Mexico: Kunst die eingreift / Eingreifende Kunst

01.09.1999   Lesezeit: 8 min

Normalerweise werden Denkmäler aufgestellt in Erinnerung an heroische Taten: zu Zeiten, wo die politischen Bedingungen oder die konkreten Anlässe, die sie hervorgerufen haben, längst beendet sind. Meist sind sie weniger »Denkmale« oder gar Mahnmale, sondern dienen der rückwirkenden gesellschaftlichen Rechtfertigung und der Beschwichtigung derer, die verstört eine ihnen verständliche Erklärung ihres Leidens suchen und sie verklärt in einem hehren nationalen Ziel, gefunden zu haben glauben. Und wie schwer es einer Gesellschaft fällt, die Diskussion über ihre eigene Täterschaft und allgemein erkanntes Unrecht zu führen und »denkmalerisch« umzusetzen, zeigt die aktuelle deutsche Diskussion über das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Um so erstaunlicher ist, wenn ein Mahnmal gegen Krieg, Folter, Mord, Unterdrückung und Marginalisierung, inmitten eines noch wogenden Krieges errichtet wird und sei es auch »nur« einer der unzähligen Kriege, die heute als »low-intensity war« bezeichnet und von der Mehrheit der Menschheit, wenn überhaupt, nur marginal wahrgenommen werden. Genau inmitten eines solchen 500-jährigen Krieges, die unterschiedlichste Regierungen an so vielen Stellen der Welt fast unbeobachtet führen und deren Ziel die Ausrottung der Andersartigkeit in Denken, Fühlen, Hoffen und Wünschen ist, fand diese einzigartige Aktion statt. Ausgeführt von der ewig marginalisierten indigenen Bevölkerung, im Angesicht einer hochgerüsteten Armee. Ihr Anspruch, genauso wie der der restlichen, rapide wachsenden marginalisierten Bevölkerung: kulturelle Akzeptanz, Selbstverwaltung, Arbeit und gerechte Entlohnung, Gesundheit und Bildung, kurz: ein Leben in Würde. Eine anachronistisch anmutende Auseinandersetzung, deren aktuelle Gründe aus dem weltweit praktizierten Brachial-Kapitalismus, (auch Neoliberalismus genannt) resultieren.

Mexiko, seit 1994 selbsternanntes Mitglied der 1. Welt, ist eines dieser Länder in denen das andersartige Leben, häufig gleichgesetzt mit überflüssigem Leben, einer existentiellen Bedrohung durch die wirtschaftliche, politische und kulturnivellierende Großoffensive des internationalen Marktes und seiner lokalen Handlanger ausgesetzt ist. Zu überflüssigem, weil unproduktivem Menschenmaterial erklärt, steht die kulturelle Alternative und Vielfalt in Mexiko auf der Abschußliste der Politiker und Militärs. Aber die angebliche Ausschußware »Mensch« wehrt sich nicht nur gegen seine endgültige Vernichtung, sondern ist mit seinem Schlachtruf »Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie«, inzwischen zur Hoffnung all der Marginalisierten Mexikos geworden, die sich nicht mit der ökonomisch definierten »Endlösung« abfinden wollen. Wird der Krieg von Seiten der Regierung mit schweren Waffen und politischen Betrugsmanövern geführt, so nutzt die Gegenseite, Kreativität, Worte und Symbole, um die Bevölkerung zu immer neuem Ungehorsam und Widerstand zu mobilisieren. Zu einem solchen Symbol wurde, wenn auch ungewollt, der 22. Dezember 1997.

An diesem Tag überfielen Paramilitärs den Weiler Acteal im chiapanekischen Hochland und massakrierten 45 Frauen, Kinder und Männer. Vielen schien es wie der blutige Auftakt zu letzten Offensive des Heeres gegen die Rebellen in Südmexiko. Aber was als massive Einschüchterung der widerspenstigen Bevölkerung gedacht war, löste ein politisches Beben aus, dessen Wellen bis heute die Zentren der politischen Macht des Landes erschüttern. Acteal stellte nicht nur die mexikanische Regierung in In- und Ausland bloß, Acteal wurde zu einem Wahrzeichen für alle die ähnliche Repressionen erleiden mußten, für alle die für ihren Traum eines wahrhaft freien, demokratischen Mexikos gedemütigt, verfolgt, gefoltert und ermordet wurden. Acteal sind sie alle und die in Acteal massakrierten waren ihre Vorkämpfer für ein neues Mexiko.

Genau hier an dieser Stelle, wo rund 6000 interne indianische Flüchtlinge, umzingelt von Militär, Polizei und paramilitärischen Trupps, auf engstem Raum leben und ihre politische Eigenständigkeit hartnäckig verteidigen, steht seit dem 13. Mai ihr Mahnmal. Mitten im Konfliktgebiet & mitten im Konflikt: in Sichtweite aller Beteiligten beider Seiten, winden sich 50 gekrümmte und verstümmelte Körper in Todesqualen. Wie ein drohender Finger überragt die acht Meter hohe Skulptur die umliegenden niedrigen Hütten und Bäume. Geschaffen wurde das Mahnmal vom dänischen Künstler Jens Galschiot Christophersen aus Odense. Ausgelöst durch den neozapatistischen Aufstand von 1994, bei dessen versuchter blutiger Niederschlagung mehr als 1000 Personen im Lauf des Jahres durch Heer und Polizei umkamen, begann er sein weltumspannendes Projekt »The Pillar of Shame«. Die Schandsäule soll im Verlauf eines Jahrzehnts an 10 verschiedenen Orten der Welt errichtet werden. Zehn Orte die stellvertretend stehen für die schlimmsten Verbrechen die Menschen Menschen angetan haben. Nicht in erster Linie als Anklage für Geschehenes, sondern als Mahnung für die Zukunft versteht er sein Werk.

In Koordination mit dem Congreso Nacional Indigena und der Künstler und Theatergruppe CLETA wurde die Skulptur Anfang April nach Mexiko gebracht und wenig später während des internationalen Theater-Festivals im populären Chapultepec Park errichtet. Hier hatte CLETA vor knapp drei Jahren das erste »befreite Gebiet« in der Hauptstadt ausrufen wollen. Eine Art extraterritoriale Zone, wo Theater, Satire, Witz und Politik zusammenfließen sollten, um ein Ventil für all die enttäuschten Hoffnungen und einen Dampfkessel für den Wandel zu schaffen. Kurz darauf wurde das gesamte Theater »Casa del Lago« von Polizeikräften dem Erdboden gleichgemacht. Ein Platz, der jedem Wochenende dem Lachen des Publikums und der nachdenklichen Satire der Künstler gewidmet war, verschwand buchstäblich über Nacht. Aber CLETA gab nicht auf und baute im Exil neue Theaterbühnen und eine ganze Theaterschule auf. Sie alle waren es, die begleitet von den Teilnehmern des internationalen Festivals, die Schandsäule auf dem Platz des ehemaligen Theaters errichteten, als Symbol dafür, daß staatliche Repression dort ihre Grenze hat, wo der Wille beginnt, sich ihr nicht zu beugen. Wenige Tage später wurde die Säule, aufgestellt direkt vor dem Nationalpalast, bei der großen 1. Mai Demonstration der politischen Opposition zum Sinnbild des Mexikos, das es zu bekämpfen gilt. Dem Mexiko, das seine humanistischen Ideale der Revolutionszeit über Bord geworfen hat und der Polit- und Wirtschaftsmafia die Macht übergab. Im Anschluß an die Demonstration wurde die Skulptur, begleitet von einer Künstlerkarawane des internationalen Festivals nach Chiapas verbracht. Bei einem Treffen der zapatistischen Guerilla (EZLN) mit Vertretern der Zivilgesellschaft, baten die Vertreter des Congreso Nacional Indigena die Repräsentanten von Acteal um Erlaubnis das Mahnmal definitiv in ihrem Weiler aufstellen zu dürfen. Erst nachdem sämtliche Bewohner des Weilers der Aufstellung zugestimmt hatten, begann am 13. Mai die letzte Teilstrecke des Transportes von San Cristobal nach Acteal. Die militärischen Kontrollpunkte auf dem Weg sind vorgewarnt. Mehrfach wird die Karawane angehalten und durchsucht unter dem Vorwand eine Statue des berühmten Subcomandante Marcos zu suchen. Statt dessen die Konfrontation mit dem Stein gewordenen Schrei »Nie wieder« der aus den 50 Mündern der Skulptur kommt. Nach mehreren Stunden dürfen sie passieren und gelangen nach Acteal wo 500 Bewohner die Karawane mit einem Gebet empfangen. Es herrscht Betroffenheit, als das aus drei Stücken zusammengesetzte Mahnmal, langsam aus dem Lastwagen gezogen und neben der Straße aufgebaut wird. Das erlittene Leid wird wieder fühlbar angesichts der gequälten Leiber. Aber ohne das Grauen zu vergessen, wird den Menschen in Acteal schnell klar, daß es sich hier nicht um eine Erinnerung oder um ein Denkmal des Leidens handelt, sondern um eine Herausforderung, die Gegenwart und Zukunft anders, besser, menschlicher zu gestalten. So gewinnt denn auch die Gegenwart bald wieder die Oberhand und der Tag endet mit einem heiteren Fest, mit viel Theater, Musik und Tanz. Zur Überraschung des Künstlers ist es für die Bewohner von Acteal ein leichtes zu verstehen, daß sich, wie er erklärt, über diese Säule ihr Kampf für eine bessere Welt wie über eine Antenne, mit den anderen 9 Schandsäulen und mit allen anderen gleichgesinnten Völkern verbinden werde.

Globalisierung ist kein Fremdwort für sie, zu unmittelbar sind ihre Auswirkungen auf ihr tägliches Leben. So gibt es auch keine Überraschten Gesichter, als von Künstlerseite von »global resistance« gesprochen wird. Warum auch, waren es doch die Zapatisten gewesen, die zum »Ersten intergalaktischen Treffen gegen den Neoliberalismus« in den mexikanischen Urwald einluden.

Medico versucht den Kontakt zu den verschiedenen »Antennen« des weltweiten Bemühens um ein lebenswertes und würdiges Leben aufrechtzuerhalten. In Mexiko unterstützen wir CLETA, genauso wie kommunitäre Gesundheitsprojekte im Chiapas. Helfen Sie mit. Spenden Sie bitte unter dem Stichwort: »Mexiko«.

Epilog

Jens Galschiot der Vater der »Schandsäule«, wurde von den mexikanischen Behörden aufgefordert das Land zu verlassen, ohne weitere Angabe von Gründen. Er verließ das Land am ohnehin vorgesehen Tag. »The Pillar of Shame« steht auch heute noch in Acteal, als Symbol des anderen Mexiko, das nicht bereit ist sich seine Hoffnungen auf eine menschenwürdige Gesellschaft für Eisschränke, Fernseher und Waschmaschinen billig abkaufen zu lassen. Jeden Tag müssen die patrouillierenden Polizei- und Militärkonvois bei San Cristobal an dem Mahnmal vorbei. Es gibt keine andere Straße. Unübersehbar mahnend steht es direkt neben der Straße und seine Widmung lautet: »Sie haben unsere Früchte geerntet, unsere Äste beschnitten sie haben unseren Stamm verbrannt; aber unsere Wurzeln konnten sie nicht töten«.

»Niemals wieder ein Mexiko ohne uns!«

Kunst die eingreift & Hilfe die Demokratie stiftet: medico unterstützt die couragierten Menschenrechtsinitiativen in Guerrero. Bitte helfen Sie uns dabei. Stichwort: Mexiko.


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