Rechtsruck

Lobby gegen Menschenrechte

16.09.2024   Lesezeit: 6 min

Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen sich gegen Angriffe von rechts wappnen. Auch hierzulande.

Von Ulli Jentsch

Als „Abkehr vom Humanismus“ beschrieb Joël Glasman kürzlich die Angriffe seitens illiberaler, autokratischer Regime auf die humanitäre Arbeit von NGOs. Organisationen, die Menschenrechte schützen und verteidigen, sind längst zur Zielscheibe rechter Akteure geworden, weil sie deren nationalistischen Bestrebungen entgegenstehen. Da rechte Parteien, Denkfabriken und Medien bis hin zu extrem rechten Gruppen zunehmend Einfluss auf das Politikgeschehen nehmen oder gar Regierungen bilden, müssen wir der Frage nachgehen: Was ist konkret unter der Abkehr vom Humanismus zu verstehen und wie erfolgt er?

Glasmann identifiziert drei talking points rechter Akteure, um humanitäre Arbeit zu diffamieren. Erstens werden die Vereinbarungen des internationalen Rechts angefochten, zweitens die Budgets humanitärer Organisationen gekürzt und drittens humanistische Einstellungen auf der Ebene des politischen Diskurses insgesamt delegitimiert. Strategien, die aus den Auseinandersetzungen um die Entwicklungszusammenarbeit der letzten Jahre bekannt sind.

Zielscheibe Entwicklungshilfe

Mit dem verbalen Kulturkampf gegen die humanitäre Arbeit gehen zunehmende Repressalien auf vielen Ebenen einher – was in Europa beispielhaft im Grenzregime zu beobachten ist. Am Ende solcher Attacken steht immer wieder das vollständige Verbot von NGOs als „ausländische Agenten“. Das hat Russland gegen antirassistische und regierungskritische Organisationen vorgemacht, Ungarn und Italien, Ägypten und lateinamerikanische Länder haben es kopiert. Und auch in Deutschland hören wir ähnliche Töne bereits seit Jahren, um Initiativen gegen rechts genauso wie Hilfsangebote für Geflüchtete oder Solidarität mit queeren Initiativen mundtot zu machen.

Dabei geht es der extremen Rechten nicht um die Kritik einzelner, zweifelhafter Maßnahmen, wie etwa der notorische Hinweis auf die Verausgabung deutscher Steuergelder für Fahrradwege in Peru weismachen will. Solch propagandistische Chiffren werden nur eingesetzt, um die Vorstellung einer globalen linken, „woken“ Ideologie zu beschwören, die sich gegen die nationalen Interessen Deutschlands richte.

Ein führender Außenpolitiker der AfD formulierte es so: „Entwicklungshilfe ist ein milliardenschweres Geschäft mit dem moralischen Pflichtgefühl anständiger deutscher Bürger. Die politische Linke hat (...) Schuldmythen erfunden, damit sich die westlichen Gebergesellschaften schuldig fühlen. Diese sind die drei Ks der Entwicklungshilfepolitik: Kolonialismus, Kapitalismus und Klimawandel.“ Im Europawahlkampf forderte nicht nur die extreme Rechte die komplette oder teilweise Streichung der Mittel oder die Eingliederung der Entwicklungszusammenarbeit in das Außenministerium – Letzteres ein Vorschlag, den die FDP gerade erst im Ampel-Kabinett gemacht hat.

Dieser Gleichklang zwischen rechtsliberalen und extrem rechten Forderungen ist nicht überraschend. Die internationale Entwicklungszusammenarbeit – aber auch andere Ausgaben für humanitäre Ziele – wird vordergründig aus ökonomischen Gründen zum Ziel von Austeritäts- und Sparpolitik. Dabei behaupten die Kritiker:innen aber im gleichen Atemzug die völlige Sinnlosigkeit bestimmter Maßnahmen oder die angeblich fehlende Kontrolle der in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen Organisationen, deren mangelhafte Unterordnung unter die Generallinien der Außenpolitik und Verschiedenes mehr. Ebenso wie in der europäischen Migrationspolitik verwenden Union und FDP auch in der Kritik an der Entwicklungszusammenarbeit gerne Stichworte der AfD. So wie eben die besagten Radwege in Peru, die als Pseudo-Skandal von der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Joana Cotar in die Welt gesetzt wurden.

Angriffe auf allen Ebenen

Menschenrechtsarbeit bedeutet in vielen Ländern auch den Kampf für die juristische Anerkennung und die institutionelle Verankerung der Rechte von Schwächeren. Die globale Rechte führt ihre Kämpfe daher auch auf dieser Ebene seit Jahren mit hohem finanziellem und personellem Einsatz, um Menschenrechte und individuelle Freiheiten zu beschneiden. Finanzkräftige Organisationen, oftmals mit christlich-fundamentalistischem Hintergrund, richten ihre Aktivitäten schon seit vielen Jahren international aus. Sie verfügen auch über europäische Ableger, die in Brüssel, bei der EU, OECD oder dem Europarat Lobbyarbeit betreiben.

Selten geschieht dies so offensichtlich wie im November letzten Jahres durch das extrem rechte Political Network for Values, das am Hauptsitz der UNO in New York die „Rettung der wirklichen Menschenrechte“ gegen die reproduktiven Rechte von Frauen und die sexuelle Selbstbestimmung von LGBTIQ+-Personen beschwor. Hauptsponsorinnen des repräsentativen Events waren ausgerechnet die Regierungen Ungarns und, mittlerweile abgewählt, Guatemalas. Zwei Länder, in denen Menschenrechte stark gefährdet sind.

Auch auf kommunaler Ebene werden jene Initiativen und Menschen immer mehr bedrängt, die sich für demokratische und humanitäre Anliegen engagieren. Die Angriffe der AfD auf lokale Zivilgesellschaften, die als linksextrem denunziert werden, basieren auf der gleichen Abkehr vom Humanitarismus, die global gegen NGOs in Stellung gebracht wird. Verbunden werden die Ebenen durch die Verschwörungsidee, es gebe einen überall agierenden „Globalismus“, der im Hintergrund die Fäden ziehe.

Selbst wenn die extreme Rechte nicht in direkte Regierungsverantwortung kommt, wird das politische Umfeld für eine menschenrechtsorientierte Arbeit global und lokal rauer. Die Entwicklungszusammenarbeit wird verstärkt Angriffen auf der juristischen, der finanziellen und der diskursiven Ebene ausgesetzt sein. Es ist lokal und global die gleiche extreme Rechte, die den Schutz und die Verteidigung der Menschenrechte erschwert und den Einsatz für humanitäre Ziele kriminalisieren möchte. Eine widerständige Praxis gegen rechts sollte diese Ebenen daher gleichermaßen im Blick behalten. Eine gründliche Beobachtung der Allianzen und Forderungen der globalen extremen Rechten hilft, deren Dynamik zu verstehen und sich rechtzeitig gegen Angriffe aus dieser Ecke zu wappnen.

Die autoritäre Rechte führt dort, wo sie in Regierungsverantwortung steht, ein hartes Regime gegen Organisationen, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind oder sich der Verteidigung menschenrechtlicher Standards verschrieben haben. Es gibt keinen Grund, dass dies nicht auch in Deutschland und Europa zunehmend so sein wird. Wem eine an Menschenrechten und Emanzipation orientierte Politik wichtig ist, der oder die muss sich daher den Machtansprüchen der Globalen Rechten entgegenstellen. Dabei sollten wir versuchen, von jenen zu lernen, die aktuell der extremen Rechten widerstehen oder ihre destruktive Macht bereits erfolgreich zurückgedrängt haben. Wir haben die große Chance, Erfahrungen emanzipativer, linker, feministischer Bewegungen in Polen, in Brasilien, in Italien oder in Argentinien und anderswo zum Vorbild zu nehmen.

Netzwerke gegen rechts

Spätestens seit der CORRECTIV-Recherche über die „Remigrationspläne“ der AfD sowie im Kontext der Wahlen 2024/25 in Deutschland, Europa und den USA nimmt das Interesse am Agieren rechter Netzwerke zu. Extrem rechte Parteien und Bewegungen, Medien und gewalttätige Gruppen haben inzwischen vielerorts Einfluss auf die Politik. In den vergangenen Jahren konnten wir eine globale Vernetzung zwischen diesen Akteuren beobachten. Immer öfter wird über Medien, Konferenzen oder Partnerschaften berichtet, die die immer gleichen, rechten Narrative verbreiten: gegen Migration und Feminismus, Leugnung des Klimawandels, Kampf gegen die Linke.

Möglich wird die Berichterstattung darüber auch durch die Arbeit aktivistischer Netzwerke, die außerparlamentarische Umtriebe der AfD aufdecken und internationale Verbindungen sichtbar machen. medico unterstützt bereits seit 2022 das Monitoring rechter Strukturen in Deutschland, Europa und weltweit – aktuell mit dem Projekt „Research Against Global Authoritarianism“. Die Recherchen stärken die solidarische, menschenrechtsorientierte Öffentlichkeit gegen die Aktivitäten der extremen Rechten.

Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 3/2024. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!

Ulli Jentsch

Ulli Jentsch ist Journalist und Researcher. Seit Jahrzehnten ist er in der antifaschistischen internationalen Zusammenarbeit aktiv, in deren Zentrum aktuell die europäischen und globalen Beziehungen und Strategien der AfD stehen.


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