Immer mehr Gebiete Afrikas, Asiens und Lateinamerikas werden von extremer Hitze ausgedörrt oder von Flutwellen überschwemmt, ganze Länder drohen zu verschwinden. Vor aller Augen strukturiert sich die Welt neu: in Zonen, die womöglich bewohnbar bleiben werden, und in solche ohne Rechte und Zukunft. Das Fortschrittsversprechen der Moderne auf ein besseres Morgen ist hinfällig. Die Klimakrise ist da. Eine andere Klimapolitik nicht.
Seit über 30 Jahren gibt es das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC). Auf den Weltklimagipfeln von Kyoto 2005 über Paris 2018 bis Scharm El-Scheich im vergangenen Jahr wurde jedoch wenig bis nichts zur Verbesserung der Lage beigetragen. Allenfalls wurden Deklarationen verabschiedet, deren Nichteinhaltung nachfolgende Klimakonferenzen dokumentieren. Grundsätzliche Veränderungen werden von den Regierungen führender Industrienationen – von den USA über Europa bis China – verweigert; und eine politische Kraft, die diese Haltung überwinden könnte, ist nicht in Sicht. Die Fortsetzung der auf fossilen Brennstoffen basierenden Wirtschafts- und Lebensweise und die fortschreitende Abschottung der reichen Zentren sind zwei Seiten derselben Medaille. Die auch in Zukunft wohl noch bewohnbaren Zonen werden präventiv abgeschirmt und aufgerüstet. Die für den Fortbestand dieser Inselwelten nötigen Ressourcen werden gesichert, nicht mehr auf koloniale Weise, sondern durch die Spielregeln des aufgezwungenen Freihandels, nötigenfalls aber auch mit Gewalt.
Verdrängungsgesellschaft
Die Klimakrise wird durch die „Logik der Inbesitznahme“ befeuert, eines behaupteten Eigentumsrechts an endlichen Ressourcen und deren Verbrauch – ein Modell, das mit dem Kolonialismus begann. Die Besitzlosen sind dieser Vernutzung unterworfen, zudem mit ihren Konsequenzen konfrontiert: schlechtere Luft- und Wasserqualität, unfruchtbare Böden, schwindende Ressourcen, Schuldenlast, kürzere Lebenserwartung und vieles mehr. Als Sklav:innen waren sie einst selbst zu Objekten dieser Umwelt degradiert worden. Doch bis heute sind die Besitzlosen extraktivistischen Modellen und ihren Folgen ausgesetzt: Vergiftung, Verwüstung, Austrocknung und Überschwemmung.
Durch die Klimakrise droht ein Zustand der sozialen und territorialen Segregation: Die reichen Gesellschaften, die bisher am meisten vom fossilen Kapitalismus profitierten, werden sich mit technischem Know-how so gut wie möglich absichern und trotz dramatischer Umweltschäden ein halbwegs komfortables Leben organisieren und finanzieren können. Die Armen in den weltweiten Katastrophenzonen hingegen müssen sehen, wo sie bleiben. Dabei wird den Unterprivilegierten im Globalen Norden die Sicherung eines immerhin relativen Wohlstandsvorteils angeboten: In hiesiger Armut sei es immer noch besser als im verelendeten Rest der Welt. Mit der Zustimmung zur Abschottung schrumpft das „globale Sichtfeld“. So wird den klimakriseninduzierten Katastrophen wie den Überschwemmungen in Pakistan, den Dürren in Somalia, den Bränden in Haiti oder wie jüngst dem Taifun auf den Philippinen hierzulande wenig bis keine Aufmerksamkeit geschenkt.
Trotz des Wissens um die Krise und globale Verantwortlichkeiten schwindet sowohl die Bereitschaft, das eigene Verhalten zu verändern, als auch die Unterstützung einer stärkeren Klimaschutzpolitik. Die Zustimmung zu Letzterer ist binnen zwei Jahren von 68 auf 34 Prozent im Mai 2023 geschrumpft. Gewaltig hingegen ist der Unmut über die Klima- und Umweltbewegung. 85 Prozent der Befragten finden, dass diese „in ihren Protestaktionen häufig zu weit“ gehe. Nicht die Klimakrise, sondern der Klimagerechtigkeitsprotest gelten als Problem. Die Verdrängungsgesellschaft lässt grüßen.
Alle oder keine:r
Der Einschränkung des Sichtfeldes steht ein menschenrechtsbasierter Ansatz gegenüber. Überraschenderweise spielt dieser in der Klimadebatte bislang eine eher untergeordnete Rolle. Selbst in der Klimagerechtigkeitsbewegung sind die Bezüge aufs Menschenrecht gering ausgeprägt. Dabei meint die Berufung aufs Menschenrecht nicht weniger als das weltweite Recht eines und einer jeden auf ein freies und selbstbestimmtes Leben im Rahmen der natürlichen Grenzen des Planeten – und auf die Schaffung gesellschaftlicher Bedingungen, die eben das für alle Menschen gleichermaßen ermöglichen. Dieser Grundsatz wird in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen in einem Katalog von 30 Rechten ausbuchstabiert und fortlaufend ergänzt: vom Recht auf Bewegungsfreiheit über das auf Demokratie bis zu jenem auf Bildung und soziale Sicherung. Das Recht auf eine Zukunft oder eine unzerstörte Umwelt sind darin zwar noch nicht explizit enthalten. In Artikel 28, der das „Recht auf eine Gesellschaft und Welt, in der die Menschen- und Freiheitsrechte verwirklicht werden können“ formuliert, ist es allerdings angelegt.
Die Klimakrise ist in dieser Hinsicht nicht nur wegen der durch sie verursachten Schäden eine Menschenrechtsfrage, weil diese oft diejenigen treffen, die am wenigsten zur Erderhitzung beigetragen haben. Sie ist es auch deshalb, weil der Zustand der Natur erheblichen Einfluss auf die Lebenschancen zukünftiger Generationen nimmt. Politisch stellt das Menschenrecht damit die Frage, ob die Zukunft allen gehört oder von einigen Staaten oder Unternehmen für ihre Egoismen und Partikularinteressen in Besitz genommen werden kann.
Wie werden Ressourcen zu Schutz, Versorgung und postfossiler Umrüstung aufgeteilt? Wird das vermeintliche Recht auf Bequemlichkeit, auf Flugreisen, Luxusjachten und Individualverkehr gegen den Zugang anderer zu Wasser, Nahrung, Boden, Dünger und Saatgut verhandelt? Wer wird welche Bewegungsfreiheit innerhalb der verbleibenden bewohnbaren Orte, zwischen ihnen und Zutritt zu diesen genießen – und wer wird ausgeschlossen sein? Wer wird welches Anrecht auf die Kommodifizierung knapper werdender Güter wie Wasser beanspruchen können, wenn dadurch andere in der Wahrnehmung ihrer Rechte oder in ihren Lebensgrundlagen eingeschränkt sind? Werden klimaschutzpolitische Maßnahmen oder die Umrüstung nachhaltigerer Energien auf Kosten von Entfaltungsrechten indigener Gruppen, Armer oder Marginalisierter, gegen deren unmittelbares Recht und Interesse, durchgesetzt? Denn auch nachhaltigere Energie oder ökologischere Produktion sind keine Alternativen, wenn Menschenrechtsverletzungen auf dem Wege ihrer Sicherstellung billigend in Kauf genommen werden, wie dies schon jetzt vielfach der Fall ist.
Klimarechte einklagen
Menschenrechte sind mehr als Schutzrechte bloßer Lebewesen, sie sind Verwirklichungsrechte freier Wesen im Rahmen der natürlichen Grenzen der Ökosysteme. Während die Politik des „Weiter so!“ deren Gültigkeit für alle aufkündigt, steht Klimagerechtigkeit in einem menschenrechtlichen Sinne dafür, die Welt, in der wir leben, mit der Welt, von der wir leben wollen, in Einklang zu bringen. Eine Politik der Menschenrechte ist damit politische Verteidigungslinie und Wegweiser für gesellschaftliches Handeln zugleich. Gleichwohl sind die Menschenrechte nicht nur Idee, sondern auch Gegenstand konkreter Rechtspraxis. Trotz ihres universellen Anspruchs ist ihre tägliche Verletzung traurige Realität und die Durchsetzung ihrer Gültigkeit gleichermaßen juristisches wie politisches Kampffeld. Vor diesem Hintergrund hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Internationalen Gerichtshof im März 2023 mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, das klären soll, welche völkerrechtlichen Verpflichtungen Staaten zum Schutz des Klimas und der Menschenrechte beim Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel zukommen.
Das Bundesverfassungsgericht hat jüngst in seinem Klimaurteil den deutschen Gesetzgeber aufgefordert, das Klimaschutzgesetz nachzubessern, um Generationengerechtigkeit herzustellen. Immerhin. Dieser Aufforderung ist gleichwohl eine territoriale Begrenzung eingeschrieben. Der Limitierung nationaler Rechtsprechung und Gesetzgebung werden aktuell weltweit circa 2.000 Klagen entgegengesetzt. Staaten und „Carbon-Major-Konzerne“ sollen auf die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels, effektive Klimaschutzmaßnahmen, Reduktion von CO2 - Ausstoß und Maßnahmen zum Schutz vor weiteren Katastrophen verpflichtet werden.
Klagen für den Ersatz durch die Klimakrise bereits entstandener Schäden, wie diese für über 30 Millionen Pakistaner:innen im Jahr 2022 eingetreten sind, gibt es indes noch nicht. medico und das European Center for Human Rights (ECCHR) haben deswegen mit pakistanischen Partnerorganisationen begonnen, die Möglichkeiten einer Schadensersatzklage von Bäuer:innen aus den am meisten von den Überschwemmungen betroffenen Dörfern der pakistanischen Provinz Sindh zu prüfen. Juristisch wie politisch zielt die Klage in erster Linie auf die verbindliche Feststellung der Verantwortung von großen CO2 -Emittenten für die klimakriseninduzierte Katastrophe in Pakistan. In der Folge würde die (Mit-)Verantwortung aber auch eine erhebliche Umlenkung von Kapital aus dem Globalen Norden an die Betroffenen des Klimawandels denkbar werden lassen. Solche Klagen würden auch den Druck bei weltweiten Klimakonferenzen erhöhen. Mit der Berufung auf das Menschenrecht könnte eine klimapolitische Auseinandersetzung geführt werden, die darauf zielt, eine Zukunft für alle offenzuhalten.
medico unterstützt klimapolitische Initiativen aus Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika. Das Spektrum reicht von der Verteidigung lokaler Ernährungssouveränität angesichts zunehmend zerstörter Existenzgrundlagen bis zum Kampf für die Anerkennung der ökologischen Schuld durch den Globalen Norden.
Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 3/2023. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!