Fürsorge & Emanzipation

Care Worker in Südafrika organisieren sich

13.04.2015   Lesezeit: 7 min

Südafrikanische Gesundheitshelfer_innen sind unverzichtbar - und leiden unter schlechten Arbeitsbedinungen. Jetzt wehren sie sich gegen schlechte Arbeitsbedinungen. medico unterstützt sie dabei.

„Es reicht. Wir wollen nicht mehr freiwillige Helferinnen genannt werden.“ Seipati M. ist jeden Tag in Vlakfontein in der entlegenen südafrikanischen Provinz Limpopo unterwegs. Zu Fuß geht sie von Haus zu Haus, um nach den chronisch Kranken in den Familien zu schauen – meist Tuberkulose- oder Aidserkrankte. Sie überwacht die Medikamenteneinnahme, wäscht die Bettlägerigen und organisiert Hilfe bei Notfällen.

Oft ist sie die Einzige, die nach den Kranken schaut, weil die Familien so mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt sind. Dann findet sie die Patientinnen und Patienten hungrig vor und nicht selten gibt sie ihnen ein Stück Brot aus der eigenen Tasche. „Ich kann ihnen doch die Medikamente nicht auf nüchternen Magen geben“ sagt sie.

Braucht sie einen Krankenwagen, so muss sie oft Stunden warten, manchmal kommt gar keiner. Dann versucht sie die Kranken auf eigene Faust in die Klinik zu bringen. „Dort muss ich oft kämpfen, dass die Krankenschwestern sich um meine Patienten kümmern, weil sie so beschäftigt sind. Sie ignorieren mich und sagen ich bin nur eine Freiwillige, ich habe ihnen nichts zu sagen.“

Community Care Worker: Bindeglied zwischen Gemeinde und staatlicher Versorgung

Seipati M. ist eine sogenannte Home Based Health Carer, eine der über 70.000 Gemeindegesundheitshelfer, ohne die die Gesundheitsversorgung in Südafrika längst zusammengebrochen wäre. Community Care Worker (CCW)[1] sind auf vielfältige Weise als Bindeglied zwischen Gemeinde und staatlicher Versorgung eingebunden: Außer in der häuslichen Betreuung von Kranken und der Überwachung von Mangelernährung bei Kindern kümmern sie sich um vernachlässigte Kinder und Waisen, sind erste Anlaufstelle für Gewaltopfer in den Gemeinden und klären über Krankheitsursachen und Präventionsmaßnahmen auf.

Trotz dieser wichtigen Rolle verrichten sie ihre Arbeit unter extrem prekären und belastenden Bedingungen. Es gibt keinerlei Mindeststandards in den Arbeitsbedingungen, die meisten bekommen – oft unregelmäßig und verspätet – eine Aufwandentschädigung zwischen 50 und 200 Euro im Monat. Durch den Status als Freiwillige sind sie außerhalb der Arbeitsgesetze und Mindestlohnbedingungen, die meisten haben befristete Verträge, die immer wieder erneuert werden. Überwiegend sind sie über verschiedene lokale Trägerorganisationen beschäftigt, manche von ihnen werden von den Gesundheitsministerien der Provinzen bezahlt, andere von privaten Geldgebern, es gibt viele Klagen über Intransparenz und Korruption.

Die Mehrzahl der CCW sind Frauen zwischen 30 und 50, die selbst von Armut, Krankheit und Gewalt betroffen sind. Häufig stehen den CCW nicht einmal minimale Vorsorgemaßnahmen wie Handschuhe oder Masken bei Patienten mit Infektionskrankheiten zur Verfügung, oftmals werden sie von den Familien alleingelassen oder ausgenutzt und sind auf den langen Wegen durch unsichere Gebiete Gewalt ausgesetzt. Viele fühlen sich überfordert, geben an, dass sie häufig weinen und sich sorgen, in der Folge kann es vorkommen, dass sie die eigene Familie und ihre Gesundheit außer Acht lassen, aber auch dass sie die Patienten oder anvertrauten Kinder vernachlässigen.

Widerstand gegen schlechte Arbeitsbedingungen

Zunehmend aber regt sich Widerstand und in den letzten Jahren haben CCW angefangen, sich in Gruppen und Foren zusammen zu schließen, um sich auszutauschen und auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Im Rahmen der verschiedenen Gesundheitsreformen, die die Regierung plant, wird inzwischen auch diskutiert, wie CCW besser in das Gesundheitssystem eingebunden werden können. Unter dem Titel „Re-engineering Primary Health Care“ gibt es ehrgeizige Pläne, CCW auf der Bezirksebene in die lokalen Kliniken zu integrieren.

Doch sollen die CCW weiterhin als freiwillige Helfer_innen mit befristeten Verträgen arbeiten, mit denen sie nicht mehr als höchstens 200 € im Monat verdienen, zudem werden bestimmte Bildungsvoraussetzungen und Altersgrenzen eingeführt, die ausgerechnet die älteren, erfahrenen CCWs ausschließen, die sich jahrelang für die Gemeinden engagiert haben. „Erst kürzlich haben sie zu einer Kollegin gesagt, vielen Dank für den Service, aber sie soll jetzt gehen und Rente beantragen“ erzählt Seipati. „Sie ist 60 Jahre alt und hat 20 Jahre als CCW gearbeitet, und jetzt wird sie einfach so rausgeschmissen und bekommt keinen Vertrag mehr?“

Jetzt wollen die CCW endlich mitreden und sich einmischen, damit ihre Erfahrungen und Forderungen zur Kenntnis genommen werden. Doch aufgrund der prekären Situation haben sie bisher nur sehr schwache Selbstorganisationen und Interessenvertretungen, die zudem regional unterschiedlich und fragmentiert sind. Auch haben viele Ängste, sich zu organisieren, weil ihnen gedroht wird, keine Verträge mehr zu bekommen.

Engagierte Gesundheits- und Menschenrechtsorganisationen haben daher angefangen, die CCW bei diesem Prozess zu unterstützen. Über Fortbildungen, psychosoziale Begleitung, Rechtsberatung und Öffentlichkeitsarbeit begleiten sie die Auseinandersetzungen und Kampagnen der CCW und vernetzen sie über regionale und Provinzgrenzen hinweg. Dazu gehören auch medico-Partner: section 27, die landesweit Advocacy- und Menschenrechtsarbeit für das Recht auf Gesundheit machen, das People’s Health Movement, das sich für ein Primary Health Care System einsetzt, in dem GemeindegesundheitsarbeiterInnen die zentrale Rolle spielen, Khanya College, die Home Based Carer in der Organisationsentwicklung fortbilden und begleiten, Sinani, die Unterstützungsgruppen für CCW und regionale Foren organisieren, Sophiatown Community Psychological Services, die CCW dabei unterstützen, ihre Ängste und Unsicherheiten zu verlieren, um selbstbewusst das Wort zu ergreifen.

Community Care Work zwischen Emanzipation und Instrumentalisierung

Damit knüpft das Projekt auch an eine Geschichte emanzipatorischer Gesundheitskämpfe während der Zeit der Apartheid an, in der Community Health Worker (CHW) eine zentrale Rolle gespielt haben. Einige der alten CHW kommen noch aus dieser Zeit und repräsentieren die Idee eines umfassenden, gemeindeorientierten Gesundheitssystems, das die sozialen Bedingungen von Krankheit miteinbezieht und auch die Care Worker menschenwürdig behandelt. Die Konzepte des nationalen Gesundheitsplans 1994 nach dem Ende der Apartheid entstanden aus diesen Kämpfen und basierten auf der Primary Health Care Idee, doch mit der neoliberalen Wende 1996, die die Privatisierung im Gesundheitswesen ins Zentrum stellte, verschwanden viele dieser Ideen und Akteure.

Im Kontext der AIDS-Krise, die eine riesige Mehrbelastung des Gesundheitswesens mit sich brachte, wurden ab Anfang 2000 zehntausende von Home Based Carer angeworben, um die Notlage zu managen. Auf diese Weise wurden staatliche Aufgaben und Verantwortung ausgelagert und das Ausmaß der Krise unsichtbar gemacht, doch gleichzeitig die staatliche Gesundheitsversorgung völlig ausgehöhlt. Doch seit das Gesundheitsministerium sich die Gesundheitsreformen in Brasilien zum Vorbild genommen hat, gewinnen die fortschrittlichen Ideen wieder an Kraft.

Als die CCW in der Provinz Gauteng kürzlich zu einem Treffen zusammenkamen, um über die Gründung einer Organisation zu sprechen, kam die Frage der Motivation für diese Arbeit auf: „Die Arbeit ist hart und herzzerreißend. Wir haben manchmal kein richtiges Material, um unsere Patientinnen und Patienten mit Würde zu behandeln. Wir werden nicht zum erwarteten Termin bezahlt. Wir werden in den Kliniken oft respektlos behandelt.

Also warum machen wir diese Arbeit?“ fragt Seipati M. „Aus einem tiefen Mitgefühl heraus. Wir sorgen uns sehr um die Würde der Armen und ihren Kampf zu überleben. Unsere Motivation ist nicht die Bezahlung, wir wollen dass sich die Gesundheitsversorgung verändert und die Lebensbedingungen unserer Communities. Deshalb will unsere Organisation nicht nur für bessere Arbeitsbedingungen für die CCW kämpfen, sondern auch für das Recht auf Gesundheit, für Prävention und die Interessen der Kranken, und für Solidarität mit unseren Gemeinden.“

medico unterstützt die Selbstorganisierung

Mit einem Netz aus Partnerorganisationen hat medico ein dreijähriges Projekt begonnen, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Selbstorganisierung von CCW landesweit zu unterstützen und ihre fachliche Kompetenz und Rolle im öffentlichen Gesundheitssektor zu stärken.

Dafür brauchen Seipati und ihre Mitstreiterinnen unsere Solidarität und Unterstützung. Helfen Sie mit!

 


[1] Es gibt in Südafrika viele verschiedene Bezeichnungen für Menschen, die Aufgaben im Rahmen der Gesundheitsversorgung und Pflege ausführen, ohne eine formale Qualifikation als Gesundheitspersonal zu besitzen, darunter: community caregiver, community care worker, community (based) health worker, home-based carer, lay counsellor, lay health worker, adherence counsellor oder  peer counsellor. Hier werden alle unter dem Begriff „Community Care Worker“ gefasst.


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