von Thomas Gebauer
Liebe Leserin, lieber Leser,
das Motiv des Titelbildes, das meine Kollegin Katja Maurer in Brasilien fand, ist mit Bedacht gewählt. Schützend hebt eine mit einfachen Strichen gemalte Maria ihre Hände über das Zeichen der brasilianischen Landlosenbewegung. Christliche Überzeugung und sozialrevolutionäre Bewegung: Wie geht das zusammen?
Thomas Münzer, theologischer Reformator und Anführer der thüringischen Bauernhaufen im 16. Jahrhundert, hat es vorgemacht. Als Gegner der fürstlichen und bürgerlichen Reformation Luthers bekämpfte Münzer nicht nur jene die Obrigkeit legitimierende und schützende patriarchalische Religion, sondern predigte zugleich auch die chiliastische Hoffnung auf ein kommendes Reich der Gerechten, einen urchristlichen Kommunismus sozusagen, für den die sinnlich-schützende Mutter Christi, von Luther als Abgöttin bekämpft, von viel größerer Bedeutung war als die Vorstellung eines strafenden väterlichen Gottes. „Die Herren machen das selbst, dass ihnen der arme Mann feind wird“, befand Münzer, der dem Bemühen, dem Guten von unten zu entsprechen, auch ein Gewaltrecht zugestand. „Doch gibt es Zeiten, in denen das Übel so ungeheuerlich anwächst, dass der Duldende, gerade dadurch, dass er duldet und die anderen dulden lässt, das Übeltun erst recht vermehrt, bestärkt, bestätigt, ja sogar herausfordert“, schreibt Ernst Bloch in seiner Biographie über Thomas Münzer.
Um Religion und Widerstand, um Kapitalismus und Zerstörung, um Hilfe und deren Missbrauch, um Solidarität und Bürgerrechte geht es in der vorliegenden Ausgabe unseres Rundschreibens. Seine Beiträge zu den komplexeren Zusammenhängen von Hilfe wollen wir Ihnen ebenso zur Lektüre in den Sommerwochen empfehlen wie die Berichte aus der konkreten Arbeit vor Ort. Dabei taucht immer wieder eine Frage auf, die auch auf dem medico-Symposium „Solidarität statt Hilfe?“, das Ende Mai stattfand, diskutiert wurde: Wie muss Hilfe beschaffen sein, die der Förderung von Autonomie dient und nicht zum Handlanger jener Kräfte wird, die für das Elend in der Welt verantwortlich sind? Unbedingt, so das Fazit der kleinen Konferenz, gilt es dafür Sorge zu tragen, dass das von der Französischen Revolution erkämpfte Recht auf Solidarität, in dem das christliche Gebot der Nächstenliebe bürgerrechtlich abgesichert wurde, nicht wieder zur freiwilligen Barmherzigkeit und bloßen Behauptung von Amtsmoral verkommt.
So musste bei der Debatte über die Hilfe der Blick schon zwangsläufig auch auf den herrschenden Kapitalismus fallen, der eben nicht nur in Gestalt von internationalen Hedge-Fonds kritikwürdig ist, sondern, wie Walter Benjamin großartig ausgeführt hat, auch als kollektiv getragene Kultreligion, die systematisch auf Zerstörung und die Schaffung von Schuld setzt.
Wir würden uns freuen, wenn Sie uns weiter unterstützten: durch Spenden und indem Sie das Rundschreiben im Freundes- und Bekanntenkreis empfehlen.
Herzlichst Ihr Thomas Gebauer