Überall auf der Welt produzieren Wissenschaftler*innen und Experten*innen für öffentliche Gesundheit neue Ideen, Erkenntnisse und Technologien zur Bekämpfung von Covid-19. Der Grad des grenzüberschreitenden Austauschs von Daten, Forschungsmethoden und Beweisen ist herzerwärmend und unterstreicht die entscheidende Rolle, die transnationale Gemeinschaften von Wissenschaftler*innen und Experten*innen spielen.
Allerdings ist die Geschichte jeder Epidemie auch eine Geschichte des Zusammenspiels von Wissen, Ideologie und Politik. Und in jeder dieser Geschichten ist die Rolle der Regierung entscheidend dafür, wie Epidemien in der Bevölkerung ablaufen. Regierungen entscheiden nicht nur darüber, wie Wissenschaft und Evidenz in Politik und Pläne einfließen; sie sind auch von zentraler Bedeutung dafür, wie Politik und Pläne umgesetzt werden.
Als ich zehn Jahre als Krankenhausarzt und Arzt für öffentliche Gesundheit in Südafrika verbracht habe, habe ich aus erster Hand gesehen, wie sich dies bei HIV/AIDS ausgewirkt hat. Zuerst scheiterte die Regierung von Nelson Mandela daran, HIV/AIDS Priorität einzuräumen, da sie vor der komplexen Herausforderung stand, die Wunden der Apartheid zu heilen und ein neues Land aufzubauen; dann sorgte die Regierung von Thabo Mbeki für Verwirrung und Verzweiflung, indem sie HIV leugnete, eine Haltung, die schätzungsweise 300.000 Menschenleben gekostet hat. Und überall auf der Welt führten Regierungspositionen zu den Themen Sex, Sexualität und intravenöser Drogenabhängigkeit zu vielen tragischen, vermeidbaren Todesfällen.
In jüngerer Zeit behinderten schwerfällige Regierungsmaßnahmen in Verbindung mit mangelndem Vertrauen zwischen Regierungsvertreter*innen und Bürger*innen Ebola-Kontrollmaßnahmen in Westafrika. Und bei Covid-19 sehen wir zahlreiche Beispiele von Regierungen, die sowohl den Verlauf der Epidemie-Kurve als auch die Art und Weise bestimmen, wie Kosten und Nutzen von Kontrollmaßnahmen in der Gesellschaft verteilt werden. Es wurde sogar angedeutet, dass Covid-19 ein Urteil zugunsten von Autoritarismus und Diktatur abgegeben hat, wenn man diese mit der schwankenden Leistung der liberalen Demokratien vergleicht.
Da die Pandemie alle Aspekte des sozialen, politischen und wirtschaftlichen Lebens betrifft, sollten wir dafür plädieren, dass Regierungen ein explizites Covid-19-Manifest verfassen, in dem sie ihre Grundsätze und Ziele im Umgang mit der Epidemie darlegen.
Wie könnte ein solches Manifest aussehen? Hier ist ein Vorschlag, der auf sieben Schlüsselverpflichtungen beruht:
Wir werden uns umfassend und fair mit Covid-19 befassen. Wir werden die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Dimensionen dieses Virus anerkennen und sicherstellen, dass es die bereits bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten nicht noch verschlimmert. Wir werden uns vor der Tendenz, dass Krisen die Gelegenheiten zu unethischer Ausbeutung und ungeheurer Profitgier bieten, hüten. Wir werden uns nicht nur von Experten*innen für Infektionskrankheiten leiten lassen, sondern auch von Ökonom*innen, Sozialwissenschaftlern*innen, Ethiker*innen, Jurist*innen und Philosoph*innen, so dass wir eine ganzheitliche Antwort auf diese komplexe Herausforderung geben können. Wir werden dringend handeln, um Leben zu retten; aber wir werden vermeiden, dass es zu unbeabsichtigten Konsequenzen kommt, wenn wir übereilt und kurzfristig handeln.
Wir werden die Freiheit nicht opfern und wir werden die Demokratie schützen. Wir werden zwar einige Maßnahmen zur Krankheitsbekämpfung durchsetzen, einschließlich der Aussetzung einiger Freiheiten und Teile des Rechts auf Privatsphäre, aber wir werden den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit respektieren und wachsam gegenüber der Gefahr sein, dass die gegenwärtige Krise zu einer dauerhaften Verschiebung in Richtung Autoritarismus und aufdringlicher Überwachung führen könnte. Und während die Krise eine klare und entschlossene Koordinierung der Exekutive erfordert, werden wir transparent sein, zu ihrer Kontrolle ermutigen und die Aufrechterhaltung angemessener Gewaltenteilung für die derzeitigen und künftigen Regierungssysteme sicherstellen.
Wir werden nicht von oben herab mit den Menschen reden. Die komplexe Natur von Covid-19, einschließlich unserer Wissenslücken, macht es erforderlich, dass Informationen und Anweisungen an die breite Öffentlichkeit klar und prägnant sind. Aber wir werden Plattitüden und Klischees vermeiden, uns dazu verpflichten, aufrichtig und ehrlich zu sein, und die Tatsache respektieren, dass die Beteiligung der Öffentlichkeit für den Umgang mit der Epidemie von zentraler Bedeutung ist. Wir werden auch populistische Angriffe auf Experten*innen und Wissenschaftler*innen ausdrücklich zurückweisen und das Vertrauen in den Journalismus im Dienste der Öffentlichkeit, den Rundfunk und die Medien wiederherstellen.
Wir werden die lokalen Systeme stärken. Alle Epidemien sind lokal und geographisch, geprägt von ihren sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und topographischen Kontexten. Anfälligkeit und Verwundbarkeit gegenüber der Krankheit sowie die Wirksamkeit der verschiedenen Maßnahmen zur Krankheitsbekämpfung werden von Ort zu Ort unterschiedlich sein. Die Gesundheitsteams der Kommunalverwaltungen sind ein offensichtlicher Baustein für die Entwicklung und Umsetzung lokaler Aktionspläne, und wir verpflichten uns, sie mit den erforderlichen Ressourcen und dem erforderlichen Mandat auszustatten. Gleichzeitig werden wir daran arbeiten, die Hindernisse zu beseitigen, die einer wirksameren Koordinierung und Integration des NHS, der Sozialfürsorge, des öffentlichen Gesundheitswesens und der Systeme und Dienste des Community- und Freiwilligensektors im Wege stehen.
Wir werden die multilateralen Institutionen stärken. Die Covid-19-Krise erfordert eindeutig eine koordinierte internationale Reaktion. Wir werden daher einen aufgeklärten Multilateralismus fördern und fordern, dass die Weltgesundheitsorganisation angemessen finanziert und vor ungerechtfertigter Kritik geschützt wird, damit sie ihren lebenswichtigen Auftrag, im Interesse aller Menschen in allen Ländern zu handeln, erfüllen kann. Und wir werden Veränderungen in der Art und Weise fordern, wie die Weltwirtschaft regiert wird, um sicherzustellen, dass alle Länder die Möglichkeit haben, robuste und angemessen ausgestattete Gesundheitssysteme zu entwickeln, als Voraussetzung für die Erreichung einer globalen Gesundheitssicherheit für alle.
Wir werden uns um diejenigen kümmern, die sich um uns kümmern. Wir werden das Engagement und den Einsatz unserer Mitarbeiter*innen im Gesundheits- und Sozialwesen niemals als selbstverständlich ansehen. Wir werden uns daran erinnern, dass ein Gesundheitssystem, auf das man sich in Krisenzeiten verlassen kann, auf einem Ethos des öffentlichen Dienstes, auf Zusammenarbeit und Professionalität beruht; und dass Gesundheitssysteme, die fragmentiert und marktorientiert sind, Risiken bergen. Wir werden dafür sorgen, dass unsere wichtigsten Mitarbeiter*innen – im NHS und darüber hinaus – angemessen bezahlt werden, und wir werden uns entschuldigen, wenn wir sie im Stich lassen. Wir werden der zunehmenden Profitgier in unseren Gesundheits- und Sozialfürsorgesystemen ein Ende setzen und dafür sorgen, dass die öffentlichen Mittel für den NHS und das Sozialfürsorgesystem auf Akteure und Dienste an vorderster Front konzentriert werden.
Wir werden die Krise in eine Chance für alle verwandeln. Wir konzentrieren uns auf den Silberstreif am Horizont, um die Gesellschaft in Zukunft für alle besser und sicherer zu machen. Wir werden die Rückkehr des Vogelgezwitschers und des klaren Himmels in unser Leben zu schätzen wissen und uns für die dauerhafte Reduzierung von Verbrauch, Abfall, Umweltverschmutzung und Treibhausgasen einsetzen. Wir werden uns an die Notwendigkeit staatlicher Intervention erinnern und dafür sorgen, dass die Kosten von Covid-19 nicht zu einer noch größeren Ungleichheit von Reichtum und Macht führen, sondern eine Gelegenheit bieten, für eine Umverteilung des Reichtums zu sorgen.
David McCoy ist Professor für Globale Öffentliche Gesundheit an der Queen Mary University in London und ehemaliger Direktor von Medact, einer im Vereinigten Königreich ansässigen Organisation im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die der International Campaign to Abolish Nuclear weapons (ICAN) angegliedert ist und die Gastgeberorganisation für ICAN-UK ist.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 29. April 2020 im Blog des BMJ-Opinion.