Am 16. August, dem Tag des Attentats in Barcelona, wird ein Häftling höchster Sicherheitsstufe aus einem öffentlichen Krankenhaus in Guatemala-Stadt befreit. Die Befreier hatten dank des korrupten Gefängnissystems erreicht, dass er nur unzureichend bewacht wurde. Ergebnis: 12 Verletzte und 7 Tote, darunter ein Kind auf dem OP-Tisch. Viel spricht dafür, dass das Attentat im Kontext der Vorkommnisse der nächsten Stunden und Tage zu lesen ist. Schon Minuten danach redet Präsident Jimmy Morales von Terroristen und einer angeblich internationalen Vernetzung der „Jugendbanden“. Diese Argumentation sollten wir wenige Tage später wieder hören, als es um die Veränderung des Mandats der der UN-Kommission gegen Straffreiheit in Guatemala (CICIG) ging.
Dienstag, 22. August: Ich sitze mit Freunden zusammen. Als uns die folgende Nachricht erreicht, wird das Bier warm: Der Direktor der Tageszeitung El Periódico schreibt, dass Morales sich mit Unternehmern getroffen habe, um sie davon zu überzeugen, Ivan Velásquez, Chef der CICIG, zur „persona non grata“ zu erklären und auszuweisen – sollte ihn die UN nicht selber absetzen.
Mit dem Rücken zur Wand
Die Strategie war nicht neu, neu war, dass der Präsident die Sache selbst in die Hand nimmt und hochriskant spielt. Seit Wochen liegen ihm seine Berater in den Ohren, dass ein Putsch gegen ihn geplant sei. Morales ist ein dankbares Opfer für ihre Verschwörungstheorien, wähnt er sich und seine Partei doch von Korruptionsermittlungen bedroht. Und seine Ratgeber sind Ex-Geheimdienstler, die selbst mit dem Rücken zur Wand stehen.
Die Unternehmer nahmen die Nachricht an diesem Montag eher reserviert zur Kenntnis, aber Morales brauchte ihre Unterstützung.
Mittwoch, 23. August: Die Information über Morales‘ Bemühungen sickert durch und am Abend erklärt die Generalstaatsanwältin Aldana via Twitter, dass sie zurücktreten würde, sollte der Präsident die Ausweisung von Velásquez durchsetzen. Diese Erklärung beförderte zwar den Skandal um das heimliche Handeln des Präsidenten, passte aber letztlich ins Konzept von Morales. Die ganze Geschichte erstmal überstanden, wäre er Aldana und Velásquez los – und damit die Ermittlungen zur illegalen Finanzierung seiner Partei, die seit Tagen im Gespräch sind.
Drogengeld für den Wahlkampf
Aldana spricht im Radio und bestätigt ihre Rücktrittsdrohung. Sie sagt: „Es sind keine Gerüchte, wir haben Beweise für die Absichten des Präsidenten“. Parallel gibt es jetzt Pressemeldungen zu den erwarteten Ermittlungen gegen Morales‘ Partei FCN. Sie war 2015 gegen alle Erwartungen in die zweite Wahlrunde gespült worden. Dafür wurde dringend neues Geld gebraucht, das u.a. von Unternehmen kam – unter Ausschluss der Wahlaufsicht versteht sich. Nachmittags berichtet „La Hora“ von Zahlungen von Drogenkartellen gegen Schutzzusagen der künftigen FCN-Regierung.
Donnerstag, 24. August: Präsident Morales geht auf Reisen, ohne jede Erklärung. Sein Pressesprecher bestätigt Reise und Sitzung seines Chefs bei den Vereinten Nationen, nicht aber die Absicht, Velásquez abzuservieren. Verloren stottert er, die CICIG untersuche die Korruption nur selektiv und solle stattdessen gegen wirkliche Verbrechen wie Terror und die internationalen Netze der Maras ermitteln. Da war sie wieder, die Argumentation der Vorwoche: Sie wollen ein anderes Mandat der CICIG.
Ermittlungen gegen die Regierungspartei
Bei einer Pressekonferenz von Justizministerium und CICIG werden beiläufig Ermittlungen gegen die FCN bekannt gegeben, die zu gegebener Zeit kommentiert würden. Ein Warnschuss. Abends demonstrierten spontan ca. 600 Menschen vor dem Präsidentenpalast.
Freitag, 25. August: Für 17 Uhr ist die Sitzung von Morales und dem Generalsekretär der UN geplant. Die UNO, aber auch der US-Kongress, hatten sich bereits zuvor deutlich hinter Velásquez und die CICIG ge- stellt. Die Gerüchte spielen verrückt. Dann, zur Stunde der Sitzung, eine erneute Pressekonferenz von CICIG und Justizministerium: Diesmal direkt zur illegalen Finanzierung der FCN und dem Antrag auf Aufhebung der Immunität des Präsidenten! In New Yorck forderte er nicht mal mehr die Absetzung von Velásquez, sondern redete nur herum, während in Guatemala deutlich wurde, dass dies nur der Beginn der Ermittlungen sei. Der Schock saß, aber es war noch nicht zu Ende. Wichtige nationale Instanzen stellten sich hinter Velásquez. Für Jimmy und seine „Berater“ war das der Putsch. Allerdings vertraute er noch auf den Kongress, der seine Immunität erst aufheben müsste. Und die meisten Abgeordneten sind selbst von Ermittlungen bedroht und hassen die CICIG.
Tausende demonstrieren
Samstag, 26. August: Jimmy Morales‘ Sprecher kündigt eine Erklärung des Präsidenten für Sonntag abend an. Die Spannung steigt wieder. Zu den Protesten kommen bereits über 5000 Menschen auf den Platz. Auch in anderen Städten gibt wird demonstriert.
Sonntag, 27. August: Morales, zurück bei seinen Beratern, erklärt Ivan Velásquez via Handy-Video zur „persona non grata“ und fordert ihn auf, Guatemala umgehend zu verlassen.
Demonstrationen den ganzen Tag. Am Mittag hebt das Verfassungsgericht mit den Stimmen von drei Richtern gegen zwei die präsidiale Entscheidung einstweilen auf. Bereits zuvor war der Außenminister entlassen worden; er war nicht einverstanden, hätte aber bei einer „non grata“-Erklärung im Rahmen des internationalen Rechts mitwirken müssen. Er wird ersetzt durch die Schwägerin des Fraktionschefs der FCN. Morales´ Reservoir an Leuten scheint erschöpft. Die Gesundheitsministerin und andere hohe Beamte treten zurück, aber die Mehrheit des Kabinetts bleibt. Die Demonstrationen werden größer.
Montag, 28. August: Jimmy schweigt und die Proteste gehen weiter: Vor dem Verfassungsgericht zum Schutz der drei Richter, auf dem Zentralplatz und vor der CICIG. Längst geht es nicht mehr nur um Velásquez, sondern um den Rücktritt des Präsidenten.
Der Putsch ist gestoppt - vorerst
Dienstag, 29. August: Präsident Morales taucht auf einer Veranstaltung der Vereinigung der Bürgermeister auf. Sie stellen sich hinter ihn und erklären der Justiz den Krieg. Sie haben selbst über 200 Korruptionsprozesse am Hals. Arzú, Bürgermeister der Hauptstadt und ehemaliger Präsident, sagt: „Ich habe den Frieden unterschrieben, aber ich kann auch Krieg.“
Nachmittags bestätigt das Verfassungsgericht die einstweilige Verfügung vom Sonntag. Sie ist damit rechtskräftig. Es ist schwierig vorauszusagen, was noch kommen wird. Morales wird seine Präsidentschaft wohl nicht zu Ende bringen, aber noch wichtiger ist es, die Blockade der Reformen des Wahlgesetzes, des Parteiensystems und der Justiz aufzuheben. Dabei ist interessant, dass es die Institutionalität des Landes ist, die Morales und seinen Putsch gestoppt haben.
Aber der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Die andere Seite hat viel zu verlieren und formiert sich gerade neu.
Michael Mörth lebt in Guatemala-Stadt und arbeitet dort als Anwalt. Er schreibt regelmäßig Kolumnen zur Situation im Land für das Guatemala-Netz Bern.