Care Worker wehren sich

Care Revolution in Südafrika

13.04.2015   Lesezeit: 8 min

In Südafrika stehen Gesundheitsarbeiter_innen vor Gericht, weil sie für würdige Arbeitsbedingungen und Anerkennung kämpfen. medico-Partner unterstützen sie.

von Usche Merk

Plötzlich sehe ich, wie Rebecca Masiza einen Kreislaufkollaps bekommt und schnell nach draußen gebracht wird. Kolleginnen bringen ihr Wasser und versuchen sie zu beruhigen. Sie zittert und auf einmal weint sie laut und verzweifelt. Ein Krankenwagen muss gerufen werden, sie kann sich nicht beruhigen. Tränen sehe ich auch in anderen müden Gesichtern, Verzweiflung und Fassungslosigkeit.

Seit mehr als 24 Stunden ist Rebecca Masiza auf den Beinen. Über 500 Gesundheitshelfer_innen (Community Care Worker, CCW), vor allem Frauen zwischen 30 und 50, sind aus allen Landesteilen am Abend zusammengekommen, um am nächsten Morgen zum Gericht in der südafrikanischen Provinzhauptstadt Bloemfontein zu marschieren, wo 117 von ihnen wegen illegaler Versammlung angeklagt sind.

Unterstützt werden sie von Gesundheitsaktivist_innen der Treatment Action Campaign (TAC), von section 27, dem People’s Health Movement und anderen Organisationen. Sie alle fordern, dass die Anklagen fallengelassen werden. Statt die Care Worker zu kriminalisieren soll der Gesundheitsminister der Provinz Free State zurücktreten – so die Forderung.

Kriminalisierung der Care Worker

Hintergrund der heftigen Auseinandersetzung ist die Entlassung von Hunderten von Care Workern im vergangenen Jahr als Teil einer völlig verfehlten Gesundheitspolitik, gegen die Betroffenen protestierten. Als letzten verzweifelten Versuch, über ihre Entlassungen und die Gesundheitspolitik zu sprechen, zogen sie im Juli 2014 zu einer friedlichen Nachtwache vor das Gesundheitsministerium und forderten, den Minister zu sprechen.

Doch statt eine vernünftige Antwort zu erhalten, wurden sie in Polizeiautos verfrachtet und ins Gefängnis gebracht – darunter alte Frauen, die sich ihr Leben lang für die Gesundheit ihrer Gemeindemitglieder einsetzten, oft nur für ein mageres Taschengeld.

Nachdem die Anwälte von section 27 die Freilassung der Verhafteten durchsetzten, wurden sie angeklagt. Jede juristische Bemühung, diese politisch motivierten Anklagen, die noch auf einem alten Apartheidgesetz beruhten, fallenzulassen, wurde verweigert. Schon dreimal wurde ein Prozesstermin angesetzt und wieder vertagt.

„Diese 117 Angeklagten sind keine Kriminellen. Es sind außerordentlich engagierte, fürsorgliche, tapfere Menschen, die sich viele Jahre unter entwürdigenden Arbeitsbedingungen mit wenig oder keiner Bezahlung für die ärmsten und schutzlosesten Gemeinden in Südafrika eingesetzt haben,“ erklärt Opanyana Mohutsioa, der regionale Vertreter von TAC. „ Wir glauben dass diese ungerechten Anklagen Strafmaßnahmen sind, weil sie gewagt haben, den örtlichen Gesundheitsminister öffentlich anzuklagen“.

Kämpferisch zum Prozess

Jetzt sollten alle 117 Care Worker vor Gericht erscheinen, der Termin war um 11 Uhr angesetzt. Um pünktlich da zu sein und als öffentlicher Protestzug vor Gericht zu ziehen, reisen alle am Tag vorher an und treffen sich abends zu einer Nachtwache – die Care Worker kommen aus allen Regionen der Provinz Free State, die Unterstützer_innen aus ganz Südafrika.

Wir treffen uns in einem großen Saal, der sich langsam füllt. Alte und junge Care Worker, erfahrene TAC Aktivisten und interessierte junge Leute sind zu sehen, die Stimmung ist kämpferisch und aufgeregt, den ganzen Abend werden alte und neue Kampflieder gesungen und getanzt, um sich Mut zuzusprechen. Gemeinsam mit den Anwälten wird öffentlich die Prozessstrategie diskutiert und über Forderungen für den Protestmarsch gesprochen.

Protest gegen schlechte Arbeitsbedingungen

Als Violet von section 27 davon erzählt, dass sie eine größere Kampagne zur Unterstützung der Community Care Worker (CCW) planen, nicht nur um die Entlassungen rückgängig zu machen sondern vor allem um bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, da gibt es viele emotionale Wortmeldungen der Gesundheitshelfer_innen: „Ich habe Tränen in den Augen als Du davon gesprochen hast, dass nur noch junge Leute mit Abitur als CCW eingestellt werden sollen. Ich habe 20 Jahre als CCW gearbeitet, bin in so viele Fortbildungsworkshops gegangen, habe lauter Zertifikate zuhause und jetzt sollen sie nichts mehr nützen und ich werde rausgeworfen? Es bricht mir das Herz, wenn ich in die Klinik komme und meine alten Patienten sehe, die immer noch hoffen, dass ich zurückkomme.“

Eine andere erzählt: „ Es ist unbeschreiblich, wie man mit uns umgeht. Nach der Entlassung habe ich einen Vertrag bei einer Mittlerorganisation bekommen, aber bis heute bin ich noch kein einziges Mal bezahlt worden“.

„Und nun sind wir auch noch angeklagt“, empört sich eine weitere Gesundheitshelferin, „das Gericht setzt uns unter Druck, dass wir die Schuld anerkennen, dann würden sie die Klagen zurückziehen. Aber dann haben wir einen Vermerk in unserer Akte und wenn wir jemals wieder bei einer Protestaktion gesehen werden, die sie nicht zugelassen habe, dann müssen wir mit empfindlichen Strafen rechnen. Wollen sie so unseren Protest ersticken?“

Krise des Gesundheitssystems

Viele der älteren Frauen haben Wolldecken mitgebracht, auf die sie sich in einer Ecke des Saals legen, um ein bisschen zu schlafen, die meisten der jüngeren bleiben die ganze Nacht wach. Früh am nächsten Morgen brechen alle zum Protestmarsch auf. Er beginnt bei einem der örtlichen öffentlichen Krankenhäuser, das in einem völlig verwahrlosten Zustand ist: Teile des Daches sind eingebrochen und haben den Aufzug zerstört, so dass die im 4. Stock liegende Intensivstation nicht mehr benutzt werden kann, Patienten liegen auf dem Boden, der mit Blutflecken bedeckt ist, viele der elementaren Medikamente und medizinischen Materialien sind nicht mehr vorrätig, eine große Zahl von Ärzten und Pflegern hat inzwischen das Krankenhaus verlassen. Die Krise im Free State Gesundheitssystem ist unübersehbar, aber der verantwortliche Minister will nichts davon wissen und wird von Parteikollegen aus politischen Gründen gestützt.

Einschüchterungen und Schikane im Gericht

Nach einem gut zweistündigen Marsch durch Township und Innenstadt kommen wir beim Gericht an. Dort ist nichts vorbereitet, die zuständige Richterin will erst am Morgen erfahren haben, dass sie diesen Fall übernehmen soll, der Staatsanwalt ist nirgends zu finden. Wir warten und warten. Es wird deutlich, dass es ein politisches Spiel ist, um die Protestierenden zu zermürben und einzuschüchtern, damit sie die Schuldanerkennung unterschreiben und der völlig haltlose Prozess nicht das Image des Ministers weiter zerstört.

Erst nach zähen Verhandlungen und Druck auch durch die Richterin erscheint der Staatsanwalt – nachdem wir schon Stunden in der Mittagshitze vor dem Gericht ausgeharrt haben. Um 14 Uhr soll der Prozess beginnen. Alle warten darauf, dass ein größerer Saal zur Verfügung gestellt wird, aber es bleibt dabei: 118 Angeklagte sollen sich in einem Raum für maximal 50 Personen einfinden.

Die Community Care Worker stehen wie Sardinen in dem Raum, der Staatsanwalt kommt kaum mehr zur Tür herein. Als Rebecca Masiza in Ohnmacht fällt haben die Umstehenden Mühe, sie überhaupt aus dem Raum herauszutragen, so voll ist er. Nach einer halben Stunde ist der Prozess vorbei – vertagt auf Anfang Juli. Dann sollen alle 117 angehört werden, die Klagen werden nicht fallen gelassen.

Andere fangen an zu weinen, der Druck und die Frustration ist einfach zu groß, die Demütigung und Respektlosigkeit, mit der die Leute behandelt werden. Selbst die grundlegenden Regeln eines fairen Prozesses werden nicht eingehalten, man lässt die Leute einfach auflaufen. Sogar hartgesottene alte TAC-Aktivist_innen sind erschüttert über die Arroganz der neuen ANC-Elite. „Da haben sie uns auf die Straße geschickt, um für Freiheit zu kämpfen, und dann zerstören sie selbst die ganzen Institutionen, bis nichts mehr funktioniert“.

Aufgeben will niemand

Draußen vor Gericht gibt es nochmal eine Lagebesprechung, einige versuchen, die Wut in eine kämpferische Rede zu fassen, aber die vorherrschende Stimmung ist Trauer, Bitterkeit und Verzweiflung. Im Juli ist es in Bloemfontein Winter und sehr kalt, da kam man unmöglich Stunden im Freien verbringen. Trotzdem – die Gesundheitshelfer_innen wollen nicht aufgeben und sich zermürben lassen. Immerhin hat die Richterin angeordnet, dass ein ausreichend großer Raum zu Verfügung gestellt werden muss. Selbst sie befand, dass dieses Verfahren unter unwürdigen Bedingungen durchgeführt wurde.

Am nächsten Tag geben die CCW zusammen mit TAC eine Presseerklärung heraus:

„Die CCW und TAC lassen sich nicht einschüchtern. Obwohl die Community Care Worker müde und hungrig sind nach 8 Monaten ohne Jobs, wird ihre Kampagne weitergehen. TAC plant einen Solidaritätsfonds einzurichten, um ein wenig Linderung zu schaffen.

Wir werden unseren Kampf für Gerechtigkeit fortsetzen und wir werden ihn gewinnen.

Wir rufen unsere internationalen Partner auf, uns bei dieser Kampagne gegen das Mobbing der Free State Regierung zu unterstützen, besonders wenn wir am 6. Juli ins Gericht zurückkehren.

Wenn die Anklagen gegen die 117 nicht fallengelassen werden, dann werden wir alle internationalen Partner dazu aufrufen, vor den südafrikanischen Vertretungen in ihren Ländern Demonstrationen abzuhalten.

Wir rufen unsere Partner und alle Menschen, die sich über die Gesundheit unserer Demokratie Sorgen machen, dazu auf, uns tausenfach bei unserem Marsch zum Bloemfontein Magistratsgericht am 6. Juli zu unterstützen. Es ist wichtig zu zeigen, dass wir diesen Missbrauch von Staatsgewalt nicht akzeptieren und die fortgesetzte Victimization der betroffenen Gesundheitshelfer_innen. Dies ist nicht die Zukunft, für die wir gekämpft haben.

Wir rufen die Medien dazu auf, den 6. Juli als Termin festzuhalten und über die Prozessvorgänge zu berichten – wenn möglich sogar als Liveberichterstattung aus dem Gerichtssaal.“

Unterstützung für die Care Worker in Südafrika

Auf der Rückfahrt spreche ich mit Mark Heywood, dem Direktor des medico-Partners section27. „Die Auseinandersetzung in Free State zeigt wie in einem Brennglas die Probleme, mit denen die Gesundheitsarbeiter_innen konfrontiert sind. Es wird Zeit, das diese Situation öffentlich wird, dass Community Care Worker sich organisieren, um für bessere und stabilere Arbeitsbedingungen zu kämpfen und dass sie dabei unterstützt werden.“

Selten habe ich das Gefühl, dass ein medico-Projekt so aktuell und notwendig ist, um eine unhaltbare Situation zu verändern. Am Montagnachmittag steigt die erschöpfte Rebecca Masiza wieder in den Bus, um die mehr als 4stündige Fahrt nach Hause anzutreten. „Ich wollte immer Krankenschwester werden“, hatte sie mir erzählt, aber sie hatte kein Geld für die Ausbildung. Deshalb hat sie über sieben Jahre als Gesundheitshelferin gearbeitet, bevor sie entlassen wurde. „Ich wollte den Kindern helfen, deren Eltern an HIV-AIDS erkrankt oder gestorben waren. Ich pflegte die kranken Eltern und half den Kindern bei den Schularbeiten. Wir haben immer nur sporadisch Geld bekommen, manchmal gab es Monate ohne Bezahlung. Jetzt habe ich wahnsinnig viele Schulden.“


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