Grenzgänge in Israel & Palästina

»Across the borders«

01.11.2001   Lesezeit: 5 min

Die nun verblaßten »Oslo-Verhandlungen« standen im Zeichen der Erwartung »Land gegen Frieden«. Diese Rechnung, die beide Seiten gemacht hatten, ist nicht aufgegangen. Zu groß war der Widerstand der israelischen Seite gegen einen tatsächlichen Rückzug aus besetzten Gebieten und gegenüber einer gemeinverträglichen Lösung der Jerusalem Frage. Zu eruptiv und entfesselt die palästinensische Gewaltreaktion, um unvermittelt nach jetzigem Stand der gegenseitigen Aggressionen wieder an einen Verhandlungstisch zurückzukehren: die geschlagenen Wunden sitzen tief. Vollends unlösbar erscheint die palästinensische Erwartung auf die Garantie des Rückkehrrechtes für ihre Exilierten und Vertriebenen. UN-Resolutionen sind hier berührt, die dieses Recht versichern, dessen Vollzug die israelische Seite als existentielle Bedrohung empfindet.

Vielleicht aber liegt in der vermeintlichen Ausweglosigkeit auch die Chance, das Oslo zugrunde liegende Konzept »Land gegen Frieden« ob seiner Tauglichkeit grundlegend neu zu überdenken. Läßt sich Frieden tatsächlich eintauschen gegen Land? Tatsächlich ist »Land« im israelisch-palästinensischen Kontext nicht nur konkreter »Boden«, der dann in mühseligen Verhandlungen Prozentweise vermessen und zugeordnet, reklamiert, erobert und verteidigt wird, sondern vor allem eine zentrale Chiffre und ein umkämpfter Begriff, der tiefliegende und emotionale Statusansprüche bezeichnet. Je länger für Palästinenser die Perspektive einer allgemeinen Rückkehr sich verzögert, je mehr Generationen im Exil aufwachsen, die ihr »Heimatland« nur aus den Erzählungen der alten und dem Liedgut kennen, dessen weniger Substanz ist zu erkennen. Das häufig erodierte, verkarstete Land, oft außer für Olivenkulturen kaum bebaubar, erfährt nun mythische Besetzung: als »Land wo Milch und Honig« flossen. Erscheint das Beharren der palästinensischen Flüchtlinge auf dem konkreten Recht der Rückkehr an den Ort, wo ihre Groß- und Urgroßeltern bis 1948 lebten, auch halsstarrig unrealistisch und wird es in Teilen der deutschen Linken gern als »Blut -und Boden-Ideologie« denunziert, so entsteht paradoxerweise gerade durch das Beharren der palästinensischen Flüchtlinge auf ihr »eigenes Land« und der Weigerung, »spurlos« in den arabischen Exilländern aufzugehen, eine »grenzüberschreitende« Dynamik, die das »Festkleben an der eigenen Scholle« gerade da überwindet, wo es scheinbar so unlösbar eingefordert wird.

»Across the Borders« heißt deshalb nicht zufällig ein an der Bir Zeit Universität eröffnetes medico-Projekt, mit dem Flüchtlingskinder aus der Westbank, Jordanien und dem Libanon sich zunächst virtuell kennenlernen, eine gemeinsame Website gestalten, die ihre Realität widerspiegelt und neue Sicht und andere Perspektiven erfordert.. »Across the Borders« ist ein zentrales Thema auch in den Filmen und dem Fotobuch, die bei ARCPA im Projekt »Images and Testimonies from the Camps in Lebanon« produziert werden: »Palestinian Children record their Lives and Hopes«. »Across the Borders« richten sich auch die unmittelbaren Wünsche und Tagträume der palästinensischen Jugendlichen, die nach ihrer Schul- und Berufsausbildung ohne Arbeitsperspektive im Libanon festhängen, mit Wünschen nach einem Visum für ein europäisches Land, für die USA, Kanada und Australien. »Across the Borders« zielt auch die Arbeit des »Social Communication Center Ajial« in Beirut, die Diskussionen, Workshops, Sommercamps für Jugendliche und Junge Erwachsene anbieten, die nicht nur Jugendliche aus den verschiedenen Organisationen und Lagern im Libanon, und darüberhinaus aus den unterschiedlichen Ländern der Diaspora zusammenbringen sollen, sondern auch den Dialog und die Auseinandersetzung zwischen jungen Palästinensern und Libanesen fördern wollen, der im Libanon als »Erbe des Bürgerkrieges« immer noch von Feindseligkeit und Ausgrenzung geprägt ist. »Across the Borders« könnte das Motto einer Unterstützung palästinensischer Flüchtlinge sein, die sich nicht auf die Frage »Sind wir für das Rückkehrrecht der Palästinenser oder das Existenzrecht des Staates Israel« reduzieren lassen kann und will, wie sie scheinbar unumgänglich zugespitzt in der aktuellen Auseinandersetzung mit Worten und Waffen verhandelt wird. Vielmehr geht es um das Ernstnehmen der konkreten Wünsche und Perspektiven der Menschen und die ernsthafte Auseinandersetzung damit, ohne vorschnell die »politischen Realitäten« und »historischen Entwicklungen« als unveränderliche Größen und Entschuldigung für das eigene Nicht-Handeln-Können zu machen. »Across the Borders« müßte die Widersprüche aufzeigen und offenhalten, die in dieser spezifischen Situation der palästinensischen Flüchtlinge liegen: Den Verlust des »eigenen Landes« und das Beharren auf die Restitution und Rehabilitation der Ansprüche auf dieses Land ernstnehmen und zugleich seine Begrenztheit aufzeigen; den Wunsch nach Rückkehr unterstützen und dabei deutlich machen, daß der Weg Zurück ein Gang in eine neue Situation ist, daß die palästinensischen Dörfer und Lebenswelten nicht wieder auferstehen werden nach über 50 Jahren, daß die Entscheidung palästinensischer Jugendlicher nach einem Leben »im Westen« kein Verrat an der »gemeinsamen Sache« ist, sondern eben Teil der »gemeinsamen Sache«, wenn sich kollektive Identität eben nicht nur wieder an die eigene Scholle binden soll. Was nicht nur keine Option für 5 Millionen Palästinenser in der Diaspora ist (sowenig wie die jüdische Diaspora durch die Gründung Israels zu ihrem Ende gekommen ist), sondern im Interesse einer Überwindung eines nationalen Chauvinismus geradezu unerläßlich ist. »Across the Borders« soll daher nicht nur die Arbeit der beschriebenen Projektpartner vorstellen und fördern, sondern sich auch an die palästinensischen Gemeinden hier in Deutschland richten, um die spezifischen Erfahrungen dieses Exils in diesen Prozess einzubringen. »Across the Borders« müßte endlich auch – so unrealistisch das gegenwärtig erscheinen mag – die Grenzen zwischen der arabisch-palästinensischen bzw. israelisch-jüdischen Gesellschaft in den Blick nehmen und versuchen, an der Überwindung der starren Selbstbezogenheit beider gemeinsam zu arbeiten, um auch das gegenseitige Mißtrauen und das beidseitige Aufrechnen der jeweiligen Opfer- und Leidensgeschichte einzubeziehen. Auszuloten wäre, wieweit innerhalb der palästinensischen und jüdischen Gemeinden und Initiativen in der BRD Interesse und Bereitschaft an solchen »Grenzgängen« bis hin zu Grenzüberschreitungen vorliegt und gefördert werden kann.

Andreas Wulf

Als »Weihnachtsgeschenk« steht Ihnen das ARCPA-Photobuch zur Verfügung. Fordern Sie doch bitte nähere Info-Material kostenlos an & begleiten Sie doch bitte diesen »Grenzgang« in schwieriger Zeit mit ihrer Hilfe und Ihrer Spende. Das Stichwort lautet: »Libanon«


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