„Die Leute hier auf dem Land wollen, dass ich ihnen den Zahn ziehe, wenn er wehtut. In der Stadt tun sie alles, damit er möglichst lang erhalten bleibt“, erzählt die junge Zahnärztin, die wie neun weitere junge engagierte MedizinerInnen derzeit ihr Praktisches Jahr im Nordosten des mexikanischen Bundesstaates Chiapas absolviert. Sie alle haben an der Universidad Autónoma Metropolitana in Mexiko-Stadt Human- oder Zahnmedizin studiert und Ende August 2011 gerade die ersten drei Wochen Praxiserfahrung in einer der acht zapatistischen Landkliniken hinter sich, die die medico-Partnerorganisation SADEC unterstützt. Pro Landklinik absolviert ein Arzt oder eine Ärztin das Praktische Jahr. Hinzu kommen zwei überregional arbeitende Zahnärztinnen, die die Kliniken tageweise besuchen. Im Ende 2010 fertig gestellten Weiterbildungszentrum von SADEC in Palenque treffen sie sich alle einmal im Monat und tauschen sich über ihre Erfahrungen aus.
Die meisten von ihnen sind zum ersten Mal in Chiapas, einem der ärmsten Bundesstaaten ihres Landes, in dem ein Viertel der Bevölkerung indigener Abstammung ist. Den einen reizte vor allem das Abenteuer, die andere wollte dort arbeiten, wo medizinische Versorgung am dringendsten benötigt wird. Der Kontrast zu dem Leben und den Arbeitsbedingungen in der Hauptstadt ist für alle ein großes Thema. Verständigungsschwierigkeiten mit den häufig kaum Spanisch sprechenden indigenen PatientInnen, die vergleichsweise dürftige Ausstattung der Landkliniken und die traditionellen Geschlechterrollen in den indigenen Gemeinden gehören zu den Dingen, die sie am meisten umtreiben.
Hohe Wertschätzung und hohe Erwartungen
Eine weitere Herausforderung ihrer Arbeit ist die Kombination aus hoher Wertschätzung und oft schwer zu erfüllenden Erwartungen an die Macht der Medizin, die ihnen in den Dörfern entgegengebracht werden. Die DorfbewohnerInnen hätten sehr viel Respekt vor ihnen als studierten ÄrztInnen, erzählen sie. Gleichzeitig würden aber auch Erwartungen an sie herangetragen, die sie nur schwer erfüllen können oder wollen. So glaubten die meisten PatientInnen, es sei mit einem einzigen Arztbesuch getan, wenn sie ein gesundheitliches Problem hätten. Nicht zuletzt weil die Anreise zur Klinik für einige sehr weit sei, erwarteten sie von den ÄrztInnen schnelle Abhilfe: Ein Medikament, das unmittelbare Heilung bewirkt, oder eben die sofortige Entfernung eines schmerzenden Zahns. Die Notwendigkeit längerfristiger Behandlungen sei nur schwer vermittelbar.
Um sich über solche und andere Herausforderungen, die die Arbeit in den abgelegenen Landkliniken mit sich bringt, austauschen zu können, sind die monatlichen Zusammenkünfte der MedizinerInnen bei SADEC in Palenque sehr wichtig. Alejandro, ein Kollege von SADEC, der selber Arzt ist und die Landkliniken gut kennt, betreut seine jungen KollegInnen hier und besucht sie auch regelmäßig in den Kliniken.
Lieber zum Gesundheitspromotor
SADEC koordiniert aber nicht nur den Einsatz junger MedizinerInnen aus Mexiko-Stadt im Nordosten von Chiapas, sondern unterstützt die indigene Selbstverwaltung in den zapatistischen Caracoles seit 1994 vor allem auch durch die Ausbildung von Gesundheitsverantwortlichen, sogenannten PromotorInnen, und die Fortbildung traditioneller Hebammen aus den zapatistischen Dörfern selbst. Diese Hebammen und PromotorInnen stellen durch ihre Ausbildung und ihre kontinuierliche Präsenz vor Ort die dauerhafte Basisgesundheitsversorgung sicher.
In La Culebra, einer der zapatistischen Landkliniken, die SADEC fördert, arbeitet Marcelo, der voller Begeisterung von seiner Arbeit erzählt. Er ist seit über acht Jahren als Gesundheitspromotor tätig und hat schon mit vielen jungen ÄrztInnen zu tun gehabt. Ihr Einsatz sei sehr wertvoll, betont er und fügt lachend hinzu, dass manche PatientInnen aber lieber zu ihm kämen.
Aufwertung traditioneller Heilverfahren und pflanzlicher Arzneimittel
Marcelo lebt in La Culebra und hat eigentlich 24 Stunden am Tag Bereitschaft. Oft klingeln PatientInnen außerhalb seiner Sprechzeiten in der Klinik bei ihm zu Hause. Das macht ihm nichts aus. Im Gegenteil. Er freut sich, dass seine Hilfe so sehr geschätzt wird. Wie nur zwei weitere männliche Promotoren ist Marcelo auch Geburtshelfer. Das meiste hat er von seiner Mutter gelernt, die im Dorf als Hebamme tätig ist. Geburtshilfe zählt zu den wichtigsten Aufgaben in den Landkliniken. Marcelo hat im letzten halben Jahr zwanzig Geburten begleitet, zwei davon Zwillingsgeburten. Alle ohne größere Komplikationen.
Mit Marcelo zusammen arbeitet derzeit Magali in La Culebra. Eine junge Promotorin, die gerade einen Kurs in der Herstellung von pflanzlichen Heilmitteln bei SADEC absolviert hat. Von der Förderung der Pflanzenmedizin verspricht sich die zapatistische Autonomiebehörde eine größere Unabhängigkeit von der Pharmaindustrie. Dabei werden Heilpflanzenpräparate nicht als Ersatz für die Schulmedizin gesehen, sondern als Ergänzung. SADEC führt entsprechende Fortbildungsmaßnahmen mit Unterstützung von medico durch, um sowohl die GesundheitspromotorInnen als auch die SchulmedizinInnen für den Wert und die Bedeutung traditioneller Heilverfahren und pflanzlicher Arzneimittel zu sensibilisieren und die kulturelle Identität der indigenen Bevölkerung zu stärken.
Helfen lernen
Die Stärkung der zapatistischen Autonomie und die Verbesserung der Basisgesundheitsversorgung in den zapatistischen Gebieten ist das Hauptanliegen unserer PartnerInnen von SADEC. Der Einsatz der jungen ÄrztInnen aus der Stadt dient wie alle anderen Maßnahmen in erster Linie diesem Zweck. Die Konfrontation mit einem fremden Teil ihres eigenen Landes und die für beide Seiten nicht immer einfache Zusammenarbeit von ÄrztInnen und lokalen GesundheitspromotorInnen erzeugt jedoch oftmals auch einen Lerneffekt bei den MedizinerInnen. „Es gibt immer wieder welche, denen es nicht gelingt, Kontakt zur Lokalbevölkerung aufzubauen. Die meisten verstehen aber im Lauf der Zeit mehr über die Bewegung der Indigenas und reflektieren ihre eigene Haltung“, erzählt Joel, der Koordinator von SADEC. Einige der ÄrztInnen, die ihr Praktisches Jahr in den zapatistischen Landkliniken absolviert haben, entscheiden sich sogar später bewusst dazu, sich im medizinisch unterversorgten Chiapas niederzulassen.
Projektstichwort:
medico international und medico international schweiz unterstützen die Partnerorganisation SADEC bei der Stärkung der zapatistischen Kliniken durch den Einsatz von mexikanischen ÄrztInnen im Praktischen Jahr, die Aus- und Fortbildung von PromotorInnen und Hebammen sowie Fortbildungsmaßnahmen zur Herstellung pflanzlicher Arzneimittel.
Spendenstichwort: Mexiko.