Während der Libanon mit einer Reihe harter und beispielloser Krisen zu kämpfen hat, ist eine Gruppe im Land auf andere Weise betroffen als die meisten anderen Menschen: Migrantische Hausangestellte leiden seit Langem unter dem libanesischen Kafala- (oder Sponsoren-) System, das ihren Missbrauch und ihre Ausbeutung durch verschiedene Gesetze und Praktiken legitimiert. Bereits lange bevor die Wirtschaftskrise im letzten Sommer begann, war eine zunehmende Zahl von Hausangestellten monate- und jahrelang von ihren Arbeitgebern nicht bezahlt worden. Viele waren gezwungen, gegen ihren Willen in mehreren Häusern zu arbeiten. Von dieser allmählich wachsenden Krise waren nicht nur die migrantischen Hausangestellte im Libanon selbst betroffen, sondern auch ihre Familien, die in der Heimat auf die Rücküberweisungen ihrer Verwandten angewiesen sind. Für die meisten bestand die Hauptmotivation einer Arbeitsaufnahme im Libanon darin, ihre Familien zu unterstützen, doch dies war ihnen aufgrund der wachsenden Dollar-Knappheit nun nicht mehr möglich.
Nachdem die Krise durch das Coronavirus und die strikten Maßnahmen der libanesischen Behörden im März noch verschärft worden war, entließen viele libanesische Arbeitgeber ihre Hausangestellten und begründeten dies auf ihre Unfähigkeit, sich die Lohnzahlung noch leisten zu können. Dies stellte die Migrant*innen vor große Probleme, da sie nun kein Einkommen mehr hatten, zeitgleich aber auch von den Konsulaten ihrer Heimatländer und den libanesischen Behörden im Stich gelassen wurden. Seit Monaten fordern sie nun, in ihre Heimatländer zurückkehren zu dürfen. Erschwerend kommt hinzu, dass einer besorgniserregenden Anzahl der Hausangestellten nicht zugestanden wurde, ihre Reisedokumente zurückzuerhalten, die zumeist von den "Hausherren" einbehalten werden, damit die Angestellten nicht mehr ausreisen können. Mitten in der globalen Gesundheitskrise und einer beispiellosen Wirtschaftskrise in einem Land, in das sie eigentlich mit der Hoffnung gekommen sind, bessere Lebensbedingungen vorzufinden und ihre Familien unterstützen zu können, hatten viele der migrantischen Hausangestellten letztlich keine Möglichkeit, nach Hause zurückzukehren und auch sonst keinen Ort, an den sie gehen konnten.
Monatelange Proteste
Der Hauptgrund, warum dieser soziale Missstand trotz wachsender Unterstützung der Arbeiter*innen durch die Bevölkerung weiterhin fortbesteht, ist in der Struktur der Ungerechtigkeit zu sehen, die die Existenz und Arbeit migrantischer Hausangestellter im Libanon bestimmt. Während die Behörden damit beschäftigt sind, sich auf die Bekämpfung der Pandemie und die Wirtschaftskrise zu konzentrieren, missbrauchen immer mehr Arbeitgeber die Rechte der Hausangestellten und beuten sie ohne Rechenschaftspflicht aus. Mehr als zwei Monate nach der Explosion, die den Hafen von Beirut und weiter Teile der Stadt vernichtete, kämpfen die migrantischen Hausangestellten immer noch mit den Folgen, denn viele von ihnen haben ihr Zuhause, ihren Arbeitsplatz und leider auch ihr Leben verloren. Nach monatelangen Protesten und der Forderung, endlich nach Hause zurückkehren zu dürfen, sehen sie sich heute mit einer Realität konfrontiert, in der ihnen die Evakuierung verweigert wird, weil sie sich die sehr teuren Tickets, die erforderlichen PCR-Tests und die obligatorische Quarantäne nach der Ankunft in ihren Heimatländern nicht leisten können. Heute wird eine zunehmende Anzahl Hausangestellter von Arbeitgebern und Arbeitsvermittlungsagenturen ohne ihren Pass, Lohn und manchmal sogar ohne ihr Hab und Gut im Stich gelassen. Immer mehr Angestellte werden auch von ihren Vermietern vertrieben, weil sie ihre Miete aufgrund ihres Einkommensausfalls nicht mehr zahlen können. Selbsthilfegruppen sind momentan darauf angewiesen, kurzfristige Lösungen zu finden, um der zunehmenden Obdachlosigkeit zu begegnen.
Öffentliche Aufrufe im Zusammenhang mit der aktuellen Gesundheitskrise reichten nicht aus, um die Wiederbeschaffung der Pässe und der zurückgehaltenen Löhne zu erstreiten. Daher haben sich immer mehr betroffene und Unterstützer*innen in Gruppen wie dem Anti-Racism Movement (ARM) organisiert, um den Arbeiter*innen zu helfen, nach Hause zu ihren Familien zurückzukehren. Doch trotz der wachsenden Unterstützung der Bevölkerung und der zunehmenden öffentlichen Empörung über diese unmenschlichen Bedingungen bleibt es eine Tatsache, dass diese Situation weder unerwartet noch unaufhaltsam kam. Seit Jahren organisieren sich migrantische Hausangestellte und Aktivist*innen und kämpfen für die Abschaffung des Kafala-Systems und betonen, dass eine solch unmenschliche Struktur eines Tages zu katastrophalen Ergebnissen führen würde, wenn eine derart große Krise eintritt.
Während der ersten coronabedingten Abriegelung im Libanon organisierte ARM eine Solidaritätsspendenaktion, um migrantischen Hausangestellten, die aufgrund der Abriegelung ihre Einkommensquelle verloren haben, durch die Verteilung von Lebensmittel- und Hygienepaketen zu unterstützen. Nach der Explosion in Beirut werden diese Spenden auch dafür genutzt, die Evakuierung einer Reihe von Hausangestellten zu organisieren, die von den libanesischen Behörden und in ihren eigenen Regierungen im Stich gelassen wurden. Die Kosten hierfür umfassen die Flugtickets, PCR-Tests und eine Strafgebühr für die Überschreitung der Aufenthaltsgenehmigung. ARM hat mithilfe einer Gruppe von Freiwilligen auch auf drängende Angelegenheiten wie Zwangsräumungen reagiert, indem sie mit Vermieter*innen verhandelt und Spender*innen und Verbündete mit Arbeiter*innen zusammen gebracht haben, die sich aufgrund anhaltender Misshandlungen durch ihre Arbeitgeber eigene Wohnungen mieten mussten.
Darüber hinaus engagiert sich ARM bei den Konsulaten und Botschaften der Arbeiter*innen sowie bei direkt bei deren Regierungen, um angesichts der systemischen Hindernisse eine möglichst baldige Evakuierung durchzusetzen. Dazu gehört die Notwendigkeit Passierscheine für diejenigen auszustellen, deren Pässe von ihren Arbeitgebern einbehalten werden, und die Erklärung eines systematischen Verzichts auf Strafgebühren, die von vielen der Konsulate verlangt werden - und natürlich die Finanzierung des Evakuierungsprozesses selbst. Die Advocacy-Bemühungen von ARM beinhalteten daneben regelmäßige Treffen mit Angehörigen verschiedener migrantischer Gemeinschaften, um deren spezifische Situationen und ihre Bedürfnisse verstehen zu können, denn die Reisemöglichkeiten und -bestimmungen unterschieden sich oft sehr stark nach Nationalität und Ressourcen der einzelnen Konsulate.
Kleine Erfolge
Glücklicherweise haben es in den letzten Monaten immer mehr Hausangestellte geschafft, das Land zu verlassen, insbesondere solche aus Ghana, Gambia, Kenia, den Philippinen, Nigeria und Äthiopien. Die geschätzte Zahl der inzwischen abgereisten Arbeiter*innen beläuft sich auf etwa 6700. Es ist jedoch zu beachten, dass die tatsächliche Zahl wahrscheinlich höher liegt. Auf der anderen Seite wartet eine zunehmende Zahl von Arbeitnehmer*innen immer noch auf eine Reaktion ihrer Konsulate, Botschaften und die dem libanesischen Generaldirektorat „General Security“ auf die Bearbeitung ihrer Anträge. Dazu gehören Arbeiter*innen aus Sierra Leone, Bangladesch, Kamerun, Äthiopien, Madagaskar, Benin, der Elfenbeinküste, Nepal und Sri Lanka, die aufgrund der hohen Nachfrage nach Ausreisen aus ihren jeweiligen Gemeinschaften mit steigenden Gebühren sowie ständigen Verzögerungen konfrontiert sind.
Die Forderung nach sofortigem Handeln und unverzüglicher Evakuierung bleibt ein Schlüsselaspekt der Arbeit des ARM und unserer anwaltschaftlichen Bemühungen. Sobald jedoch der Großteil der migrantischen Hausangestellten erfolgreich evakuiert worden ist, werden wir unsere Bemühungen darauf verlagern, einen ernst zu nehmenden Mechanismus des Rechtsschutzes zu fordern, um Gerechtigkeit für alle, deren Rechte während ihrer Zeit im Libanon verletzt wurden, zu erlangen. Mit ihrer Evakuierung aus dem Libanon lassen die migrantischen Arbeiter*innen ein Leben zurück, das sie mit dem Ziel begonnen haben, ihre Lebensbedingungen und die ihrer Familien in deren Heimat zu verbessern. Die politischen Bemühungen von ARM und anderer verbündeter Gruppen sollten sich daher darauf verlagern, Gerechtigkeit für alle zu erstreiten, die nach Hause zurückkehren mussten, ohne ihr Leben tatsächlich verbessert oder auch nur die ihnen zustehenden Gehälter erhalten zu haben. Stattdessen müssen sie mit einem großen Trauma zurückkehren. Daher müssen wir neben der Forderung der Abschaffung des Kafala-Systems rückwirkend auch gegen alle Ungerechtigkeiten und Misshandlungen vorgehen, denen die Arbeiter*innen ausgesetzt waren, denn nur so können wir auch weitere Misshandlungen in der Zukunft verhindern.
Farah El Baba ist Referentin für Advocacy und Kommunikation beim medico-Partner Anti-Racism Movement (ARM)
Übersetzung: Max Jansen