Die guatemaltekische Richterin Yassmin Barrios hatte es 2013 gewagt, den ehemaligen Diktator des Landes wegen Völkermordes zu verurteilen. Obwohl der historische Schuldspruch bereits zehn Tage später wieder aufgehoben wurde, ist Barrios seitdem Opfer einer Diffamierungskampagne, die immer groteskere Züge annimmt. Jetzt wurde sie für ein Jahr vom Dienst suspendiert.
Im April 2014 enthob das sogenannte „Tribunal de Honor del Colegio de los Abogados“, eine Art Vorstand der guatemaltekischen Anwaltskammer, Richterin Barrios wegen „unethischen Verhaltens“ für ein Jahr ihres Amtes - ohne dass die Anwaltskammer für derlei Entscheidungen tatsächlich befugt wäre. Barrios soll einen der Verteidiger des Ex-Diktators Ríos Montt während des Völkermordsprozesses beleidigt haben. Berufung gegen ihre Suspendierung musste Barrios jetzt nicht etwa bei Gericht, sondern bei der Vertretung aller Berufskammern Guatemalas einlegen. Die Absurdität des Vorgangs wird deutlich, wenn dort der Präsident der Kammer der Buchhalter oder der Präsident der Kammer der Geologen gemeinsam darüber entscheiden, ob Barrios als Richterin arbeiten kann oder nicht. Inzwischen bezeichnete auch das Oberste Gericht Guatemalas, die eigentliche Instanz für eine solche Entscheidung, die Suspendierung öffentlich als nicht rechtmäßig.
Die Vermutung liegt nahe, dass Barrios Opfer einer Diffamierungs- und Kriminalisierungskampagne geworden ist. Bereits Anfang 2013, vor der Hauptverhandlung des Völkermordsprozesses, war ein Mordkomplott gegen sie aufgeflogen. Barrios trat daraufhin aber nicht als zuständige Richterin im Prozess gegen Ríos Montt zurück, sondern zog die Hauptverhandlung zusammen mit ihren beisitzenden RichterInnen kühn um fünf Monate nach vorne. In ihrem Urteil ließen sie sich weder von den Drohungen, noch von Blockaden und Eskapaden der Verteidigung beeindrucken. Es sollte dennoch nur von kurzer Dauer sein. Bereits nach zehn Tagen kassierte das Verfassungsgericht Guatemalas die Entscheidung wegen angeblicher Verfahrensfehler und setzte den Prozess auf den Zeitpunkt vor den mündlichen Verhandlungen zurück.
Bastion der Straflosigkeit
Als Richterin hat Barrios in vielen weiteren Prozessen eine gute, unabhängige Rolle gespielt, auch wenn es um Verbrechen der Militärs während des blutigen Bürgerkrieges in Guatemala ging. Sie gilt als eine der verhasstesten Figuren der wirtschaftlichen und politischen Eliten des Landes, in dem die Militärs weiterhin wichtige Posten besetzen. Zusammen mit nur acht weiteren RichterInnen ist Barrios in Guatemala für schwerwiegende Verbrechen zuständig, darunter fallen die organisierte Kriminalität und die Verbrechen der Militärdiktatur. Der Angriff auf Yassmin Barrios wird deshalb auch als Angriff auf diese RichterInnen wahrgenommen und reiht sich ein in eine ganze Sammlung von Vorfällen, die unter der aktuellen Regierung den Spielraum der unabhängigen Justiz immer weiter einschränken. So wurde das Mandat der Generalstaatsanwältin im Völkermordsprozess und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, Claudia Paz y Paz, auf Druck des Präsidenten, der ein ehemaliger Militär ist, jüngst um neun Monate gekürzt. Gegen Yassmin Barrios waren neun Strafanzeigen anhängig, die allesamt die Verteidigung von Ríos Montt eingebracht hat. Einige sind noch immer nicht aus der Welt geschafft.
Die medico-Partner vor Ort berichten, dass unabhängige RichterInnen zunehmend aus dem Beruf gedrängt, bedroht und kriminalisiert werden, während gleichzeitig die Verfolgung von AktivistInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen zunimmt. Nach den wichtigen Erfolgen, die Guatemalas Justiz in den letzten Jahren erzielen konnte, steht zu befürchten, dass das Justizsystem wieder wird, was es zu lange gewesen ist: eine Bastion der Straflosigkeit.
Spendenstichwort: Guatemala
Im Kampf gegen die Straflosigkeit in Guatemala unterstützt medico die Comisión Internacional de Juristas (CIJ) und das Bufete Jurídico de Derechos Humanos (BJDH), das die Opfer und Hinterbliebenen im Völkermordsprozess in der Nebenklage vertrat. Seit vielen Jahren fördert medico außerdem die psychosoziale Arbeit von Equipo de Estudios Comunitarios y Acción Psicosocial (ECAP), um die Verbrechen der Vergangenheit aufzuarbeiten.