Mit großer Mehrheit hat der Bundestag in der vergangenen Woche die Verlängerung der Bundeswehreinsätze in Mali um ein weiteres Jahr beschlossen. Wenige Tage zuvor war Bundeskanzlerin Angela Merkel von ihrer Reise in die Sahelzone zurückgekehrt.
In Burkina Faso, Mali und Niger hatte die Bundeskanzlerin sich auch mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen. Regierungskritische Organisationen, die für demokratische Verhältnisse in ihren Ländern eintreten und in einer weiteren Militarisierung der Sahelzone keinen Nutzen für die lokale Bevölkerung sehen, dürften da jedoch nicht dabei gewesen sein.
Beim Einsatz der Bundeswehr in Mali geht es vor allem um Beratung und Ausbildung, die das malische Militär befähigen soll, künftig selbst für Stabilität und Sicherheit zu sorgen. Doch die Entwicklungen der vergangenen Jahre weisen in eine andere Richtung: Mali ist sechs Jahre nach Beginn der internationalen Militärintervention nicht sicherer geworden. Die Zahl der Milizen hat sich im Gegenteil vervielfacht und der Staat ist in vielen Gegenden weniger präsent als vorher.
Auch über den zuvor recht sicheren Süden scheint die Regierung in Bamako zunehmend die Kontrolle zu verlieren. Erst am Donnerstag warnte das Nothilfebüro der Vereinten Nationen, Ocha, dass Unsicherheit und bewaffnete Angriffe in der Sahelzone ein bislang ungekanntes Ausmaß angenommen hätten. Allein im April seien in Mali, Niger und Burkina Faso mehr als 150 Übergriffe mit mehr als 300 Toten erfasst worden. Dass mehr Militär, also mehr vom selben, diese Entwicklung aufhalten kann, ist zu bezweifeln, und doch setzt die Bundesregierung weiterhin genau darauf.
Bundeswehr ohne Mandat in der Sahelzone aktiv
Erst Ende 2018 hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Niger eine Militärbasis eröffnet. Durch das südlich an Libyen grenzende Land führen wichtige Transitrouten subsaharischer Flüchtlinge und Migranten. Es gilt daher für die Bundesregierung und die Europäische Union als wichtiger Partner im Kampf gegen Terror, organisierte Kriminalität und sogenannte illegale Migration.
Dazu scheint inzwischen jedes Mittel recht: Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dassdie Bundeswehr hier ohne entsprechendes Mandat Kampfschwimmer ausbildet. Auch in Kamerun, das wie Niger an die von der Boko-Haram-Miliz terrorisierte Tschadsee-Region grenzt, ist die Bundeswehr ohne Mandat unterwegs.
Moussa Tchangari, Generalsekretär der Journalistenvereinigung Alternative Espaces Citoyens im Niger und Partner von Medico International, sieht die zunehmende Militarisierung der Sahelzone sehr kritisch: „Trotz massiver Präsenz internationaler Truppen wird die Bevölkerung nicht vor Anschlägen bewaffneter Gruppen geschützt. Das sorgt für großen Unmut. Denn es bedeutet: Nicht um unsere Sicherheit hier geht es, sondern um den Schutz Europas vor Terror und Migration.“
Moussa Tchangari war im vergangenen Jahr mehrere Monate inhaftiert, weil ihm und 21 anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren vorgeworfen wurde, eine verbotene Demonstration gegen ein neues Steuergesetz vorbereitet zu haben, welches internationale Konzerne bevorzugt und die arme Bevölkerung noch stärker belastet.
Antimigrationspolitik macht Europa blind für menschenrechtliche Kollateralschäden
Die Menschenrechtsaktivisten Sadat Illia Mallam und Lirwana Abdourahamane sind noch immer in Haft. Anstatt sich von den Regierungen der Sahelzone in der Bekämpfung von Terror und Migration abhängig zu machen und zu Menschenrechtsverletzungen zu schweigen, hätte die Bundeskanzlerin bei ihrer Reise unbedingt auf ihre Freilassung drängen müssen, wenn ihr an Demokratie und Menschenrechten tatsächlich gelegen ist.
Diese Inhaftierungen sind eine Konsequenz der zunehmenden Einschränkung des Rechts auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit sowie auf freie Meinungsäußerung im Niger. Doch weil das jahrzehntelang von Deutschland kaum beachtete Land inzwischen so wichtig geworden ist für die europäische Abschottungspolitik, schaut man bei Menschenrechtsverletzungen nicht so genau hin.
Einwände gegen eine Steuerpolitik, die soziale Ungleichheit zementiert, äußerte die Bundeskanzlerin freilich auch nicht. Stattdessen setzt sie auch in der Entwicklungszusammenarbeit auf mehr vom selben und sagt den bereisten Ländern neben mehr militärischer Unterstützung auch mehr Entwicklungshilfe zu.
Die europäische Antiterrorpolitik ist zugleich eine Antimigrationspolitik mit fatalen Folgen für die Menschen in der Sahelzone. Der Kampf gegen Terror und so genannte irreguläre Migration schränkt ihre Bewegungsfreiheit massiv ein und macht die Regierungen Europas zunehmend blind für menschenrechtliche Kollateralschäden. Sicherheit und Demokratie in Europa lassen sich jedoch nicht aufrechterhalten, indem sie andernorts eingeschränkt werden.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Frankfurter Rundschau vom 13. Mai 2019.