Vor fast einem Jahr, am 6. August 2006, bombardierte die israelische Luftwaffe zum wiederholten Male die "Dahiyeh", die südlichen Vororte von Beirut. An und für sich nichts ungewöhnliches, da die "Dahiyeh", besonders das Viertel Haret Hreik, das Hauptquartier der Hizbullah-Partei beherbergt. Doch an jenem Sonntag zielten die israelischen Piloten direkt auf einen Apartmentblock, der unmittelbar an unser Wohnhaus und den Hangar von Umam D&R anschloss. Das anvisierte Gebäude wurde förmlich gespalten, bei uns wurden die Dächer stark beschädigt, durchschlugen Granatsplitter die Häuserwände.
Am 24. Mai 2007, fast 10 Monate später, konnten wir unseren Hangar, auch mit Hilfe von medico, wieder eröffnen. Lange überlegten wir welches Thema wir zum Neuanfang wählen sollten – und entschieden uns für die Vergangenheit, die heute erneut gegenwärtig ist. Seit 2005 arbeiten wir an einem Projekt, das die Geschichte unseres Viertels Haret Hreik rekonstruiert: Haret Hreik war vor dem Ausbruch des libanesischen Bürgerkrieges 1975 ein idyllisches Villenviertel mit Gärten, zu 70% christlich und zu 30% schiitisch. Doch mit Beginn des Krieges begann ein Bevölkerungstransfer: Christen flohen in andere Viertel, und schiitische Flüchtlinge vor allem aus dem Süden und der Bekaa kamen nach Haret Hreik. Endgültig veränderte sich der Charakter von Haret Hreik und aller anderen Vororte Südbeiruts mit dem Aufkommen der Hizbullah im Jahre 1982: Hochhäuser statt Villen, Alkoholverbot, Schließen von Kinos... - die "Dahiyeh" wurde zum städtischen Zentrum der "Partei Gottes". Während des "Sommerkrieges" 2006 zerstörte die israelische Luftwaffe allein in Haret Hreik mehr als 240 Wohnblöcke. Die Trümmerlandschaft wich inzwischen leeren, weiten Flächen, auf denen die geplanten Neubauten heute erneut Fragen provozieren, ob die "Dahiyeh" zum zweiten Mal ihren Charakter verändern wird. Daher unsere Entscheidung, eine Arbeit "in progress" vorzustellen: Collecting "Dahiyeh"Collecting "Dahiyeh" ist eine Collage aus Dokumenten, Interviews und Photos, erzählt Geschichten: Geschichten aus der Zeit, als in den südlichen Vororten noch Seide gewonnen wurde; Geschichten über das Zusammenleben der Familien unterschiedlicher Konfessionen; Geschichten über Kinos und Strandleben; Geschichten über palästinensische Flüchtlingslager und Immobilienspekulanten.
Zur Eröffnung des Hangars kamen mehr als 200 Personen. Ein sehr gemischtes Publikum, das sich über die Angst hinwegsetzte, die die jüngsten Ereignisse im Libanon ausgelöst hatten: die Kämpfe zwischen der radikal-islamistischen Gruppe Fatah al-Islam und der libanesischen Armee im Palästinenserlager Nahr al-Bared im Norden Libanons, die Bombenanschläge in christlichen und sunnitischen Beiruter Vierteln und dem kleinen drusischen Bergstädtchens Aley. Ältere Besucher aus dem Viertel wurden von ihren Erinnerungen eingeholt, und viele jüngere entdeckten eine bisher für sie meist unbekannte Geschichte. Seit Eröffnung der Ausstellung haben wir viele weitere alte Photos erhalten und mehrere Interviews geführt. Der Prozess Collecting "Dahiyeh" geht weiter.
Monika Borgmann-Slim lebt in Haret Hreik und leitet zusammen mit Lokman Slim das Projekt Umam D&R.
Projektstichwort
Der Projektname Umam ist programmatisch: Im Arabischen bedeutet Umam "Nations", das D steht für Documentation, das R für Research. medico wird die politische Kulturinitiative Umam, aber auch unsere weiteren Partner in den palästinensischen Flüchtlingslagern unterstützen, die aktuell die von Armee und Fundamentalisten bedrohten Flüchtlinge im Nahr el-Bared mit Medikamenten und Nahrungsmitteln versorgen. Unser Stichwort lautet: Libanon.