Interview

Der Hetze ausgeliefert

04.09.2024   Lesezeit: 6 min

Im Libanon hat sich die Situation für syrische Geflüchtete dramatisch verschlechtert. Menschenrechtsanwalt Mohammed Sablouh vertritt sie.

Im Libanon ist die Situation seit dem 7. Oktober 2023 sehr angespannt. Der Krieg zwischen der Hizbollah und Israel, der sich bisher auf die Bekaa-Ebene und den Süden des Landes beschränkte, droht, sich auf das ganze Land auszuweiten. Viele libanesische Binnenvertriebene aus dem Süden suchen Schutz in Beirut und anderen Städten. Die 1,5 Millionen syrischen Geflüchteten im Land sehen sich zunehmenden Repressionen und gesellschaftlicher Exklusion ausgesetzt.

Wir sprachen mit dem libanesischen Menschenrechtsanwalt und medico-Partner Mohammed Sablouh vom Cedar Legal Center über die Lage der Geflüchteten, über politische Korruption und den Flüchtlingsdeal zwischen der EU und dem Libanon. Auf Grund seines Einsatzes für die Rechte der Geflüchteten wird Mohammed seit Monaten bedroht. Der Zugang zum Militärgericht, vor dem er seine Mandant:innen vertritt, wurde ihm erst kürzlich von den Behörden verweigert.

medico: Du vertrittst als Anwalt seit Jahren die Rechte Geflüchteter. Was kannst Du uns über die Menschenrechtslage im Libanon berichten?

Mohammed Sablouh: Migrant:innen sind im Libanon vollkommen marginalisiert und  Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Wir versuchen, möglichst viele dieser Rechtsbrüche und Misshandlungen zu dokumentieren und zu verfolgen. Leider gibt es hier mafiöse Strukturen, die die Interessen der Geflüchteten mit Füßen treten. Da ist etwa der Fall des Geflüchtetenboots, das im Dezember letzten Jahres nach Zypern unterwegs war und gesunken ist. An Bord waren 85 Menschen, deren Schicksal bis heute ungeklärt ist. Bisher konnten wir nur eine Leiche identifizieren. Eine weitere Aufklärung scheiterte bisher am Widerstand der Behörden.

Ist die Flucht aus dem Libanon per Boot ein neues Phänomen? 

In der Vergangenheit gab es lediglich zwei bis drei Boote pro Monat, die vom Libanon aus in Richtung EU aufgebrochen sind. Seit 2019 gibt es fast täglich Boote, die diese Richtung nehmen. Der Transport wird von mafiösen Strukturen organisiert, die ihrerseits aber eng mit den Sicherheitsapparaten zusammenarbeiten. Sie nutzen die Notlage der syrischen Geflüchteten aus. Von jedem Geflüchteten, der nach Italien will, nehmen sie 7000-9000 US-Dollar, und wer nach Zypern will, muss 2500 US-Dollar bezahlen. Einen Teil nimmt die Mafia selbst, ein Teil geht an den Sicherheitsapparat. Um ihren Profit zu erhöhen, werden die Boote heillos überbelegt. 85-90 Menschen werden in Boote gesteckt, die nur für 20 Personen ausgelegt sind. Ihr Schicksal ist den Schleusern dabei vollkommen egal.

Ein anderer Fall ist das Boot, welches im September 2022 mit 120 Menschen an Bord gesunken ist. Von Angehörigen der Opfer wissen wir, dass die Menschen, die sich geweigert hatten, in das kaum seetüchtige Boot zu steigen, mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen wurden.

Wie reagieren die Behörden auf solche Vorfälle?

Im Prinzip gar nicht. Sie stellen Bauernopfer vor Gericht, die leicht erpressbar sind und die nichts damit zu tun haben. Der Fall kann damit zu den Akten gelegt werden. Die wahren Drahtzieher bleiben unbehelligt im Hintergrund und nehmen Millionen ein.  

Wer steigt in die Boote?

Zunächst waren das Syrer:innen, Palästinenser:innen und Libanesen:innen. Letztere wollten das Land aufgrund der ökonomischen Krise verlassen. Da sie in Europa aber keine Anerkennung als Geflüchtete bekommen, gehen mittlerweile fast nur noch Syrer:innen und Palästinenser:innen an Bord.

Wie sind die Auswirkungen des Flüchtlingsdeals und was passiert mit den syrischen Geflüchteten, die zum Beispiel aus Zypern in den Libanon zurückgeschoben werden?

Der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und dem Libanon regelt, dass Zypern verpflichtet ist, jedes ankommende Boot aus dem Libanon zurückzuschicken. Syrer:innen werden nach ihrer Wiederankunft im Libanon direkt weiter nach Syrien abgeschoben. Diejenigen von ihnen, die zum Beispiel Wehrdient leisten müssen, bekommen von den syrischen Behörden 15 Tage Zeit, sich bei der Armee zu melden. Das heißt, sie haben die Möglichkeit, wieder zu fliehen. Politisch oppositionelle Syrer:innen schweben dagegen in Lebensgefahr, wenn sie abgeschoben werden. In einer solchen Situation ist auch das UNHCR wenig hilfreich.

In anderen Fällen bringt die libanesische Armee syrische Geflüchtete mit Lastern an die Grenze zu Syrien und übergibt sie ohne offizielle Dokumente den dortigen Offizieren. Gegen eine Zahlung von 300-400 US-Dollar können die Menschen dann frei gekauft werden und zurück in den Libanon. Einige verschwinden aber auch komplett. Schon seit 2023 hat sich die Zahl der Abschiebungen nach Syrien stark erhöht. Aus Angst davor haben sich selbst im Winter sehr viele Boote Richtung EU in Bewegung gesetzt. Aber seit dem Flüchtlingsdeal mit der EU nimmt die Zahl der Boote stetig ab.

Wem nützt dieses Abkommen? Und hält sich der Libanon an den Deal?

Die EU ist Gewinnerin, die Rechte der Menschen sind ihr egal! Es geht der EU leider nur um eine Eindämmung der Migration. Es gibt für sie wichtigere Krisenherde: Ukraine, Gaza, ökonomische Krisen im Westen.

Der Libanon nimmt kleine Schleuser fest, um den Eindruck der Ernsthaftigkeit nicht zu trüben. Die Hälfte der einen Milliarde Euro, die Gegenstand des Deals sind, geht an Offiziere der libanesischen Armee und des Sicherheitsapparats: Wenn man so will, werden sie im Prinzip für ihre Profitausfälle nicht-transportierter Flüchtlinge entschädigt.

Was kannst Du uns über die Situation der syrischen Geflüchteten in Beirut, aber auch in anderen Städten, berichten? In den letzten Wochen und Monaten sind die Behörden massiv gegen sie vorgegangen. Warum gerade jetzt und was ist das Ziel?

Erstens ist die Frage der syrischen Geflüchteten in letzter Zeit zu einem großen Thema der libanesischen Parteien geworden. Einfach gesagt: Sie mobilisieren mit der rassistischen Angst vor einem demographischen Wandel. Insbesondere die christlichen Parteien und die Anhänger:innen des ehemaligen Staatspräsidenten Michel Aoun haben das zum großen Thema gemacht.

Zweitens erpresst die libanesische Regierung, insbesondere der Innenminister und der Minister für Geflüchtete, die internationale Gemeinschaft mit dem Thema Migration, um dringend benötigtes Geld zu bekommen. Um die Stimmung gegen Syrer:innen anzuheizen, erfinden sie etwa Geschichten über 20.000 angeblich bewaffnete Syrer:innen in den Flüchtlingscamps oder Sprengstoffdepots.

Drittens gehen lokale Behörden auf Gemeindeebene massiv gegen syrische Geflüchtete vor: Ihnen wird die Arbeitserlaubnis entzogen, Läden, in denen Syrer:innen arbeiten, werden geschlossen, Haus- und Wohnungsbesitzer:innen wird verboten, an Syrer:innen zu vermieten. Diese rassistische Politik ist auch bei der Armee zu beobachten, die Syrer:innen willkürlich an Checkpoints verhaftet.

Wie sieht die Zukunft für Syrer:innen im Libanon aus?

Es gibt im Prinzip kein Land, das die Frage der syrischen Geflüchteten so schlecht handhabt, wie der Libanon. Seit 2011 sind Hunderttausende Geflüchtete aus Syrien hier gestrandet, ohne irgendwo registriert zu sein, weil die bürokratischen Hürden dafür zu hoch sind. Auch hier geborene Kinder sind unregistriert. Die Geflüchteten haben große Angst und unsere Regierung hetzt die Bevölkerung weiter gegen sie auf – alle inländischen Probleme, insbesondere die ökonomische Krise, werden auf die Geflüchteten als Sündenböcke abgewälzt.

Eine politische Lösung der Situation ist dringend geboten. Was jedoch passiert, ist das Gegenteil: Eine schrittweise Reintegration des Assad-Regimes in die Region. Nachdem er in Syrien große demographische Veränderungen durchgeführt hat, um seine Herrschaft zu sichern, hat er keinerlei Interesse daran, acht Millionen Geflüchtete wieder aufzunehmen. Die Geflüchteten sind so, zwischen allen Interessen, auf sich allein gestellt.   

Das Interview führten Imad Mustafa und Corinna Zeitz.


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