Marokko

Migrationsbekämpfung vor den Toren Europas

03.12.2019   Lesezeit: 4 min

medico unterstützt ein Zufluchtshaus für Frauen und Kinder in Rabat.

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten setzen alles daran, Marokko und die anderen Maghrebstaaten in das europäische Grenzregime einzubinden. Trotz der prekären Menschenrechtlage, von der nicht nur Marokkanerinnen und Marokkaner selbst betroffen sind, sondern auch im Land lebende Migrantinnen und Migranten, hat die Bundesregierung im April 2016 einen Gesetzesentwurf zur Einstufung Algeriens, Marokkos und Tunesiens als sichere Herkunftsstaaten vorgelegt. Der deutsche Entwicklungsminister lobte „die Anstrengungen Marokkos bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern und aus dem Nahen Osten“, obwohl subsaharische Migrantinnen und Migranten in Marokko einer ständigen Verfolgung ausgesetzt sind. Am schlimmsten ist die Situation für Frauen und Kinder, die unterwegs und im Land immer wieder zu Opfern sexualisierter Gewalt werden. Sie werden von Schleppern und Mitreisenden ebenso misshandelt und missbraucht wie von Polizisten und anderen Sicherheitskräften. In dieser Situation bietet die medico-Partnerorgansation ARCOM subsaharischen Frauen und Kindern in der marokkanischen Hauptstadt Rabat Zuflucht.

Liberale Rhetorik für eine repressive Politik

Marokko ist aufgrund der unmittelbaren Nähe zum europäischen Kontinent und seiner Rolle als Transitland in den letzten Jahren ein wichtiger Verbündeter des europäischen Grenzregimes geworden. Migrantinnen und Migranten sollen mit aller Kraft, aber möglichst abseits der europäischen Öffentlichkeit daran gehindert werden, ihr Ziel in Europa zu erreichen. Bilder wie 2005 als 500 Migrantinnen und Migranten gleichzeitig versuchten, den Grenzzaun der spanischen Exklave Ceuta zu überwinden, wobei mehrere getötet und verletzt wurden, will man vermeiden. Kostengünstig, wirksam und diskret sollen die Methoden stattdessen sein, am besten ohne Tote an den Grenzen, die Empörung und Kritik hervorrufen.

So öffnete die Internationale Organisation für Migration (IOM) ein Jahr nach dem Ansturm auf die Grenzanlagen in Ceuta ihr Programm der „freiwilligen Rückkehr“ auch für Marokko. Verzweifelte Menschen, zwischen der Sahara und den buchstäblichen Mauern der Festung Europa gefangen, werden seither auch in Marokko dazu bewegt, freiwillig in die Länder zurückzukehren, aus denen sie geflohen sind. Eine Entscheidung, die sich speist aus Verzweiflung und Erschöpfung angesichts von Armut, Gewalterfahrungen und der Unmöglichkeit des Weiterkommens, kann allerdings nicht ohne Zynismus „freiwillig“ genannt werden. Die liberale Rhetorik bedient Teile der europäischen Öffentlichkeit, während in ihrem Windschatten die repressive Politik gegenüber Menschen auf der Flucht fortgesetzt wird.

Gefangen im Transit

In Marokko ruft die europäische Abschottungspolitik einen für Migranten und Migrantinnen zunehmend unhaltbaren Zustand hervor. Zahlreiche Menschen aus dem subsaharischen Afrika nehmen einen langen und beschwerlichen Weg auf sich in der Hoffnung auf ein gutes und sicheres Leben. Marokko fungierte dabei über viele Jahre als Transitland. Jetzt allerdings, durch die weitere Militarisierung der Grenzen und durch Abkommen der EU mit Marokko, wird die Weiterreise immer mehr erschwert. Für viele wird, was eigentlich eine Zwischenetappe bleiben sollte, zum dauerhaften, unfreiwilligen Aufenthaltsort.

Viele der etwa 40 000 Migrantinnen und Migranten aus subsaharischen Regionen, darunter auch viele Frauen und Kinder, sind häufig einem auch institutionellen Rassismus ungeschützt ausgeliefert. Die Zahl der Obdachlosen unter ihnen ist hoch. Weil sie Angst vor einer Abschiebung haben, besuchen sie keine öffentlichen Krankenhäuser, private Ärztinnen und Ärzte können sie sich nicht leisten. Eine angemessen bezahlte Arbeit zu finden, ist nahezu unmöglich.

Die Schutzlosen schützen

In dieser extrem vulnerablen Situation bieten Migrant*innenherbergen einen Anlaufpunkt. Seit November 2015 unterstützt medico gemeinsam mit afrique-europe-interact ein Rasthaus in Rabat, der Hauptstadt Marokkos, wo geflüchtete Frauen und ihre Kinder für ein paar Wochen Ruhe und Sicherheit finden können. Das Haus wird von der Selbstorganisation kongolesischer Flüchtlinge in Marokko (ARCOM) betreut, die der kongolesische Buchautor Emmanuel Mbolela mitgegründet hat. Inzwischen besteht das Zufluchthaus aus drei Wohnungen, die insgesamt dreißig Frauen und ihren Kindern Platz bieten.

Emmanuel Mbolela fordert Deutschland und die EU auf, ihre Haltung zu überdenken: „Es braucht eine Politik, die die Rechte und die Würde der Migrantinnen und Migranten respektiert und die Schutzlosen schützt.“ Genau dies versuchen Mbolela und seine Mitstreiterinnen von ARCOM mit dem Rasthaus in Rabat zu erreichen. Die Frauen und Kinder können dort bis zu drei Monate bleiben. Sie erhalten eine kostenlose Mahlzeit pro Tag und Unterstützung bei Arztbesuchen und bei der Jobsuche. Viele Frauen erreichen das Rasthaus zudem schwanger, mitunter auch als Folge von Vergewaltigungen auf der Flucht. Auch hier soll das Rasthaus einen möglichst geschützten Ort bieten, an dem Frauen ihre Kinder zur Welt bringen können.

Ein bisschen Alltagsleben in der Not

ARCOM hat zudem in den vergangenen Jahren alles daran gesetzt, dass die Kinder von subsaharischen Migrantinnen und Migranten in marokkanische Schulen aufgenommen werden. Mit Erfolg: Seit September 2016 dürfen 82 Mädchen und Jungen, viele davon Töchter und Söhne von Frauen, die im Rasthaus leben oder gelebt haben, nun tatsächlich die Schule besuchen. ARCOM unterstützt sie mit der Übernahme von Kosten für Transport, Unterrichtsmaterialien und Einschreibegebühren. Zudem gibt es Alphabetisierungskurse für die Frauen und einen Theaterworkshop. Diese Angebote sind auch für marokkanische Frauen und Kinder aus der Nachbarschaft des Zentrums offen, sodass ein Austausch stattfinden kann und ein wenig Alltagsleben für die Frauen und Kinder möglich wird.

Leonie Dellen

Spendenstichwort: Flucht und Migration


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