Genozid-Erinnern

Schuld und Staatsräson

18.07.2024   Lesezeit: 6 min

In Dresden wird eine Ausstellung zu den deutschen Kolonialverbrechen in Namibia vor ihrer Eröffnung wieder abgebaut. Ein Lehrstück deutscher Nicht-Erinnerungspolitik.

Von Julia Manek

In der Ausstellungshalle der Staatlichen Kunstsammlung Dresden stehen sich zwei deutsche Uniformen gegenüber. Auf der einen Seite steht die Nachbildung einer kolonialen Uniform der Schutztruppen aus dem damaligen Deutsch-Südwestafrika, auf der anderen Seite eine Uniform der ehemaligen DDR. Die Uniformen stehen sinnbildlich für die Verflechtungen von Vergangenheit und Gegenwart, die in der Ausstellung „Das Jahr 1983“ sichtbar werden sollen. Die Kuratorin Dr. Zoé Samudzi schreibt auf Social Media, es gebe eine Tendenz, die deutsche Geschichte als eine Aneinanderreihung aus unverbunden nebeneinanderstehenden Epochen zu verstehen, von denen jedoch jede für sich deutsche Außergewöhnlichkeit reklamieren würde. Sie konstatiert, dass diese Annahme falsch sei.

Die Uniformen der Kolonialtruppen wurden zunächst von jenen getragen, die die deutschen Vernichtunsgsbefehle gegen Ovaherero und Nama ausführten, was zum ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts führte. Offiziell wird dieser Völkermord auf die Jahre von 1904-1908 datiert. Heute noch tragen Nachfahren der Überlebenden diese oder ähnliche Uniformen zu Erinnerungszeremonien und Protestmärschen – auch als Zeichen des Widerstands gegen die anhaltenden Folgen der kolonialen Gewalt. Demgegenüber wurden die deutschen DDR-Uniformen von den Kämpfer:innen der SWAPO  im Befreiungskrieg des heutigen Namibia vom südafrikanischen Apartheidregime getragen.

Besagte Uniformen, weitere Objekte und Installationen von Zoé Samudzi und dem Berliner Forschungskollektiv Forensis füllen den Ausstellungsraum. Alles ist aufgebaut für die Ausstellungseröffnung am 19. Juli, zu der es nicht kommen wird. Nach einer überraschenden Konfrontation mit der Staatlichen Kunstsammlung Dresden entschied sich Zoé Samudzi dazu, die Ausstellung abzusagen.

Keine Anerkennung

Im Zentrum des Konflikts steht die Aussage in der Ausstellung, Deutschland habe den Genozid an den Ovaherero und Nama im heutigen Namibia nur teilweise anerkannt. In „Das Jahr 1983“ unterstreichen Zoé Samudzi und Forensis die anhaltenden Folgen der kolonialen Gewalt. Sie kritisieren das Ausbleiben einer völkerrechtlich relevanten Entschuldigung und das Ausbleiben von Gerechtigkeit gegenüber den Nachfahren der Überlebenden des Genozids. Mit dieser Kritik sind sie nicht allein: Aus Namibia bezieht Sima Luipert von der Nama Traditional Leaders Association (NTLA) scharf Stellung gegen den Umgang der deutschen Bundesregierung mit den Kolonialverbrechen. Sie kritisiert die 2021 veröffentlichte gemeinsame Erklärung Namibias und Deutschlands. Statt der bedingungslosen Anerkennung des Völkermords wird darin von einem Genozid „aus heutiger Perspektive“ gesprochen. So ist es in der Ausstellung auch wiedergegeben.

Von Deutschland wird die gemeinsame Erklärung als „Versöhnungsabkommen“ bezeichnet. Doch von Versöhnung, so Sima Luipert, sei keine Spur. Stattdessen sei die gemeinsame Erklärung ein durch und durch rassistisches Dokument, mit dem Deutschland sich unter Ausschluss der Nachfahren der Überlebenden von der Schuld der kolonialen Verbrechen reinwaschen wolle. Sie fügt hinzu: „Solange wir nicht in die Verhandlungen einbezogen werden, solange es keine Anerkennung, keine Entschuldigung, keine Entschädigung gibt, ist der Genozid für uns nicht vorbei“. Rückendeckung für diese Position kam im Februar 2023 von sieben UN-Sonderberichterstatter:innen: Sie teilten die Argumentation Vertreter:innen der Nama und Ovaherero hinsichtlich der gemeinsame Erklärung und haben die Bundesregierung aufgefordert, unter Einbezug der Nama und Ovaherero in neue Verhandlungen einzutreten und den Genozid als solchen anzuerkennen. Deutschland aber weigert sich.

Opfergruppen werden ausgespielt

Die Staatliche Kunstsammlung Dresden indes sah dies anders. Damit konfrontiert, Inhalte der Ausstellung kurz vor Eröffnung an Vorgaben des Ausstellungshauses anzupassen, entschied sich die Kuratorin, die Ausstellung diese lieber abzusagen. Rückhalt für diese Entscheidung erhielt sie sowohl von der Ovaherero Genocide Foundation und der Nama Traditional Leaders Association als auch von Forensis. In ihrem Statement zur Absage schrieb Zoé Samudzi, sie wolle keine Zusammenarbeit eingehen, die zwar vordergründig die Relevanz dekolonialen Denkens betone, jedoch den Betroffenen die Deutungsmacht über ihre eigene Geschichte abspreche.

Die Staatliche Kunstsammlung Dresden schreibt in einer Stellungnahme, die Absage sei auch ein Kennzeichen dafür, wie belastend und belastet der Völkermord an den Ovaherero und Nama bis heute sei. Weiter heißt es: „Das Scheitern unserer Aushandlungen ist Ausdruck und Ergebnis auch von Ängsten, Missverständnissen und gegenseitigem Misstrauen – in einer Zeit, in der Kuratorinnen, Künstler und kulturelle Institutionen einem immensen Druck und Instrumentalisierungsversuchen aus unterschiedlichsten Richtungen ausgesetzt sind.“

Die Absage der Ausstellung passierte nicht im luftleeren Raum. Gut eine Woche zuvor war im Kanzleramt das Konzept der Kultusministerin für eine erinnerungskulturelle Wende begraben worden. Das gerade erst von Claudia Roth in den offiziellen staatlichen Gedenkrahmen aufgenommene Erinnern an die deutschen Kolonialverbrechen wurde herausgerupft, bevor es überhaupt richtig Einzug gehalten hatte. Es passt nicht in die deutsche Staatsräson. So werden die Erinnerung an die verschiedenen von Deutschland begangenen Verbrechen, die Opfergruppen und auch Kulturschaffende in immer engeren Meinungskorridoren gegeneinander ausgespielt. Diese Dynamik scheint auch das Verhalten der Staatlichen Kunstsammlung Dresden bestimmt zu haben. Ihr Dilemma mag so nachvollziehbar werden, es bleibt jedoch falsch.

Und es spielt den Rechten in die Hände, denn das Ausblenden der kolonialen Verbrechen in der deutschen Erinnerungspolitik flankiert ihr Projekt, die Menschenverachtung wieder salonfähig zu machen. Die Konzentrationslager und die Zwangsarbeit für die deutsche Wirtschaft werden von AfD und Co. nicht unmittelbar geleugnet, sondern in ein positives Licht gestellt, gar von ‚Errungenschaften‘ gesprochen. Wenn man sich für den Nazi-Großvater nicht schämen soll, warum dann für den kolonial-rassistischen Urgroßvater?

So spielt sich die Auseinandersetzung mit Autoritarismus, Rechtsruck und faschistischen Tendenzen auch auf dem Feld der Erinnerungspolitik ab. Doch bleibt die Frage offen, was eine Erinnerungspolitik, der Gerechtigkeit für die Nachfahren der Überlebenden ein zentrales Anliegen ist, leisten kann und sollte. Unsere Partner:innen von Forensis konstatieren dazu: Eine Erklärung allein kann dem nicht Genüge tun. Eine rein formelle Anerkennung – ohne materielle Wiedergutmachung, ohne Restitution, ohne Rehabilitation, ohne den Schutz zentraler Gedenkorte – ist keine Anerkennung. Diese Forderungen gehören auf die Agenda des Kampfs gegen rechts.

Die Zukunft der Vergangenheit

Ihren ursprünglichen Ausstellungsbeitrag zu „Das Jahr 1983“ zeigen Forensis nun im digitalen Raum. Ihre Intervention besteht aus einer 3D-Rekonstruktion von Shark Island. Im Konzentrationslager auf der „Haifischinsel“ im Süden Namibias tötete das grausame Zusammenspiel von Zwangsarbeit, Gewaltverbrechen der Kolonialtruppen und extremer Umweltbedingungen die Mehrzahl der dort internierten Nama und Ovaherero – bis zu 3.000 Menschen. Archäologischen und geologischen Untersuchungen von Forensis zufolge liegen in der Erde der Insel noch immer Hunderte menschliche Gebeine.

Auf Shark Island hat die koloniale Vergangenheit indes prägnante Aktualität, die droht, bis weit in die Zukunft zu reichen. Auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers wird ein Campingplatz betrieben, auf dem die überwiegend aus Deutschland kommenden Tourist:innen ihre allradbetriebenen Safarigefährte abstellen. In zehn Jahren wiederum soll von Shark Island Grüner Wasserstoff nach Deutschland exportiert werden, um die ersehnte Dekarbonisierung der deutschen Industrie voranzutreiben. Vom Ausbau der Hafenanlagen, die es für diesen Export benötigt, droht Shark Island vollkommen überbaut zu werden. Deutschland lässt nicht locker.

German Colonial Genocide in Namibia: Shark Island

This investigation examines one of the most traumatic chapters in this history: the legacy of Shark Island, the site of the deadliest concentration camp established by the Germans in the colony known at the time as ‘German South West Africa’. Together with descendants of victims and survivors, medico's partner organization Forensic Architecture reconstructed the camp in unprecedented detail and identified burial sites dating back to the period of the genocide.

Julia Manek

Julia Manek ist Psychologin und Humangeographin. In der Öffentlichkeitsarbeit von medico international ist sie als Referentin für psychosoziale Arbeit tätig.

Twitter: @ju_manek


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