Administrativhaft und Zwangsernährung in Israel

Gleiches Unrecht für alle?

11.08.2015   Lesezeit: 5 min

Haft ohne Anklage ist für Palästinenser traurige Normalität. Nun wird die Adminstrativhaft auch bei jüdischen Terrorverdächtigen angewandt.

Unter dem Eindruck des Anschlags von Duma beschloss das Sicherheitskomitee des israelischen Kabinetts, die sogenannte Administrativhaft auch auf jüdische Terrorverdächtige auszuweiten. Diese Maßnahme, die eine letztlich unbegrenzte Inhaftierung von Verdächtigen ohne Anklage und Verfahren ermöglicht, war bisher Palästinenser_innen vorbehalten.

Im Frühsommer 2014 waren vorübergehend Hunderte palästinensischer Gefangener in einen Hungerstreik getreten, um gegen diese Haft zu protestieren. Zeitgleich wurde in Israel über den Gesetzentwurf zur Zwangsernährung von Häftlingen diskutiert. Das Gesetz hätte nicht nur die Legalisierung einer Form von Folter bedeutet (denn als solche gilt die Zwangsernährung), sie hätte politischen Gefangenen auch das oft einzige Mittel genommen, eine Behandlung zu erwirken, die internationalen Rechtsstandards genügt: entweder Gerichtsverfahren oder Freilassung.

Durch den Gaza-Krieg verschwand das Thema aus der Diskussion und auch dem öffentlichen Bewusstsein. So landete die Gesetzesnovelle zur Zwangsernährung sang- und klanglos in einer Schublade, wo sie rund ein Jahr blieb – bis vor kurzem.

Die letztjährige rechtsgerichtete israelische Koalitionsregierung brachte den Entwurf seinerzeit wohl auch deshalb nicht zur Abstimmung, weil die Zustimmung des Parlaments nicht sicher gewesen wäre. Selbst im Kabinett hatte sich etwas Widerstand geregt. Die Konstellation hat sich nach den Wahlen im März 2015 aber verändert und das Gesetz wurde am 30. Juli verabschiedet. Das Parlament hat damit ein Gesetz erlassen, das mit dem Werteverständnis einer Demokratie nur schwer kompatibel ist und zu Israels internationalen rechtlichen Verpflichtungen in Widerspruch steht.

medico-Partner und andere Menschenrechtsorganisationen protestieren

Die medico-Partner Adalah, Al Mezan und Ärzte für Menschenrechte Israel haben umgehend protestiert und werden rechtlich gegen das Gesetz bzw. seine Anwendung vorgehen. Kurz vor der Abstimmung riefen auch zwei Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen die israelische Regierung erneut dazu auf, den Prozess der Legalisierung von erzwungener Nahrungsaufnahme und medizinischer Behandlung zu stoppen. In einer Presseerklärung konstatierte unter anderem der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Prof. Juan E. Méndez: „Nahrungszufuhr, die durch Drohungen, die Ausübung von Druck, Gewalt oder die Anwendung körperlicher Zwangsmaßnahmen herbeigeführt wird, [...] ist gleichbedeutend mit grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung, selbst wenn sie in wohlmeinender Absicht erfolgt.“ Das Gesetz verletze die Konvention gegen Folter, die auch Israel ratifiziert hat.

Das System der Administrativhaft wird geschützt – notfalls auch mit Folter

Der Hungerstreik ist für Administrativhäftlinge oft das letzte verbliebene Mittel, um sich gegen das Wegsperren ohne Anklage zu wehren. Die Befürworter des Gesetzes argumentieren, es gehe ihnen bloß darum, Leib und Leben der Häftlinge zu schützen. Dabei ist in Israel noch nie ein Gefangener an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben. Dagegen sind sehr wohl Fälle dokumentiert, in denen die versuchte Zwangsernährung zum Tod von Gefangenen geführt hat. Wahrscheinlicher ist deshalb, dass die Verrechtlichung der Zwangsernährung nicht die Gesundheit der Gefangenen schützen soll, sondern das Instrument der Administrativhaft, welches durch Hungerstreiks bekämpft wird.

Natürlich wollen die zuständigen Behörden nicht, dass Häftlinge durch Hungerstreiks sterben. Das wäre für den israelischen Staat doch ein wenig beschämend, zumal wenn am Ende in einigen Fällen überhaupt nicht klar wäre, weshalb die Leute eigentlich einsaßen. Der eigentliche Skandal ist aber ein doppelter: Eine Demokratie, die sich als Rechtsstaat begreift, will sich eines Instruments wie der Zwangsernährung bedienen, um legitime Proteste von Menschen gegen administrativen Arrest zu brechen, der für sich genommen schon rechtsstaatlichen Normen Hohn spricht. Faktisch wird denjenigen, die ohne Anklage auf unbestimmte Zeit inhaftiert sein können, Folter angedroht für den Fall, dass sie ihren Streik gegen die fortgesetzte Verletzung ihrer Rechte nicht beenden.

Gleiches Unrecht für alle

Die jüngste Entscheidung des Sicherheitskomitees der Knesset, die Administrativhaft auch auf jüdische Terrorverdächtige anzuwenden, hat bereits zur Inhaftierung von 12 Personen geführt, die als jüdische Extremisten eingestuft worden sind. Für zwei von ihnen wurde die sechsmonatige Administrativhaft verhängt. Auch für sie gilt jetzt, dass sie sich nicht mehr auf Verfahrensgrundsätze verlassen können, die in einem Rechtsstaat üblich sein sollten.

Für palästinensische „Sicherheitshäftlinge“ ist dies seit Jahren Alltag. Die Anwendung der Administrativhaft auch auf jüdische Terrorverdächtige ist nicht das, was sich die medico-Partner unter Gleichbehandlung vorgestellt haben. Gleiche Rechte für alle dürfen nicht mit gleichem Unrecht für alle verwechselt werden.

Die Hürden dafür, einen jüdischen Terrorverdächtigen festzusetzen, sind aber immer noch höher als für einen palästinensischen: Bei Israelis sind verschiedene Stellen involviert, darunter das Verteidigungsministerium und der Generalanwalt. Bei Palästinenser_innen kann bereits der zuständige Militärkommandeur die Haft anordnen und jeweils nach sechs Monaten beliebig oft verlängern.

Die Justizministerin Ayelet Shaked von der Siedlerpartei „Das Jüdische Haus“ hat unterdessen den Versuch unternommen, jüdische Betroffene vor der Administrativhaft zu schützen, indem sie sich offen dagegen ausgesprochen hat – allerdings nur bei israelischen Staatsangehörigen. Dabei weiß sie natürlich, dass die absolute Mehrheit der palästinensischen Administrativhäftlinge gar keine Bürger_innen Israels sind. Die Rechte der Menschen aus dem Westjordanland und dem Gaza-Streifen würden demnach weiterhin verletzt.

Sorge um die Demokratie

Der Inlandsgeheimdienst Shin Beth hat manchen der jetzt Verhafteten vorgeworfen, Teil eines jüdischen Untergrunds zu sein, der am Umsturz des Staates arbeite. Es ist schwer vorstellbar, dass eine Gruppe von gewaltbereiten Fanatikern, mehrheitlich wahrscheinlich im Alter von 16 bis 25 Jahren, ernstlich ein Risiko für den Staat darstellen sollte, dessen der israelische Sicherheitsapparat nicht Herr werden könnte. Die wirklich einflussreichen geistigen Brandstifter, die das begünstigt und aktiv gefördert haben, was sich in den letzten Jahren in Israel und den besetzten Gebieten und zuletzt zugespitzt in Duma abgespielt hat, sitzen nicht in kleinen illegalen Außenposten wie Adei Ad und Baladim, sondern in Jerusalem. Es ist nicht überraschend, dass sich ein Geheimdienst in erster Linie um die Sicherheit eines Staates sorgt und nicht um seine innere Verfasstheit - aber nicht der Staat ist hier in Gefahr, sondern die Demokratie.

Riad Othman

Riad Othman arbeitet seit 2016 als Nahostreferent für medico international von Berlin aus. Davor war er medico-Büroleiter für Israel und Palästina.

Twitter: @othman_riad


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