Niemand hat die großen Auswirkungen vorhergesehen, die die Covid-19-Pandemie auf die Migrationsroute haben würde, insbesondere auf die zentralamerikanische Migration. Heute sind die Straßen und Wege, über die früher täglich Hunderte von Migrant*innen reisten, praktisch menschenleer. Die Migration ging zurück, sobald die ersten Fälle in Lateinamerika registriert wurden.
Ich reise oft auf den Straßen, um herauszufinden, was in diesen Ecken und Winkeln geschieht, ich versuche, auf dem Laufenden zu sein, das ist notwendig, manchmal werde ich von Journalist*innen, Aktivist*innen und ein oder zwei Akademiker*innen begleitet. In den letzten Jahren wurde ich von einer Nikon-Kamera begleitet, die mir meine Freundin Luisa Manrique geschenkt hat. Diese Kamera diente mir dazu, die Straße zu dokumentieren, und viele Male verhinderte sie, dass mehr als ein Polizist, Soldat oder Agent der Einwanderungsbehörde versuchte, mich einzuschüchtern oder anzugreifen. Für mich ist sie eine Waffe, die mir hilft, mich zu verteidigen. Auf der letzten Reise ist sie kaputtgegangen, also braucht es eine Neue.
Bei den Reisen geht es meist auch darum, die Bestie zu erklimmen, ich mache das schon seit Jahren, das Glück und der Segen vieler Menschen haben mich begleitet. Ich habe die Erfahrung, aber ich klammere mich nicht daran fest, denn jede Reise ist anders. Auf meiner letzten Reise auf dem Rücken der Bestie – wie die Migrant*innen den Zug nennen – es war an einem Nachmittag im Dezember 2019, baten mich einige Journalist*innen, sie zu begleiten, weil sie die Reise dokumentieren wollten, die Tausende von Menschen jedes Jahr auf einer der gefährlichsten Reisen der Welt unternehmen.
Wochen nach dieser Reise verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer um die Welt, dass in China ein neues Virus namens „Coronavirus“, das heute als Covid-19 bekannt ist, aufgetaucht ist, und es war dieses Land, das der WHO in der Stadt Wuhan seine ersten positiven Fälle meldete.
Nachdem das Virus per Flugzeug und mit einem Visum in Lateinamerika angekommen war, verschwanden bald die Bilder von Hunderten von Migrant*innen, die auf dem Zug reisten. Die zentralamerikanischen Länder gerieten in Panik, ihre Regierungen ordneten eine Ausgangssperre an und schlossen ihre Grenzen, zuerst El Salvador, dann Guatemala und Honduras.
Die von den Regierungen ergriffenen Maßnahmen und die Furcht vor Ansteckung taten das, was keinem Eindämmungsplan und keiner Regierung je gelang, nämlich die Migration um bis zu 95% zu reduzieren. Aber das ist nur vorübergehend. Wenn die Zahl der Ansteckungen abnimmt, wird die Migration neu beginnen, denn die Pandemie wird eine Wirtschaftskrise hinterlassen, die zu einer Migrationskrise wird. Die Notwendigkeit zur Auswanderung wird größer und diese Bilder werden zurückkehren.
Rubén Figueroa, ein Menschenrechtsverteidiger, gehört als Süd-Süd-Ost-Koordinator der medico-Partnerorganisation Movimiento Migrante Mesoamericano an.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 12. Mai 2020 auf der Seite des Movimiento.
Seit 2010 unterstützt medico international das Movimiento Migrante Mesoamericano. Die Organisation organisiert jedes Jahr eine Karawane von Müttern verschwundener zentralamerikanischer Migrant*innen in Mexiko. Außerdem verschafft sie dem Thema Raum in der mexikanischen Öffentlichkeit. Grundlage für die Zusammenarbeit mit medico ist das geteilte Verständnis dafür, dass Illegalisierten dazu verhoölfen werden muss, ihre Rechte in Anspruch nehmen zu können.