf neue Subjektivierungen. Sie fragt danach, was die Pandemie mit „uns“ gemacht. Gleichzeitig geht es um die Differenzierung eben jenes „wir“ und dessen extrem unterschiedlichen Formen von Subjektivierung. Wer werden „wir“ geworden sein?


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