Die libysche Regierung hatte Anfang Oktober in einer überraschenden Verhaftungsaktion tausende Flüchtlinge aus Wohnungen und Sammelunterkünften zusammengetrieben, um sie in die berüchtigten Haftlager Libyens zu bringen. Mindestens sechs Menschen wurden dabei von libyschen Sicherheitskräften ermordet. Einige tausend konnten entkommen und campierten seither in der Hoffnung auf Hilfe, Schutz und Evakuierung auf der Straße vor dem UN-Flüchtlingshilfswerk. Vergeblich: Der UNHCR behauptete, diese Menschen seien nicht „vulnerabel“, man habe keine Kapazitäten für sie. Ende Dezember schloss der UNHCR das Community Development Center. Infolgedessen waren die Menschen vollkommen schutzlos der „libyschen Behörde zur Bekämpfung illegaler Migration“ (DCIM) ausgeliefert, die Hunderte von ihnen Anfang Januar unter Einsatz von Schusswaffen in das Haftlager Ain Zara brachte. Dabei wurden zum Teil Kinder von ihren Eltern getrennt.
Der Umgang mit dem Protestcamp zeigt eindrücklich, dass es in Libyen für Migrant:innen und Flüchtlinge keine Sicherheit gibt. Da Libyen keine Asylgesetzgebung hat, gelten die Menschen automatisch als „illegale Migrant:innen“ und können jederzeit Opfer von Razzien, willkürlicher Inhaftierung und Gewalt werden.
Wir fordern:
- Die Europäische Union ebenso wie die europäische Grenzschutzagentur Frontex und die Mitgliedsländer der EU müssen sofort jegliche Finanzierung und Kooperation mit der korrupten libyschen Küstenwache beenden, die Flüchtlinge und Migrant:innen in die Folterlager Libyens zurückzubringt. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen stattdessen die Seenotrettung wieder aufnehmen, um das Überleben schiffbrüchiger Flüchtlinge sicherzustellen. Sie müssen zudem genügend Resettlementplätze für die gepeinigten Migrant:innen und Flüchlinge in Libyen zur Verfügung stellen.
- Der UNHCR muss endlich tätig werden und sein klares völkerrechtliches Mandat wahrnehmen. Wir verlangen sein sofortiges Einschreiten, damit die Menschenrechte der Schutzsuchenden in Libyen gesichert werden. Sämtliche Flüchtlinge müssen umgehend aus den libyschen Folterlagern befreit und vom Hochkommissariat völkerrechtskonform untergebracht werden. Anstatt das Martyrium der Flüchtlinge in den libyschen Lagern stillschweigend hinzunehmen, muss Hochkommissar Filippo Grandi endlich international gesicherte Unterkünfte für die Menschen bereitstellen.
- Die Bundesregierung ist ein äußerst einflussreiches Geberland des UNHCR. In der gegenwärtigen verzweifelten Situation fordern wir die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock auf, beim UNO-Hochkommissar Filippo Grandi in Genf persönlich zu intervenieren, damit er sofort zugunsten der gepeinigten Flüchtlinge in Libyen aktiv wird.
- Insbesondere der Südsudanese Yambio David Oliver Yasona und der Sudanese Hassan Azakaria sind akut in Lebensgefahr. Die beiden Sprecher der Flüchtlingsproteste haben in den letzten Monaten immer wieder öffentlich über die Situation der Flüchtlinge und Migrant:innen in Libyen gesprochen. Sie halten sich derzeit versteckt, weil die Milizen sie mit dem Tode bedrohen. Beide müssen sofort in den Räumen des UNHCR Schutz finden. Von der Bundesregierung fordern wir, umgehend die humanitäre Aufnahme von Yambio David Oliver Yasona und Hassan Azakaria in die Wege zu leiten.
Carola Rackete (Zivile Seenotretterin und Naturschutzökologin)
Milo Rau (Autor und Regisseur)
Jean Ziegler (Berater des UNO-Menschenrechtsrates)
und medico international
„Wir fordern die Bundesregierung auf, umgehend die humanitäre Aufnahme von Yambio David Oliver Yasona und Hassan Azakaria in die Wege zu leiten und mehr Resettlementplätze für Flüchtlinge aus Libyen bereitzustellen. Niemand darf willkürlich Gefängnis, Folter und Sexualverbrechen ausgesetzt sein wie es seit Jahren in Libyen geschieht. Nicht zu handeln, heißt Menschen weiter der Willkür von Milizen auszusetzen und gefährdet akut diejenigen, die ihr Leben riskiert haben, um öffentlich über die dramatische Situation in Libyen zu sprechen.“
Carola Rackete
"Es geht nicht, dass zehntausende Menschen vor unseren Augen sterben. Wir tun, als sei das eine Naturkatastrophe und nicht die logische Folge der europäischen Politik. Man muss die Fluchtwege nach Europa an die Bedingungen des 21. Jahrhunderts anpassen. Wie kann man das organisieren, damit die Leute nicht gezwungen sind, sich auf Schlepper zu verlassen und in die kriminellen Strukturen hineinzugeraten? Das wäre ein Heilungsprozess für die ganze EU."
Milo Rau
„Der UNHCR und die europäischen Regierungen dürfen das Elend der Flüchtlinge in Libyen nicht länger tatenlos hinnehmen. Die Kooperation der EU mit der korrupten libyschen Küstenwache muss sofort beendet werden. Anstatt das Martyrium der Menschen weiter stillschweigend hinzunehmen, muss UNO-Hochkommissar Filippo Grandi endlich dafür sorgen, dass die Menschen sicher untergebracht werden.“
Jean Ziegler