Draußen im Wald

Malische Menschenrechtler besuchen die „vergessenen“ Asylsuchenden im Lager Möhlau

06.07.2010   Lesezeit: 4 min

206 Menschen sind in dem Flüchtlingsheim Möhlau nahe der Lutherstadt Wittenberg in Sachsen-Anhalt untergebracht. Was behördlich als GU („Gemeinschaftsunterkunft“) bezeichnet wird, nennen die Lagerbewohner und antirassistische Gruppen, wie der regionale Flüchtlingsrat, schlichtweg „Dschungelcamp“. Sie bezeichnen damit die seit Jahren von Menschenrechtsorganisationen kritisierte Praxis, Asylsuchende zu isolieren und sie möglichst abseits der Ortschaften, für keinen sichtbar, in verfallenden Plattenbauten ehemaliger Militäranlagen unterzubringen. Die Schließung des Lagers Möhlau wird vom zuständigen Landrat unterstützt, ist im Kreistag aber nur schwer durchsetzbar. Angesichts eines signifikanten Anteils von Rassismus unter der sachsen-anhaltinischen Bevölkerung, halten sich viele Politiker in den ländlichen Wahlkreisen zurück, offensiv für eine menschlichere, aber teurere Unterbringung von Asylsuchenden einzutreten. Im Zuge einer Veranstaltungsreise besuchten Ousmane Diarra und Alessane Dicko von der „Malischen Vereinigung der Abgeschobenen“(AME) gemeinsam mit medico und dem antirassistischen Netzwerk NoLager Möhlau. Es war der erste Besuch von afrikanischen Menschenrechtlern, um zu erfahren, wie Flüchtlinge in Sachsen- Anhalt untergebracht werden. Alessane Dicko notierte für uns seine Eindrücke.

Wir müssen uns zweimal nach dem Weg erkundigen. Schließlich, nachdem wir die Ortschaft Möhlau verlassen haben, erreichen wir die ehemaligen Militärkasernen, in denen die Asylsuchenden untergebracht sind. Das Gelände und der verwitterte Plattenbau, in dem einst Militärs der sowjetischen Armee lebten, befinden sich in einem desolaten Zustand. Es ist ein Ort der Vergangenheit, den man denjenigen zur Verfügung stellt, „die man nicht hier haben will“. Auf dem Parkplatz werden wir von einigen Asylsuchenden willkommen geheißen: „Hier, wo niemand mehr Nächte verbringen möchte als unbedingt nötig“, so der Kommentar eines unserer Gastgeber – kaum jemand ist hier richtig gesund, viele leiden unter physischen oder psychischen Beeinträchtigungen. Erste Gespräche mit Roma, kurdischen und afrikanischen Asylsuchenden beginnen. Sie kreisen sogleich um die inhumanen Lebensbedingungen, das Gefühl der Unsicherheit und die fehlenden Perspektiven.

Ein Ort der Depression

Wir werden eingeladen, die Zimmer der Bewohner zu besichtigen. Die dunklen Treppenhäuser sind muffig, die Toilettenanlagen eng, von der Decke blättert der Putz, Wasser aus den oberen Etagen dringt durch die Decke. Kakerlaken huschen umher. Das spärliche Inventar ist von schlechter Qualität und muss von den Bewohnern selber in Stand gehalten werden. Auch die übrigen, leerstehenden Gebäude sind im Verfall begriffen. Wir stoßen auf ein besonders beschädigtes Gebäude.

Die Tür ist aufgebrochen, die Fenster eingeschlagen. Hier war früher der Theatersaal der sowjetischen Armee. Ein vergilbtes Lenin-Portrait und russische Buchstaben befinden sich noch an den Wänden. Hier beginnt die „gefährliche Zone“, wie sie die Asylsuchenden nennen, wo sich die örtliche Dorfjugend trifft. Manchmal ist deren Lärm unerträglich. Die Asylsuchenden vermuten, dass die Behörden „nicht eingreifen, um die Migranten einzuschüchtern.“

Denn die Flüchtlinge haben Angst. Mehrmals wurden sie von einer Gruppe rassistischer Jugendlicher angegriffen. Wir treffen uns mit weiteren Lagerbewohnern. Ihr Sprecher aus Benin schildert die Missachtung, die sie tagtäglich erfahren: lediglich 60 Euro monatliches Taschengeld bei gleichzeitigem Arbeitsverbot, eine unzureichende ärztliche Behandlung und die Willkür der Residenzpflicht. Um einen Urlaubsschein zu bekommen, müssten Antragsteller mit einem Fahrrad in die 37 Kilometer entfernte Kreisstadt Wittenberg fahren. Hinzu kommt die Vergabe von Einkaufsgutscheinen, die es ihnen verunmögliche, eigenständig über ihre finanziellen Ausgaben zu entscheiden. Ein afrikanischer Flüchtling erzählt, wie er von einer Gruppe rassistischer Jugendlicher im nahen Dorf mit einem Messer angegriffen wurde; noch heute ist seine Wut zu spüren, als er berichtet, dass der Angriff keinerlei Reaktionen der Behörden zur Folge hatte.

In Möhlau habe ich gesehen, wie Menschen, die abgeschoben werden, bereits in Deutschland moralisch gebrochen werden. Wir wissen aus unserer Arbeit mit Abgeschobenen in Mali um die psychologischen Probleme all jener, die in ein Land zurückgeführt werden, welches sie zuvor unter Aufbringung aller Kraft verlassen und in dem sie alles verloren haben. Das Lager Möhlau sollte zu einem historischen Denkmal werden oder aber es müsste verschwinden, um die Natur hier wieder atmen zu lassen und um die durch rücksichtslose politische Entscheidungen verursachten Wunden zu heilen.

Projektstichwort:

Die „Malische Vereinigung der Abgeschobenen“ (AME) setzt sich nicht nur in ihrem Heimatland Mali für die Rechte und die Gesundheitsversorgung von Abgeschobenen ein. Der medico-Projektpartner ist mittlerweile auch ein wichtiger Akteur in einem Netzwerk von Menschenrechtsgruppen, migrantischen und antirassistischen Initiativen, das sich im subsaharischen Westafrika, dem Maghreb und in Europa gebildet hat. Das Spendenstichwort lautet: Migration.


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