„EU will bei Fluchtursachen intensiv mit afrikanischen Diktaturen kooperieren“, erklärte die Redaktion des wdr-Magazins Monitor vor wenigen Tagen. Am Beispiel von Eritrea, Sudan und Südsudan zeigt der Beitrag, wie durch die Kooperation der EU mit Despoten das Credo von der Bekämpfung der Fluchtursachen ad absurdum geführt wird.
Auch der Niger ist verstärkt in den Fokus der europäischen Migrationspolitik gerückt, die darauf zielt, Flucht und Migration nach Europa bereits in Afrika zu verhindern.
Hassane Boukar von der Abteilung Politik des Journalistennetzwerkes „Alternative Espaces Citoyens du Niger“ kommentiert die angestrebte enge Zusammenarbeit und die fatalen Konsequenzen für Schutzsuchende. Der Journalist beschäftigt sich seit langem mit der Migrationsthematik und steht in engem Austausch mit den medico-Partnerorganisationen AME in Mali und AMDH in Mauretanien. In einem regionalen Netzwerk setzen sie sich ein für mehr Transparenz in Migrationskontrolle und -management.
Aggressive Maßnahmen gegen Migration
Niger ist dabei, seinen maghrebinischen Nachbarn die Schau zu stehlen, wenn es um die Kriminalisierung von MigrantInnen geht. Unter dem Druck der Europäischen Union hat Niamey den wiederholten Forderungen der westlichen Länder nachgegeben, die Migration von Afrikanerinnen Richtung Europa durch ein Arsenal von aggressiven Maßnahmen einzudämmen.
Die nigrische Regierung hat diese merkwürdigen Entscheidungen ohne einen Dialog mit der Zivilgesellschaft getroffen. Diese fortgesetzte Verschärfung, just begonnen mit Amtsbeginn des neuen Innenministers Hassoumi Massaoudou, der für seine harten Methoden bekannt ist, beunruhigt Menschenrechtsverteidiger.
Illegalisierung von Schleusung und Grenzübertritt
Seit der Entdeckung des tragischen Todes von 92 MigrantInnen im Oktober 2013 in der Sahara verstärken die politischen Autoritäten im Niger ihre feindseligen Handlungen gegenüber MigrantInnen. Am 11. Mai 2015 wurde mit einem Gesetz, das das Schleusen von MigrantInnen illegalisiert, ein weiteres Instrument ins Leben gerufen, das drakonische Maßnahmen gegenüber MigrantInnen ermöglicht.
Das Gesetz hat drei Ziele: Vorbeugung und Bekämpfung der illegalen Schleusung von MigrantInnen; Förderung und Erleichterung der nationalen und internationalen Zusammenarbeit, um diese Ziele zu erreichen; und Schutz der Rechte von MigrantInnen gegenüber Schleusern. Bei der Einführung dieses Gesetzes betonte der Justizminister, dass das Gesetz neben der Unterstützung von MigrantInnen vor allem die "Bekämpfung der unautorisierten Einwanderung durch strafrechtliche Sanktionen gegen den illegale Grenzübertritt" zum Ziel hat. Auch schafft das Gesetz die Voraussetzung für die Schaffung von Zentren, die dafür bestimmt sind, irreguläre MigrantInnen vorübergehend unterzubringen, während sie auf die Abschiebung in ihre Heimatländer warten.
Mehr Schaden als Nutzen für Schutzbedürftige
Anstatt „Leben zu retten“, wie die Regierung und die EU die Zielsetzung der Politik beschreiben, führt die repressive Politik dazu, dass MigrantInnen andere, gefährlichere Routen benutzen und erhöht die Gefahr von Todesfällen. Es ist außerdem allgemein bekannt, dass Stacheldraht, hohe Mauern und hochmoderne Überwachungstechniken es nicht schaffen, MigrantInnen abzuhalten. Entgegen den Behauptungen der Sensibilisierungskampagnen, kennen die meisten MigrantInnen die mit der Migration verbundenen Gefahren. Einige treten die gefährliche Reise durch die Sahara trotz dieser Gefahren mehrfach an.
Insgesamt ist also leicht zu erkennen, dass die Rechtsinstrumente, die eine Verbesserung der Steuerung der Migration zum Ziel haben, mehr Schaden als Nutzen für diejenigen gebracht haben, die sie schützen sollten.
Niger als vorgelagerter Polizist der EU
Die Veröffentlichung der EU-Migrationsstrategie am 13. Mai 2015 und der darauffolgende Besuch des französischen Innenministers, Bernard Cazeneuve, in Niamey, räumten alle Zweifel an der Kooperation von EU und Niger beim Aufbau von „Aufnahme- und Rückkehrzentren“ aus. Die G5-Staaten der Sahel-Region1/typo3/ planen, mit der Unterstützung von spezialisierten Agenturen wie Europol und Frontex „vorgelagert“ zu agieren, um „kriminelle Netze zu zerschlagen und die illegale Einwanderung wirksam zu bekämpfen“.
In der Abschlusserklärung des EU-Treffens wurde schwarz auf weiß erklärt, dass im Niger „Zentren zur Vorbeugung der Ausreise und zur unterstützten Rückkehr von MigrantInnen entstehen sollen, die unter der Schirmherrschaft der Internationalen Organisation für Migration (IOM) stehen und eng mit den nigrischen Behörden zusammen arbeiten wird“. Die IOM verfügt bereits über Aufnahme- und Transitzentren in bedeutenden Städten im Norden, die eine wichtige Rolle bei der Zwangsrückführung von nigrischen MigrantInnen aus Algerien spielen.
MigrantInnen als Verhandlungsmasse
Die Praxis der bilateralen Kooperationsabkommen mit Klauseln für die Aufnahme oder Rückführung von MigrantInnen ist nichts Neues. In den letzten Jahren wurden MigrantInnen zu einer Art Verhandlungsmasse zwischen der EU und den Herkunftsländern. Nach der Zerstörung von Libyen, das die Rolle des Polizisten gespielt hatte, hat der Westen jetzt beschlossen, dem Niger die gleiche Rolle zukommen zu lassen, und dies durch finanzielle Anreize zu erzielen. Halten nigrische Autoritäten ihre Bürgerinnen innerhalb der Landesgrenzen, so ist dem Niger europäische Unterstützung in bestimmten Bereichen der Zusammenarbeit sicher.
Weit entfernt davon, sich mit diesen repressiven Maßnahmen zufrieden zu geben, hat die EU Niger erneut dazu aufgerufen, in seinem Kreuzzug gegen die MigrantInnen aufs Tempo zu drücken. So sollte nach dem Entwurf der neuen europäischen Migrationspolitik Niger auch nicht-nigrische Staatsangehörige, die in Europa unerwünscht sind, aufnehmen. Wenn dies wie geplant in 2016 verwirklicht wird, würde Niger ein riesiges Freiluftgefängnis für MigrantInnen werden.
Aus dem Französischen von Lisa Schnell und Sabine Eckart.
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1 Die G5-Staaten der Sahel-Region (“G5 du Sahel“) sind ein Zusammenschluss von Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad. Im G5-Rahmen soll die Politik der fünf Länder in den Bereichen Entwicklung und Sicherheit besser aufeinander abgestimmt und koordiniert werden.