Sommerlochblog

Verzichtsgesellschaft?

22.07.2019   Lesezeit: 3 min

Christian Lindner, E-Scooter und Kolonialismus in der Klimakatastrophe. Von Anne Jung.

Im Sommerlochinterview zum Beginn einer Woche, in der landesweit Temperaturen bis 40 Grad erwartet werden, machte FDP Chef Christian Linder klar: „Wir wollen keine Verzichtsgesellschaft“. „Askese und Verbote“ seien der falsche Weg und „Weltuntergangsszenarien“ würden auch nicht gebraucht. Was so lapidar als typische FDP Haltung daher kommt, lohnt einen genaueren Blick.

Aggressive Verteidigung der imperialen Lebensweise

Zunächst das Offenkundige. Deutschland - und alle anderen Industrienationen - sind Lichtjahre davon entfernt, eine Verzichtsgesellschaft zu sein. Auch und gerade in Zeiten der Klimakatastrophe verteidigt Deutschland die Konsumgesellschaft auf Biegen und Brechen. Wir alle wissen darum. Biotrend und Green Economy hin oder her, fast 50 Millionen Autos sind auf deutschen Straßen unterwegs, darunter immer mehr SUVs. Ein SUV, das sind zwei Tonnen Stahl, um 70 Kg Mensch durch die Gegend zu fahren. Der Reifenabrieb von Autos ist Hauptverursacher des Mikroplastiks in den Weltmeeren. Jeder Deutsche produziert im Schnitt 37 Kilo Plastikmüll pro Jahr, Tendenz steigend. Das reicht weltweit für einen stolzen vierten Platz. Machen wir uns doch nichts vor. Wir sind die Hauptverursacher der globalen Gefahren, den die Klimakatastrophe über die Welt bringt. Das Schreckgespenst einer streng enthaltsamen und entsagenden Gesellschaft, die Lindner mit seiner Warnung vor der Askese aufruft entpuppt sich als pure Ideologie, als aggressive Verteidigung unserer imperialen Lebensweise.

Die Kolonialität der Klimakrise

Was das sein soll? Eine Antwort darauf finden wir Großstadtbewohner*innen in diesen Tagen, wenn wir das Haus verlassen und der erste E-Scooter an uns vorbeibraust. E-Scooter enthalten Nickel, Kobalt und Lithium. Wertvolle Rohstoffe, die aus Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo stammen und deren Abbau mit schweren Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden einhergeht.

Sie lösen also keineswegs Umweltprobleme – im Gegenteil. Niemand braucht E-Scooter. Wer so fit ist, dass er auf dem E-Scooter stehen kann, der kann auch Fahrradfahren.

In der Auslagerung von Umweltkosten in den Globalen Süden bei der gleichzeitigen Konzentrierung von Gewinnen aus Naturausbeutung in Europa zeigt sich die Kolonialität der Klimakrise!

Im Kongo, einem der wichtigsten Herkunftsländer für unsere Rohstoffe fahren die Menschen in den Metropolen keine E-Scooter, sondern Holzroller, sogenannte Chukudus. Damit transportieren die Menschen schwere Lasten und kämpfen sich durch die smogverseuchten Straßen. Spaßig untermalt von Musik brachte der ARD Weltspiegel am Sonntag einen Beitrag über die Chukudus, ohne mit einem Wort zu erwähnen, dass die Menschen dort Holzroller fahren müssen, weil die Ressourcen ihres Landes exportiert werden, damit wir hier just for fun mit E-Scootern rumfahren. Vielleicht können Chukudus eines Tages sogar fliegen, schloss der Bericht humorvoll ab. Ob bewusst oder unbewusst, mit so einem Beitrag reiht sich der Weltspiegel ein in die Ideologie der imperialen Lebensweise.

Auch wenn es diese Woche heiß wird hierzulande: Wir sitzen eben nicht alle im gleichen Boot. Unsere Welt wird als letzte untergehen, weil wir unsere Lebensweise verteidigen können. Den Preis zahlen die Menschen im globalen Süden, die nicht flüchten können, deren Welt im Meer versinkt, die in den Metropolen ihrer Länder kein Geld haben, um Wasser zu kaufen.

Der UN-Sonderbeauftragte für extreme Armut bringt es auf den Punkt, er skizziert eine Zukunft der Klimaapartheid, in der sich die Reichen der Welt von den globalen Risiken freikaufen können. Vor dem Hintergrund ist die Aussage von Lindner, dass wir keine Weltuntergangsszenarien brauchen, einfach nur zynisch.

Die Klimakatastrophe kann von rechts nur negiert oder bewusst in Kauf genommen werden - wie von Lindner. Wir sind die Sintflut, egal.

Um der Klimakatastrophe ernsthaft zu begegnen  muss es darum gehen, eine umfassende Umwandlung der Gesellschaft zu erstreiten, die die ökologischen und sozialen Probleme gemeinsam angeht. Das geht nur global.

Anne Jung (Foto: medico)

Anne Jung leitet die Öffentlichkeitsarbeit bei medico international. Die Politikwissenschaftlerin ist außerdem zuständig für das Thema Globale Gesundheit sowie Entschädigungsdebatten, internationale Handelsbeziehungen und Rohstoffe.

Twitter: @annejung_mi


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