Die Stimme der Kinder

Die Human Supporters – Nablus

01.01.2010   Lesezeit: 4 min

Nablus ist traditionell ein Ort des Widerstands gegen die Besatzung. Fast ein ganzes Jahrzehnt musste jeder, der in die 150.000-Seelen-Stadt gelangen wollte, zuerst einen der etwa Dutzend israelischen Checkpoints, die die Stadt komplett umzingelten, passieren. Mit dem Auto oder einem Bus durchzufahren war jedoch nicht erlaubt. Alle mussten aussteigen, den Checkpoint zu Fuß passieren und auf der anderen Seite zusehen, wie sie in die mehrere Kilometer entfernte Stadt kamen. Auf dem Weg hinaus mussten die Menschen teilweise stundenlang warten, bis auch sie an der Reihe waren, ihre Ausweise kontrollieren zu lassen. Dieses Checkpointsystem wurde Mitte 2009 aufgegeben. Doch die Bevölkerung von Nablus weiß, dass die jetzt unbemannten Checkpoints jederzeit – etwa bei dem geringsten Wiederaufflammen von Widerstand und Gewalt - zurückkehren werden.

Das zu den ältesten Städten der Welt zählende Nablus liegt in einem Tal, eingekesselt zwischen zwei imposanten Hügelketten. In den darauf liegenden Wäldchen befinden sich kaum sichtbar etliche israelische Militärstationen, die den Bewohnern das Gefühl ständiger Überwachung vermitteln. Die beiden Hügelketten zu erklimmen ist für die Bewohner Nablus verboten und lebensgefährlich. Das ist schon daran zu erkennen, dass sämtliche Neubauten nur bis zu einer unsichtbaren Grenze unterhalb der Militärposten erbaut werden.

Damit war diese größte palästinensische Stadt im Norden isoliert, und ihre wirtschaftliche Bedeutung schwand zunehmend. Diese gefängnisartige Situation ließ die konservativen bis reaktionären Kreise immer mehr erstarken und das gesellschaftliche Leben bestimmen. Die letzten Geschäfte, die Alkohol anboten, wurden während der zweiten Intifada geschlossen. Zeigt man im Jugendzentrum einen Film auf DVD, müssen immer wieder Teile herausgeschnitten werden, will man keinen Skandal riskieren.

Die Human Supporters Association (HSA) ist eine unabhängige Organisation von jungen Erwachsenen, die sich 2002 nach der israelischen Invasion in die Autonomiegebiete in Nablus gebildet hat, um mit einer Verbindung aus psychosozialen Angeboten und politischem Aktivismus die Traumatisierungen durch die Besatzung und die Intifada anzugehen und eine Alternative zu den rein militanten Widerstandsformen aufzuzeigen, die die zweite Intifada maßgeblich prägten. Als Ziel sehen sie die Förderung von Kindern und Jugendlichen zu einer neuen Generation von AktivistInnen.

Stimme der Kinder

Um die erstickende Leere des Alltags mit sinnvoller Tätigkeit zu füllen, wurde die Idee einer von Jugendlichen herausgegebenen Zeitschrift geboren. Hierbei handelt es sich, wie vielleicht nicht zu erwarten, um einen aufwendigen und zeitintensiven Prozess. Aus einer großen Anzahl von sich Bewerbenden muss leider eine Auswahl getroffen werden, da in dem jeweiligen Projekt nur circa 15 junge Menschen teilnehmen können. Das Zeitschriftenprojekt "Stimme der Kinder" durchläuft über ein Jahr mehrere Entwicklungsstufen. Hierzu trifft sich die Gruppe mehrmals die Woche jeweils für mehrere Stunden. Nun könnte man all diese Zeit ausschließlich mit Spielen oder Sport ausfüllen; dies jedoch widerspräche der Grundideen der Human Supporters. Denn "traumatische Erfahrungen können nicht aus dem politischen Zusammenhang des Lebens der Kinder herausgenommen werden". Daher ist es ihnen wichtig, eine Arbeitsmethode zu entwickeln, die psychologische Betreuung mit dem Erlernen gesellschaftlichen Bewusstseins und Handelns auch im Bezug auf die lebensbestimmende Besatzung und die reaktionär werdende eigene Gesellschaft, verbindet.

In der zweimonatigen Anfangsphase ist von größter Bedeutung, dass die 13-15 Jährigen mit einer Psychologin zusammenarbeiten, um ihre Traumata und psychischen Bedürfnisse zu klären und darauf einzugehen. Die Kinder sollen durch verschiedene Aktivitäten zu einer Gruppe zusammengeschweißt, und das Selbstbewusstsein der Einzelnen gestärkt werden. In Folge entscheiden sich die Jugendlichen über Aktivitäten wie Begrünung der Straßen, Müllbeseitigung oder Altenheimbesuche, auf welchen Bereich sie sich konzentrieren wollen. Um sie ihren journalistischen Zielen näher zu bringen werden etliche Begegnungen mit Journalisten sowie Computerlehrgänge organisiert. Am Ende des Projektes steht die Herstellung einer Zeitschrift, die dann unter Jugendlichen in den gesamten besetzten Gebieten verbreitet wird.

Die "Stimme der Kinder" und die anderen Aktivitäten sollen einen spürbaren Einfluss auf das innergesellschaftliche und politische Leben nehmen. So werden die Jugendlichen, die ab dem fünften Lebensjahr und bis zur Universität geschlechtergetrennt leben, in eine gemischtgeschlechtliche Umgebung zusammengebracht.

Am Ende des jeweiligen Entwicklungsblocks stehen Partys in vielfältiger Form. Kleine Jahrmärkte, Clownerien und Zauberei sind fester Bestanteil dieser kostenlosen, auch für andere Kinder offene Partys, die ein wenig Farbe in das Leben dieser Jugendlichen bringt - in einer Stadt, in der allein der Fernseher ein Fenster zur Außenwelt darstellt, und in der sich die Menschen nach sechs Uhr abends in ihre Häuser zurückziehen.

Projektstichwort

medico förderte die Arbeit seiner Partnerorganisationen in Palästina/Israel mit jährlich 100.000 Euro. Dies wollen wir auch zukünftig fortsetzen. Spenden Sie unter dem Stichwort: Israel-Palästina

 


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