Dein Mann, Lokman Slim, wurde am 3. Februar ermordet. Es war ein Mord an einem Autor, Filmemacher, politischen Aktivisten, der sich gegen den Autoritarismus der Hisbollah genauso zur Wehr gesetzt hat wie gegen die Straflosigkeit, die dem Ende des Bürgerkrieges folgte und bis heute andauert. Wie hast du diese ersten Wochen nach seinem Tod überstanden?
Monika Borgmann: Ich bin überhaupt nicht zur Besinnung gekommen. Ich spüre eine Traurigkeit, die ich nicht beschreiben kann. Ich bin aber auch unendlich wütend. Diese Wut lässt mich weitermachen. Lokman und ich sind uns vor 20 Jahren zum ersten Mal begegnet. Wir waren ein Paar, aber wir haben auch alles zusammen gemacht. Wir haben uns gut ergänzt. Das war das Schöne an unserer Beziehung und das macht es jetzt so schwierig. Niemand kann Lok-man ersetzen. Gleichzeitig muss die Arbeit von UMAM weitergehen. Ich habe sehr große Unterstützung und hoffe, dass ich einen Weg finde, um unsere Arbeit fortzuführen. Sonst hätten die Mörder gewonnen. Lokman und ich haben seit 20 Jahren für ein Ende der Kultur der Straflosigkeit gekämpft. Heute befinde ich mich in der tragischen Situation, dass ich diesen Kampf alleine weiter führe. Und jetzt auch noch für die Aufklärung der Ermordung von Lokman Sorge tragen muss.
Wie waren die Reaktionen auf den Mord im Libanon?
Es gab sehr wenige offizielle Reaktionen. Trotzdem ist die Erschütterung über den Mord immens, nicht nur hier. Manche befürchten, dass es der Auftakt für eine neue Mordserie vor allem im Hisbollah-kritischen schiitischen Milieu werden könnte. Unter den Künstlern und Aktivistinnen herrscht eine unfassbare Wut. Mit dem Mord wurde eine rote Linie überschritten. Ich glaube nicht, dass die libanesische Justiz willens und in der Lage ist, den Mord aufzuklären. Deshalb habe ich mich an die internationale Gemeinschaft gewandt, die nach der Ermordung von Lokman für eine unabhängige Untersuchung plädiert hat. Die Botschafter, die auf der Erinnerungsfeier an Lokman waren, haben sich in ihren Reden dafür ausgesprochen. Ich nehme sie beim Wort. Auch nach der verheerenden Explosion im Hafen hatte Frankreichs Präsident rückhaltlose Aufklärung versprochen. Tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass die Ermordung von Lokman im Zusammenhang mit der Explosion steht. Denn bereits einen Tag danach wies Lokman im Fernsehen darauf hin, dass sich in den Fassbomben in Syrien auch Ammoniumnitrat befinde. Zu der Explosion am Hafen gab er immer wieder Interviews. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Details ans Tageslicht. Im Januar dieses Jahres hatte Lokman in einem Interview aus diesen Puzzlestücken als erster ein einleuchtendes Gesamtbild zusammengesetzt: Er stellte einen Zusammenhang zwischen dem Ammoniumnitrat im Hafen mit dem Giftgasanschlag 2013 im syrischen Ghouta her. Damals sollen die Russen einen Deal ausgehandelt haben, um alles Giftgas aus Syrien abzutransportieren. Wohin? Zudem verwies er darauf, dass die Fassbomben des syrischen Regimes ebenfalls Ammoniumnitrat enthalten. Er stellte die Frage nach dem Verbleib des nicht-explodierten Ammoniumnitrats. Vier Fünftel der Vorräte sind nicht explodiert. Gott sei Dank, sonst gäbe es Beirut nicht mehr. Wo ist es? Im Zusammenhang mit der Explosion des Hafens gab es noch zwei weitere Morde. Der mit der Sache betraute Untersuchungsrichter wurde entlassen, weil er zur Aufklärung der Vorfälle auch Politiker einladen wollte. Das ist der absurde Stand im Libanon.
Gerade erinnern wir uns an zehn Jahre syrische Revolution, deren tragisches Ende auch mit dem Versagen der internationalen Gemeinschaft zu tun hat. Siehst du eine Möglichkeit, dass die Geberländer des Libanons wenigstens jetzt auf der Aufklärung dieser Geschehnisse beharren?
Es ist extrem schwierig, für den Libanon eine Lösung zu finden, ohne eine für Syrien und den Irak zu entwickeln. Das hat auch Lokman immer vertreten. Was wir brauchen, ist ein Marschall-plan für die ganze Region. Hisbollah kämpft seit Jahren in Syrien und ist dort in Verbrechen verwickelt. Im Irak werden hochrangige Journalisten und Aktivisten einfach ermordet. 2013 hat das Assad-Regime mit dem Giftgasanschlag die rote Linie überschritten. Dass damals nicht eingegriffen wurde, war der große Fehler. Ich hoffe schlicht, dass die Biden-Administration diese Fehler nicht wiederholt.
Die Regierung in Deutschland fürchtet, dass sich die Flüchtlinge aus dem Libanon auf den Weg machen werden. Wird sie deshalb davon absehen, Druck auszuüben?
Daran sieht man doch nur, dass die Idee der Stabilisierung solcher Regime wie im Libanon zur „Fluchtabwehr“ auf ganzer Linie gescheitert ist. Ein Umdenken auch in der deutschen Politik ist unvermeidlich. Sie muss ihre Mittel nutzen, um den Libanon unter Druck zu setzen.
Wie siehst du deine eigene Sicherheitssituation gerade?
Darüber denke ich im Moment nicht nach.
Das Interview führte Katja Maurer.
medico arbeitet seit 2005 immer wieder mit UMAM und Monika Borgmann sowie Lokman Slim zusammen. 2019 zeigte medico den Film „Tadmor. Ein syrisches Gefängnis“, den letzten gemeinsamen Film von Slim und Borgmann. Neben der Projektarbeit wie im MENA Prison Forum verband und verbindet ein langanhalten der Austausch. Nach dem Mord an Lokman Slim am 3. Februar 2021 hat medico einen ausführlichen Nachruf veröffentlicht.
Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 1/2021. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!