Seine Entscheidung wurde – bereits bevor sie am Abend des 6. Dezember in einer Rede offiziell gemacht wurde – von den Medien und Politiker*innen umfassend kommentiert. Bei manchen war die Rede davon: „bisher war es Konsens, dass Jerusalem nicht als Israels Hauptstadt anerkannt wird“ oder „bisher galt, dass der Status Jerusalems nur im Rahmen eines Abkommens zwischen Israelis und Palästinensern geregelt werden kann“. Das klingt fast so, als sei dies von jetzt an nicht mehr Konsens. Es ist leider richtig, dass Trump damit der ohnehin schon nicht mehr realistischen Zwei-Staaten-Lösung „den Todeskuss“ gegeben hat, wie der palästinensische Vertreter in Washington, Hussam Zumlot, anmerkte – zumindest vonseiten der USA.
Trotzdem und gerade deshalb darf das nicht den Konsens infrage stellen, der unter der Mehrheit der Staaten ja weiterhin besteht. Es darf Trump und anderen Politikern nicht erlaubt werden, aus Menschenrechten und Völkerrecht einfach das Recht des Stärkeren zu machen. Uwe Becker, CDU-Politiker und Bürgermeister in Frankfurt am Main, hat die Entscheidung Trumps bereits vorweggenommen, als er im Sommer die „Wiedervereinigung“ der Stadt feierte und damit eine Haltung einnahm, die der der Bundesregierung und seiner eigenen Partei widerspricht. Und wenn Trump in seiner Rede sagte, die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt sei „nicht mehr oder weniger als die Anerkennung der Realität“, so erinnert auch das an Uwe Becker und seine Aussage, „dass auch die Weltgemeinschaft dies über kurz oder lang akzeptieren muss.“
Das ist weder logisch noch konsistent. Noch am 21. Mai hob Präsident Trump bei seiner Rede in Riad quasi die Allianz aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Jordanien und Ägypten gegen den Iran und Qatar mit aus der Taufe. Diese Verbündeten stößt er jetzt nicht nur vor den Kopf, sondern erschwert es ihnen massiv, die Zusammenarbeit mit den USA und die Annäherung an Israel (im Fall der Emirate und Saudi-Arabiens) innenpolitisch zu vertreten. Zumindest letzteres kann ihm gleichgültig sein, weil in diesen Ländern die Opposition keine Rolle spielt, es Trump nicht um Menschen- oder Bürgerrechte geht und die Regierungen von Kairo bis Dubai im Zweifelsfall den Unmut in der Bevölkerung sowieso unterdrücken.
Rückkehr ins Faustrecht
Würden alle nach dieser Logik Politik betreiben, fielen wir ins Faustrecht zurück. Der Stärkere schafft Fakten, die eine neue, andere Realität konstituieren, die wir alle dann – Überraschung! – als Realität akzeptieren sollen, weil das die neue Faktenlage erfordere. Aus der gewaltsamen Schaffung von Fakten leitet sich doch nicht die Legitimität dieser veränderten Wirklichkeit ab. Faktizität konstituiert nicht Recht. Das Recht ist ja genau dazu da, vor gewalttätiger Veränderung zu schützen, also gewaltsam geschaffene Tatsachen als illegitim zu markieren und ihre Rücknahme durchzusetzen.
Die Herangehensweise ist aus einem weiteren Grund nicht logisch. Trump sprach davon, dass alte Herausforderungen neue Ansätze bräuchten. Präsidenten vor ihm hätten 20 Jahre lang die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt und die Verlegung der US-Botschaft aus Tel Aviv aufgeschoben, immer im Glauben, dass dies dem Frieden dienlich sei. „Und trotzdem, die Bilanz liegt vor. Nach 20 Jahren der Aussetzung [des Jerusalem Embassy Act von 1995] sind wir nicht näher an einem beständigen Friedensabkommen zwischen Israel und den Palästinensern.“
Das ist völlig richtig, und dafür gibt es handfeste Gründe: Einer wäre, dass die Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten nicht die Rolle eines unparteilichen Vermittlers gespielt haben, sondern im Zweifelsfall die eigenen Interessen immer eher im Einklang mit den Interessen der diversen israelischen Regierungen gesehen haben. Deshalb haben sie israelische Interessen mit verteidigt anstatt auf eine Einhaltung des Völkerrechts zu beharren und beispielsweise ihre massive Unterstützung Israels an Fortschritte im Friedensprozess und die Einhaltung der Menschenrechte zu koppeln. Trump sieht in der Anerkennung Jerusalems einen neuen Ansatz, und auch die Medien haben nicht Unrecht, wenn sie darin eine Kehrtwende der US-Nahostpolitik sehen. Schließlich wird damit eine Haltung aufgegeben, die seit 1947 Bestand hatte: Ganz Jerusalem war laut UN-Teilungsplan von 1947 als Corpus Separatum vorgesehen und sollte als international verwaltete Stadt allen zugänglich bleiben. Ihr Status, auch der des Westteils, ist völkerrechtlich umstritten. Aus palästinensischer und arabischer Sicht ist die Haltung der USA unter Trump jedoch kein völlig neuer Ansatz, sondern mehr vom selben – nur schlimmer, weil jede Mäßigung wegfällt und ausgerechnet das Land, das sich selbst als Meinungsführer der „freien Welt“ und als globale Schutzmacht von Demokratie und Freiheit gesehen hat, den Dammbruch herbeigeführt hat, der im israelisch-palästinensischen Konflikt zu einer weiteren beschleunigten Erosion von Völkerrecht und Menschenrechten führen könnte. Die Philippinen und Tschechien, letzteres immerhin Mitglied der EU, haben bereits Interesse bekundet, ihre Botschaften ebenfalls umzusiedeln.
Der US-Präsident schloss seine Rede unter anderem mit den Worten „Gott segne die Palästinenser“. Diesen Segen werden sie jetzt umso dringender brauchen, denn Donald Trump sind sie und ihre Rechte offenbar genauso egal wie die von Millionen US-Amerikaner*innen, denen er jetzt nach mehreren erfolglosen Versuchen doch noch die Krankenversicherung genommen hat, während er für die Reichsten umfassende Steuergeschenke verabschieden ließ. In seinem eigenen Land wie im Nahen Osten hat diese Politik rein gar nichts mit Frieden und Ausgleich zu tun. Es herrscht bereits das Recht des Stärkeren.