Denn sie wissen, was sie tun

19.08.2005   Lesezeit: 3 min

**Freies Wissen statt todbringende Patente. **

"Wie ein Heuschreckenschwarm lagern die Patente sich über ein Land, belästigen Handel und Verkehr und verteuern die Bedürfnisse des Konsumenten. In einer absoluten Art vermindern Erfindungspatente die Produktivkraft der Völker, die sie anerkennen."

Die das vor mehr als hundert Jahren schrieben, waren weder sozialdemokratische Kapitalismuskritiker noch populistische Globalisierungsgegner. Es waren Schweizer Industrielle, die mit einem Appell begründeten, warum sie die Patente, die in anderen Ländern gewährt worden waren, nicht anerkannten. So richtig die Idee der "Freiheit des Wissens" war und ist, so wenig allerdings ging es den Herren um den Gründer des späteren Pharma-Giganten Ciba-Geigy um die Verteidigung des öffentlichen Gutes Gesundheit. Sie wollten nur selbst in den Kreis der Privilegierten aufgenommen werden.

Heute beschäftigen nicht zuletzt die internationalen Pharmakonzerne, darunter auch die, die ihre Wirtschaftsmacht dem bewussten Bruch des damaligen Patentrechtes verdanken, eine Armee von Rechtsanwälten und Lobbyisten, deren einzige Aufgabe es ist, unüberwindliche Patentschutzwälle um die eigenen Erfindungen herum aufzubauen.

Der Wissensrückhalt aber hat tödliche Folgen. Täglich sterben mehr als 30.000 Menschen an Krankheiten, gegen die es keine Medikamente gibt, weil sich ihre Produktion und Erforschung "nicht lohnt". Das gilt für Erkrankungen, wie Leishmaniasis oder Chagas, die eher selten auftreten. Es gilt aber auch für Massenkrankheiten der Armut wie die Tuberkulose, deren pharmakologische Erforschung seit Generationen ruht, weil die zumeist mittellosen Patienten keinen vielversprechenden Markt darstellen. Im Falle von HIV/AIDS gibt es zwar Medikamente, doch sind es gerade die bestehenden Patente, die sie für die meisten der Erkrankten unerschwinglich machen. Das von der Industrie in der Regel vorgebrachte Argument, ein Wegfall des Patentschutzes würde auch das Aus jeder neuen Forschung bedeuten, erweist sich bei näherer Betrachtung als schlichtweg falsch. Tatsächlich sind es gerade die Patente in der Hand einiger großer Pharmakonzerne, die heute Forschung und Entwicklung neuer Medikamente verhindern. Aus Angst bereits existierende Ansprüche verletzen zu können, verzichten immer mehr Hersteller auf eine systematische Grundlagenforschung gänzlich.

Die Auseinandersetzung mit den Pharmakonzernen begleitet medico international seit über zwei Jahrzehnten. Anfang der 80er Jahre war es nicht zuletzt das von uns veröffentlichte Buch "Geschäfte mit der Armut – Pharma-Konzerne in der Dritten Welt", das die Kritik in Gang setzte. Mit großangelegten Kampagnen halfen wir mit, dass einige unsinnige, gefährliche und überteuerte Präparate vom Markt verschwunden sind. Mit finanzieller und beratender Unterstützung durch medico entstand auf den Kapverdischen Inseln eine lokale Produktionsstätte für Medikamente. Gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gaben wir viele Jahre lang einen "Price-Indicator" heraus, der Initiativen und Regierungen im Süden kostengünstige Bezugsquellen für die sog. essentiellen Arzneimittel empfahl. Noch heute gibt es in Ländern wie Nicaragua "Volksapotheken", die ihren Mitgliedern unter Nutzung günstiger Anbieter den Zugang zu Arzneimitteln ermöglichen.

Es ist Zeit, dass wir uns diesem Teil unserer Arbeit wieder verstärkt zuwenden. Gemeinsam mit der "Drugs for Neglected Diseases Initiative" ruft medico international zu einem radikalen Umdenken in der Forschung und Entwicklung von Medikamenten auf. Der Zugang zu überlebenswichtigen Arzneimitteln darf nicht länger deshalb verwehrt bleiben, weil Pharmakonzerne das Wissen um solche Präparate zurückhalten oder ihre Erforschung verweigern. Medikamente sind ebenso wie der Zugang zu funktionierenden Versorgungseinrichtungen ein öffentliches Gut, dessen Verfügbarkeit nicht alleine den Marktkräften überlassen bleiben kann.

Notwendig ist ein neues Patentrecht, das den Zugang zu Wissen – und damit zu Gesundheit – nicht beschränkt, sondern sicherstellt. Auch dafür werden wir uns künftig stärker einsetzen – durchaus im Konflikt mit den Pharmakonzernen, die in einem internen Schreiben an die Staatschefs der G8 bereits deutlich gemacht haben, dass sie jede Aufweichung des Patentrechtes als unfreundlichen Akt ansehen würden.

Christoph Goldmann


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