Angesichts der globalen Ungerechtigkeiten und der verschiedenen Unterdrückungsformen, die sich im Zusammenwirken der verschiedenen aktuellen Krisen noch verschärfen, sollte es eine gute Nachricht sein, dass die Bundesregierung sich eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik auf die Fahnen schreibt. Die Ziele sind stark, mit denen die neue Strategie beworben wird: mehr Rechte, mehr Ressourcen, mehr Repräsentation; Inklusion von Frauen und anderen Gruppen vor allem aus dem Süden in Entscheidungsgremien, Anerkennung der Kolonialgeschichte und deren Kontinuitäten in der Entwicklungszusammenarbeit. Das alles als Querschnittsthema in den verschiedenen Ressorts und intersektional gedacht. Ein „feministischer Reflex“ soll im Außen- und Entwicklungsministerium eingeführt werden. Die Mitarbeiter:innen sollen direkt sagen können: „Ist das feministisch oder kann das weg?“ Klingt toll. Allerdings stellt sich die Frage, von welchen Prämissen die Leitlinien ausgehen und welche Voraussetzungen es bräuchte, um die klangvollen Ziele umzusetzen.
Ein Rückblick
Schon seit den 1970er Jahren stellt die deutsche Entwicklungspolitik immer wieder Frauen als Subjekte von Hilfe und die globale Bekämpfung von Geschlechterungerechtigkeit in den Fokus ihrer Arbeit. Zu Beginn der 1980er Jahre verfolgte die Entwicklungspolitik dabei einen liberalen Gleichstellungsansatz, das heißt sie stellte das leistungswillige Individuum in den Vordergrund und förderte vor allem die (ökonomische) Selbstverwirklichung. Mit Women In Development (WID) Ende der 1980er Jahre mussten Projekte beispielsweise nachweisen, dass Frauen von ihnen profitieren. Darüber hinaus wurden Frauen als Mitarbeiterinnen in der Entwicklungshilfe gefördert. Kritisch wurde damals wie heute angemerkt, wie paternalistisch ihre Einbindung war. Modernisierungspaternalismus lässt sich nennen, dass Frauen im Süden nur als Opfer von Umständen gelesen wurden und emanzipiert werden müssten. Dies jedoch ohne die globalen Machtstrukturen zu verändern, die die Ungleichbehandlung produzieren. Frauen wurden als vulnerable, diskriminierte Subjekte, die keine Handlungsmacht haben, dargestellt. Vor diesem Hintergrund verstand es die Entwicklungshilfe als ihre Aufgabe, den Frauen zu „helfen“.
Diese Sichtweise auf Frauen in der Entwicklungshilfe änderte sich in den 1990er Jahren. Das Gleichstellungsparadigma der 1980er verschob sich hin zum Empowerment-Paradigma. Die Idee war nun, Frauen nicht nur als Empfängerinnen von Hilfe zu sehen, sondern sie als wichtige Akteurinnen zur Stärkung ökonomisch schwacher Staaten anzuerkennen. Durch Maßnahmen der Entwicklungshilfe sollten sie mit dem Ziel des Empowerments in die Arbeitsmärkte des Globalen Südens integriert werden. Eines der bekanntesten Beispiele für solche entwicklungspolitischen Ansätze waren Mikrokredite, die an Frauen für die Gründung von small-scale-businesses vergeben wurden. Diese sollten Frauen helfen, ökonomisch unabhängig zu werden, erzielten aber im Endeffekt oft das Gegenteil. Da die ökonomische Struktur nicht verändert wurde, gerieten die Frauen in einen Schuldenkreislauf und damit in verstärkte ökonomische Abhängigkeiten. Ein weiteres Beispiel ist die Förderung der Beschäftigung von Frauen, meist in exportorientierten Industrien, die für die Märkte im Norden produzieren. Zwar waren mehr Frauen nun in Arbeitsverhältnissen, aus der Armutsfalle kamen sie dadurch jedoch nicht. Stattdessen wurden sie zum primären Subjekt ökonomischer Ausbeutung.
Zu Beginn der 2000er Jahre sollte dann wiederum ein neues Paradigma den Weg in eine feministische Entwicklungszusammenarbeit ebnen: das Gendermainstreaming. Mit der Berücksichtigung dieser Norm in entwicklungspolitischen Vorhaben sollten Frauen und Männer gleichermaßen profitieren und die Gleichstellung der Geschlechter endlich erreicht werden. Bereits 1995 wurde auf der Weltfrauenkonferenz in Beijing hieß es, dass Gender-Mainstreaming „[den] Prozess der Bewertung der Auswirkungen einer geplanten Maßnahme auf Frauen und Männer, einschließlich Rechtsvorschriften, Politiken oder Programme, in allen Bereichen und auf allen Ebenen [bedeutet]. (…) Oberstes Ziel ist es, die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen.“ (Report of the Economic and Social Council for 1997).
Auch in den letzten Jahren blieb das Gendermainstreaming ein übergeordnetes Ziel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Vor diesem Hintergrund hat das BMZ im Jahr 2014 ein übersektorales Konzept zur „Gleichberechtigung der Geschlechter in der deutschen Entwicklungspolitik“ verabschiedet. Auch dieses definiert Gendermainstreaming, und damit die „Integration einer Geschlechterperspektive in alle entwicklungspolitischen Strategien und Vorhaben“, als grundlegende Säule des deutschen entwicklungspolitischen Engagements. Wurde die Entwicklungspolitik damit feministisch? Nicht wirklich.
In den neuesten Leitlinien der Bundesregierung zur feministischen Entwicklungszusammenarbeit wird zum ersten Mal auf ministerieller und damit staatspolitischer Ebene von Intersektionalität und aus einer feministischen Perspektive über die Kontinuität kolonialer Strukturen in der Entwicklungszusammenarbeit geschrieben. Das ist nicht nur neu, sondern durchaus ein Meilenstein. Wenn man sich die Leitlinien der feministischen Entwicklungszusammenarbeit oberflächlich anschaut, wirken sie vielversprechend, da sie explizit Machtfragen thematisieren. Wenn Ministerien Konzepte wie „Feminismus“, „Intersektionalität“ oder „Postkolonialismus“ bedienen, dann wäre eine Politik zu erwarten, die die Welt als System denkt, die den Kapitalismus und seine Produktionsweisen in den Blick nimmt und das Politische von Grund auf verändert. Bei einem genaueren Blick in die Leitlinien steht jedoch zu befürchten, dass letztlich feministische Begriffe vereinnahmt, feministische Konzepte verflacht und die praktische Umsetzung an tieferliegenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen scheitert.
Wie die Frankfurter Politikwissenschaftlerin Uta Ruppert schreibt: „Feminismus meint sehr viel mehr und Grundlegenderes als Kompensation von Ungleichheit.“ Insofern müssen die Leitlinien der Bundesregierung zeigen, wie ihre hohen Ansprüche angesichts schrumpfender Budgets umgesetzt werden können, sie müssen zeigen, wie Intersektionalität angesichts der Nicht-Adressierung einer grundlegenden Produktionskritik umgesetzt werden kann, und sie müssen zeigen, wie die Arbeit mit Partner:innen im globalen Süden auf Augenhöhe möglich ist, wenn echte Reparationen für erlittenes Leid und bis in die Gegenwart wirkende Benachteiligungen nicht auf der Agenda stehen und die imperiale Lebensweise des Globalen Nordens nicht adressiert wird.
Schon auf der ersten Seite der Leitlinien wird sich auf die Schulter geklopft:
„Das deutsche Lieferkettengesetz, das Anfang 2023 in Kraft getreten ist, stellt in dieser Hinsicht einen Meilenstein bei der Überwindung von bestehenden patriarchalen Machtstrukturen im Bereich der Rechte dar. Das Gesetz fordert unter anderem die Einrichtung von transparenten und zugänglichen Beschwerdemechanismen ein. Arbeitnehmer*innen können sich dadurch besser gegen Ausbeutung und Machtmissbrauch wehren. Mit der geplanten europäischen Lieferkettenregulierung gehen wir noch einen Schritt weiter: Arbeitnehmer*innen aus dem Globalen Süden sollen dann ihr Recht auch vor deutschen und europäischen Gerichten einklagen können.“
Doch das wird schwierig, wenn übergeordnete Gesetze, die vor allem die Verantwortung der Unternehmen in den Blick nehmen, wie zum Beispiel das „Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD)“ der EU nicht einmal eine Geschlechterperspektive beinhalten. Dagegen wenden sich Organisationen der internationalen Zivilgesellschaft mobilisiert.
Solidarität ist möglich
Ohne eine umfassende Adressierung von Ungleichheit und das radikale Aufbrechen rassistischer und neokolonialer Strukturen werden Abhängigkeiten und Machtungleichheiten weiter verfestigt und maximal die Symptome aktueller Krisen gelindert. Das zu überwinden schreibt sich eine radikalere Form internationaler Zusammenarbeit auf die Fahnen: transnationale Solidarität. Aber wie ließe sich die in einem System der Entwicklungszusammenarbeit etablieren, das bislang paternalistisch, kapitalistisch und modernistisch agiert?
Um die aktuellen Praktiken der Entwicklungszusammenarbeit so weiterzuentwickeln, dass sie als globale und solidarische Praktiken funktionieren könnten, bräuchte es vor allem die gleichwertige Beteiligung von Perspektiven auf die Welt von unten, von den Rändern und den Rändern der Ränder. Denn transnationale Solidarität funktioniert nicht nur von Nord nach Süd. Das Verhältnis von Globalem Norden und Süden muss dekolonial gedacht werden, ohne dabei jedoch historische und aktuelle Ausbeutungserfahrungen unsichtbar zu machen. Solidarität ist möglich nicht trotz, sondern in diesen Differenzen und über sie hinweg.
Solidarität bedeutet, lokale, nationale und globale Kämpfe zusammenzudenken und miteinander zu verbinden. Dafür reicht es nicht, Stimmen aus dem Globalen Süden beispielsweise vermehrt als Gastredner:innen auf Konferenzen in den globalen Norden einzuladen, sie an Podiumsdiskussionen zu beteiligen oder sie in den lokalen Repräsentanzen westlicher Entwicklungshilfeorganisationen zu beschäftigen. Zwar waren die Bemühungen um vermehrte Beteiligung innerhalb der letzten Jahrzehnte wichtig, jedoch noch lange nicht ausreichend. Vielmehr braucht es strukturelle Veränderungen wie einen gleichberechtigten Zugang zu multilateralen Institutionen und Politikprozessen, globalen Märkten und finanziellen Ressourcen ermöglichen.
Das bedarf nicht nur eines Umbaus der entwicklungspolitischen Strukturen, sondern letztlich ihrer Abschaffung. Eine reformistische Entwicklungszusammenarbeit, die die Missverhältnisse und Schieflagen, in denen sie agiert, befestigt und verschönert, eröffnet keinen Weg in die Zukunft. Vor allem angesichts der sich häufenden Poly- und Synkrisen braucht es eine feministische und dekoloniale Solidarität, die strukturelle Ungleichheiten umfassend und auf den unterschiedlichen Handlungsebenen bekämpft. Entwicklungszusammenarbeit, auch eine feministische Entwicklungszusammenarbeit, die, wenn sie existieren könnte, nur in den Strukturen agieren kann, aus denen sie erwachsen ist, ist nicht die Antwort, die wir heute dringender denn je brauchen, um unser aller Recht auf ein gutes und würdevolles Leben zu verwirklichen.