El Salvador: Prothesen aus dem Sozialfonds

01.04.2008   Lesezeit: 4 min

Auf dem Weg in die Autonomie: In El Salvador arbeiten kriegsbehinderte Techniker erfolgreich in einem selbstverwalteten Betrieb

Wer durch San Salvador fährt, der wähnt sich mitten in Boomtown. Die mehrspurigen Straßen sind voll gestopft mit den neusten Fahrzeug-Modellen. Schick gekleidete Damen tragen in der Mittagspause Coffee to go spazieren. Am späten Nachmittag treffen sich deren männliche Kollegen in der Sauna des Hotels Alameda und genießen bei Bier und ununterbrochenen Live-Übertragungen der US-amerikanischen Fußball-Liga das Gefühl des Mittendrin-Seins. El Salvador trägt für den Außenstehenden eine Fassade der geordneten Emsigkeit, die die tiefen Brüche und Spaltungen dieses Landes bis zur Unkenntlichkeit verdeckt. An der Gedenkstätte für die Toten des Bürgerkrieges allerdings erhält die Fassade gefährliche Risse. Auf mehrere hundert Meter Länge zieht sich das Memorial, auf dem die Namen der während des salvadorianischen Bürgerkrieges (1979 – 1991) von der Polizei, den Regierungstruppen und den Todesschwadronen ermordeten und verschleppten Salvadorianer eingraviert sind. 75.000 Namen stehen auf dem Denkmal – nach Jahren und alphabetisch geordnet. Der Feierabend-Verkehr tost vorbei. Hier aber herrscht Totenstille.

Leonides Argueta war ein Kämpfer in diesem Krieg. Er hat überlebt – aber wie? Durch eine Minenexplosion ist er so schwer verletzt worden, dass er heute im Rollstuhl sitzt. Argueta ist ein ruhiger besonnener Mann, der wenig lacht. Er stammt aus einer Bauernfamilie. Als Guerillero kann man ihn sich nicht vorstellen. „Ich hatte damals die Wahl zwischen der Nationalgarde und der Guerilla. So oder so ging´s ums Sterben. Da war es doch besser für die Freiheit ums Leben zu kommen.“ Heute ist Argueta der Direktor der salvadorianischen Prothesen-Werkstatt „PODES“. PODES steht eigentlich für den „Förderverein zur Organisation der Versehrten in El Salvador“. Doch der Titel hat sich längst verselbstständigt. PODES bedeutet auf Spanisch soviel wie „du kannst“ – ein symbolischer Name für eine Organisation wie diese. Denn hier arbeiten nur kriegsversehrte Guerillakämpfer wie Argueta. Alle Bauernkinder aus den damaligen Kriegszonen El Salvadors, die meisten verletzt durch Minen. Das vertrackte Schicksal hat ihnen ein paradoxes Leben beschert. Sie sind kriegsverwundet und traumatisiert durch die langen Jahre des Kampfes, an dessen Ende die Guerilla benachteiligt und die Verbrechen, die zu 85 Prozent von den Regierungstruppen begangen wurden, mehrfach generalamnestiert wurden. Nichtsdestotrotz sind sie heute für salvadorianische Verhältnisse gemachte Leute. Behindertengerechte Kleinwagen im Hof sind ein Zeichen von Prosperität der Beschäftigten. 8 behinderte Prothesentechniker und 5 Verwaltungsfachleute produzieren Prothesen, Orthesen und Komponenten auf internationalem Niveau.

Für medico ist PODES eine exemplarische Projekt-Erfolgsgeschichte, die gemeinsam mit den Ex-Guerilleros vor 14 Jahren begonnen wurde. Das sah allerdings lange ganz anders aus. Nachdem ausländische Geber ihr Geld einige Jahre nach Kriegsschluss aus El Salvador abzogen, stand PODES fast vor dem Aus. Ein aufgeblähter Verwaltungsapparat und die Angst demotivierter Mitarbeiter vor dem Schritt in die Selbstständigkeit bedrohten die Existenz des selbstverwalteten Unternehmens.

Leonides Argueta denkt heute mit einem Schmunzeln an die nervtötenden Sitzungen mit dem damaligen medico-Projektkoordinator Walter Schütz zurück. Nach tagelangen Debatten verständigte man sich schließlich darauf, die medico-Projektunterstützung zu verändern: Ab sofort zahlte medico nur noch in einen eigens eingerichteten Sozialfonds ein und leistete keine direkte Finanzhilfe mehr an PODES. Aus dem Sozialfonds können sich bis heute mittellose Patienten eine Prothese finanzieren lassen. Sie werden so in den Stand autonomer Patienten versetzt, die entsprechende Qualitätsforderungen an PODES richten können. Diese Umstellung hatte weitreichende Folgen. PODES ist wieder ausgerichtet am Wohlergehen der Patienten, was auch die Bedeutung der Kollegen erhöhte, die direkt mit den Patienten arbeiten. Heute gewinnt PODES Ausschreibungen der Sozialversicherung für die Anfertigung von Prothesen etwa bei Betriebs- oder Autounfällen. Damit ist eine neue Einkommensquelle gesichert.

„Wir sind aus den Schulden raus“, erzählt Leonidas Argueta. „Nun wollen wir positive Abschlüsse erreichen.“ Der Gewinn wird aber nicht wie in einer privaten Werkstatt an die Besitzer ausgeschüttet. Ein ehrenamtlicher Vereinsvorstand wacht über dessen Verwendung. Raul Mijango, ein bekannter ehemaliger Guerilla-Kommandant, ist ein Vorstandsvorsitzender von PODES, der klare Prioritäten hat. Erst, sagt Mijango, müsse die Ausrüstung erneuert werden, dann werde aber auch PODES einen Teil seiner Gewinne in den Sozialfonds abführen.

Für Mijango ist der Sozialfonds eine wegweisende Idee, die er für die Versorgung aller Behinderten durchsetzen möchte. „Der Staat“, so Mijango, „interessiert sich hier überhaupt nicht für die Belange der Behinderten.“ Die seien gerade noch gut, um einmal im Jahr als Objekte der Wohltätigkeit in einer Spendengala des Fernsehens bedacht zu werden. Mit der Idee des Sozialfonds will Mijango der Forderung nach einer öffentlichen Gesundheitsstruktur wieder Nachdruck verleihen. So bekommt die Arbeit von PODES auch eine politische Dimension.

Projektstichwort

medico international unterstützt den Sozialfonds von PODES jährlich mit etwa 20.000 Dollar. Davon können etwa 50 Behinderte ihre Prothesen kaufen oder erneuern. Hilfe zur Selbsthilfe und ein Beispiel solidarischer Versicherung. Sie können es unterstützen unter dem Stichwort: El Salvador

 


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