Von Julia Neufeind
Community Health Care Worker (CHW) waren und sind eine heterogene Gruppe. Zumeist handelt es sich um laienhaft medizinisch ausgebildete, unterbezahlte Frauen, die in ihrer Gemeinde basis-medizinische und soziale Tätigkeiten übernehmen, oft unter erheblichem Risiko für die eigene Gesundheit und Sicherheit, bei sehr begrenzter technischer Ausstattung. Dabei arbeiten sie in ländlichen Gebieten, die ansonsten von medizinischer Versorgung abgeschnitten sind. Sie machen Hausbesuche und kümmern sich um die Wundversorgung, um HIV- und Tuberkulose-Kranke.
Weil sie oft alleine in die Haushalte gehen und aufgrund ihrer informellen Beschäftigung schlecht organisiert sind, sind sexuelle oder physische Übergriffe keine Seltenheit. Ihre Bezahlung ist uneinheitlich, teils gibt es Gelder über Nichtregierungsorganisationen, teils arbeiten die CHW ehrenamtlich. Ihre Lebenssituation bleibt dadurch prekär.
Katastrophale Versorgungssituation im Bereich Gesundheit
Aaron Motsoaledi, der neue progressive Gesundheitsminister Südafrikas, will die Gesundheitsversorgung zurzeit wieder ausbauen und ein umfassendes staatliches Gesundheitssystem einführen, dass allen zugänglich ist. Im Rahmen eines Reformprogramms sollen CHW als fester Bestandteil in das System integriert werden und mit Krankenschwestern und Ärzten zusammen medizinische Teams bilden und so breite Teile der Bevölkerung erreichen. In Zeiten begrenzter Gesundheitsbudgets und des Ärztemangels sollen die Arbeit der CHW genutzt, formalisiert und professionalisiert werden. Sie sollen ausgebildet und bezahlt werden, ihre Rolle soll definiert und ihre Arbeit überwacht werden.
Diese Reform ist eine Reaktion auf die katastrophale Versorgungssituation. Aktuell sind staatliche Krankenhäuser in Südafrika finanziell unterversorgt, personell und materiell schlecht ausgestattet und erheben zudem für ihre Leistungen zumeist Gebühren, die viele Südafrikaner nicht zahlen können. In ländlichen Provinzen wie dem Eastern Cape müssen Patienten teilweise monatelang auf ihre HIV-Medikamente warten, können Medikamente nicht gekühlt werden, verkehren keine Krankenwagen. Patientinnen und Patienten warten teilweise tagelang auf medizinische Behandlung, um dann abgewiesen zu werden.
Es gibt Spitzenmedizin nach europäischem Standard in Südafrika – sie ist aber nur über den privaten Sektor erhältlich, zu dem nur 17% der Bevölkerung als privat Versicherte Zugang haben. Die restliche Bevölkerung, d.h. vor allem die Arme und Schwarze in ländlichen Regionen, kann medizinische Hilfe selten oder gar nicht in Anspruch nehmen. Vor diesem Hintergrund ist eine Schwerpunktsetzung auf primäre Gesundheitsversorgung wiederholt gefordert und sind CHWs als Hauptakteure identifiziert worden. Aber die Reform stößt auf Widerstände. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Staat ein umstrittener Arbeitgeber ist, weil er die politische Dimension ihrer Arbeit ausklammert.
Blick auf eine lange Geschichte
CHWs haben eine lange Geschichte in Südafrika, die bis in die 1920er Jahre zurückreicht. Unter der rassistischen Smuts-Regierung gab es in den 1940er Jahren eine Bewegung für die Einrichtung von ländlichen Gesundheitszentren. Darüber sollten Schwarze einen Zugang zu Gesundheitsversorgung bekommen. Die Initiative scheiterte an mangelnder Umsetzung und vor allem dem Eindruck, hier werde eine Zweiklassenmedizin geschaffen, die Schwarzen schlechtere Versorgung anbiete.
Als durch die Apartheidgesetze die Lebenswelten der Weißen und Schwarzen gewaltsam getrennt wurden und die politische Organisation unter den Schwarzen voranschritt, veränderte sich auch die Rolle der CHW. Von den 1970er bis in die 1990er Jahre wurden Gesundheitsprojekte zu einem Teil des Anti-Apartheidkampfes. Über sie wurde die soziale Mobilisierung aus den Gemeinden befeuert und organisiert.
Die 1970er und -80er Jahre waren auch die Zeit, in der es international große Begeisterung für kommunale Gesundheitsversorgung gab. Die Alma Ata Deklaration 1978, die forderte, sich weltweit auf primäre Gesundheitsversorgung zu fokussieren, die kommunale Beteiligung und Entwicklung anregte und Gleichbehandlung zum Grundprinzip erklärte, erregte große Aufmerksamkeit.
Aus der Kommune für die Kommune
Die WHO formulierte 1989 ein Leitbild für CHW, das prägend wurde. Darin wurde erklärt, CHW sollten aus ihrer Kommune für ihre Kommune arbeiten, sie sollten von ihr gewählt und vom Gesundheitssystem gestützt werden und eine sehr grundlegende medizinische Ausbildung bekommen.
Die Konzepte des nationalen Gesundheitsplans 1994 nach dem Ende der Apartheid entstanden aus diesen Kämpfen und basierten auf der Primary Health Care Idee, doch mit der neoliberalen Wende 1996, die die Privatisierung im Gesundheitswesen ins Zentrum stellte, verschwanden viele dieser Ideen und Akteure.
Neueinstellungen im Kontext der AIDS-Krise
Die medizinische Grundversorgung konnte jedoch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Budgetkürzungen in einfachen Krankenhäusern führten zudem zu Demoralisierung der Gesundheitsarbeiter_innen und zur Verschlechterung der Gesundheitsversorgung.
Im Kontext der AIDS-Krise, die eine riesige Mehrbelastung des Gesundheitswesens mit sich brachte, wurden ab Anfang 2000 erneut zehntausende von Community Health Care Worker angeworben, um die Notlage zu managen - finanziert von privaten Gebern aus dem Ausland. Auf diese Weise wurden staatliche Aufgaben und Verantwortung ausgelagert und das Ausmaß der Krise unsichtbar gemacht, doch gleichzeitig die staatliche Gesundheitsversorgung völlig ausgehöhlt. Doch seit das Gesundheitsministerium sich die Gesundheitsreformen in Brasilien zum Vorbild genommen hat, könnten fortschrittlichen Ideen wieder an Kraft gewinnen.
Zum Weiterlesen
- Van Ginneken, N., Lewin, S., Berridge, V. (2010): The emergence of community health worker programmes in the late apartheid era in South Africa: An historical analysis. Social Science & Medicine, 71(6-3) S. 1110-1118
- Mooney, G.H., McIntyre, D.E. (2008): South Africa: a 21st century apartheid in health and health care? Medical Journal of Australia, 189(11-12), S. 637-40.
- Singh, P., Sachs, J.D. (2013): 1 million community health workers in sub-Saharan Africa by 2015. Lancet, 382, 363-365
- Werner, D. (1987): The Village Health Worker: Lackey or Liberator?
- Werner, D. (1992): Where there is no Doctor. A village health care handbook. Revised edition. Hesperian Health Guides
- WHO Study Group (1989): Strengthening the performance of community health workers in primary health care. Report of a WHO study group. WHO, Technical Report Series
- Schneider, H. Community Health Workers in South Africa Case Study
- Schneider, H., Hlophe, H., van Rensburg, D. (2008): Community health workers and the response to HIV/AIDS in South Africa: tensions and prospects. Health Policy and Planning, 23: 179-187
- Lehmann, U., Sanders, D. (2007): Community health workers: What do we know about them? The state of the evidence on programmes, activities, costs and impact on health outcomes of using community health workers. WHO Report. http://www.who.int/hrh/documents/community_health_workers.pdf
- Alma Ata Erklärung WHO 1978, International Conference on Primary Health Care http://www.euro.who.int/en/publications/policy-documents/declaration-of-alma-ata,-1978
- Dor, G., Fon, S., Kelly, J. et al. (Hrsg.) (1995): The new South Africa – now for delivery. Critical Health, 47
- People’s Health Movement (2014): Global Health Watch 4: An Alternative World Health Report. ZedBooks, London, S. 120-126, S. 134-146, S. 309-318
- TAC/Section 27: Death and dying in the eastern cape. An investigation into the collapse of a health system. TAC/SEction 27 NSP Review
- www.sahistory.org.za