Marokko

Orte der Zuflucht

18.07.2017   Lesezeit: 4 min

Frauenhäuser und migrantische Selbsthilfe – ein Interview mit Emmanuel Mbolela.

Mehrere Millionen Euro zusätzlicher Hilfe versprach Deutschland dem Königreich Marokko im Rahmen des G20-Afrikagipfels Anfang Juni, um das Land für seine Anstrengungen im Hinblick auf die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption zu belohnen. Einen Tag später wurden 32 junge Menschen aus dem überwiegend von Masiren (Berbern) bewohnten Rif-Gebirge im Norden Marokkos verurteilt, weil sie für ihre Rechte demonstriert hatten. Seit Monaten gehen vor allem junge Menschen für eine bessere Gesundheitsversorgung, Zugang zu Bildung und gegen Korruption auf die Straße. Und die Proteste weiten sich aus. In der Hauptstadt Rabat demonstrierten Anfang Juni 15.000 Menschen für soziale Gerechtigkeit – der größte Protestmarsch seit Beginn des arabischen Frühlings im Jahr 2011.

Gleichzeitig stranden immer mehr Menschen aus Subsahara-Afrika und inzwischen auch aus dem Irak , Syrien, Afghanistan oder Bangladesch in Marokko. In Folge der Aufrüstung der Grenzzäune zu den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla hat sich ihre Weiterreise nach Europa erheblich erschwert, aus dem geplanten Transit wird ein Daueraufenthalt. Seit November 2015 unterstützt medico gemeinsam mit afrique-europe-interact ein Rasthaus in Rabat für migrantische Frauen. Die Wohnungen werden von ARCOM, der Vereinigung der Geflüchteten und der migrantischen Gemeinschaft betreut.

Wie kam es dazu, dass ARCOM ein Rasthaus für subsaharische Frauen eröffnet hat?

Emanuel Mbolela: ARCOM ist aus einem politischen Kampf als Selbstorganisation kongolesischer Migranten und Migrantinnen in Marokko entstanden. Wir haben Zufluchtshäuser geschaffen, weil viele der geflüchteten Frauen aus Ländern südlich der Sahara von Gewalt betroffen sind und ausgebeutet werden. Ihnen musste sofort geholfen werden. Im Februar 2015 waren wir mit einer ersten Wohnung gestartet. Mit Unterstützung von medico kam eine zweite Wohnung hinzu, inzwischen sind es drei. Insgesamt gibt es Schlafplätze für etwa 30 Frauen, die mit ihren Kindern bis zu drei Monate bei uns unterkommen und Ruhe finden können. Der Andrang ist hoch. Parallel haben wir uns darum gekümmert, dass die Kinder der Frauen zur Schule gehen können. Wir haben mit 25 Kindern angefangen, inzwischen sind es 85, viele davon Töchter und Söhne von Frauen, die in einer unserer Wohnungen leben oder gelebt haben. Wir übernehmen die Kosten für Transport, Unterrichtsmaterialien und Einschreibegebühren. Zudem haben wir eine Bibliothek eröffnet, in der wir Schulungen und Französisch- sowie Alphabetisierungskurse anbieten. Wir planen, das Angebot für alle Menschen in Marokko zu öffnen. Es soll ein Raum für Begegnung werden, auch um die Migrantinnen aus der Isolation zu holen, damit sie sich die politische Aktivität wieder aneignen können.

Ihr plant, auch eine psychologische Betreuung einzurichten.

Ja, wir hatten mehrfach Frauen bei uns, die an schweren Depressionen litten. Für solche und andere Fälle versuchen wir, ein Hilfsnetz zu knüpfen, etwa mit kirchlichen Partnern. Viele Frauen, die bei uns unterkommen, benötigen aber auch rechtliche Unterstützung. In einem Fall wurde eine ivorische Frau als Haushälterin ausgebeutet. Sie kam zu uns ins Frauenhaus, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat. Doch ihre Arbeitgeber weigerten sich, ihr ihren Pass zurückzugeben. Zusammen mit Gadem, einer anti-rassistischen Gruppe zur Verteidigung von MigrantInnen in Marokko, konnten wir ihr helfen.

Die Migrationspolitik in Marokko scheint sehr widersprüchlich: Auf der einen Seite gibt es immer wieder Legalisierungen, auf der anderen Seite Deportationen.

Da können plötzlich 20.000 Menschen Papiere bekommen, was sie zumindest vor der Abschiebung schützt. Allerdings finden nur die wenigsten eine Arbeit. Gleichzeitig gehen die Abschiebungen weiter. Marokko bemüht sich vor allem darum, die Menschen von den Wäldern vor Melilla und Ceuta fernzuhalten. Dort werden oft brutale Razzien durchgeführt. Die Menschen werden aufgegriffen und einfach auf den Straßen der großen Städte abgesetzt oder in den Osten des Landes an die algerische Grenze abgeschoben. Das ist auch eine Folge des europäischen Einflusses: Marokko will zeigen, dass es seine Aufgabe als Grenzwächtern für die EU wahrnimmt und gut macht.

Deutschland und Marokko teilen sich im Global Forum on Migration and Development den Vorsitz, als Partner in Sachen Migration. Hierzu passen die Pläne der deutschen Regierung, in Marokko Heime zu schaffen, um unbegleitete Minderjährige geflüchtete dorthin "ausreisen" zu lassen bzw. abschieben zu können.

Ich fände es gut, wenn es eine deutsch-marokkanische Zusammenarbeit zu Bildungs- oder Entwicklungsfragen gäbe. Beim Thema Migration ist das sehr kritisch zu sehen. Es gibt keine humanen Abschiebungen. Die Menschen haben die aktive Entscheidung getroffen, weg zu gehen. Wenn man sie zurückschickt, hat man ihren Traum zerstört. Für Minderjährige ist das noch schlimmer: Unter welchen Bedingungen werden sie hier aufgenommen und vor welcher Zukunft stehen sie dann?

Interview: Maria Hartmann und Ramona Lenz
Übersetzung: Alexander Behr

Auf ihrer Suche nach Schutz sind Flüchtlinge und Migratinnen besonders schutzlos. Zumindest vorübergehend bieten Rast- oder Zufluchtshäuser Ruhe und Sicherheit. medico hat solche Rasthäuser zuletzt in Serbien und Griechenland unterstützt und fördert sie aktuell neben Marokko auch in Mali und Mexiko.

Spendenstichwort: Flucht und Migration


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