Südafrika

Pflegearbeit bewirkt Veränderung

20.07.2023   Lesezeit: 7 min

Ein Interview zur Ausweitung juristischer Verfahren für die Rechte von Community Health Worker (CHW) und der Zukunft von Pflegebeziehungen.

Man könnte die Pandemie für beendet erklären, doch der Kampf der Community Health Workers (CHWs) geht weiter. In Südafrika haben Tausende von CHWs aber nicht nur gegen die Covid-Pandemie gekämpft. Immer noch setzen sie sich gegen die anhaltenden Pandemien der neoliberalen Austerität, der Armut und der häuslichen und geschlechtsspezifischen Gewalt ein. Und sie kämpfen für faire und würdige Arbeitsbedingungen für diejenigen, die sich um die Gesundheit der Gemeinschaft kümmern.

Nachdem die CHW in der südafrikanischen Provinz Gauteng einen einjährigen Rechtsstreit gegen die Regierung gewonnen hatten, in dem Festanstellungen im Gesundheitssektor für sie gefordert und durchgesetzt werden konnten, soll nun die rechtliche Gleichstellung in fünf weitere Provinzen folgen. Dafür organisierten sie sich und schrieben einen Brief an die Gesundheitsminister. Anstelle einer Antwort schickte das Ministerium die Polizei, die die Frauen mit Gummigeschossen vertrieb. Seitdem ist die Entschlossenheit der CHW noch größer geworden. Nach dem Präzedenzfall in Gauteng bereiten sie nun einen Prozess vor, um in allen Provinzen Südafrikas menschenwürdige Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Dabei ist allen Beteiligten klar, dass sie für den Prozess einen langen Atem haben müssen. In der Zwischenzeit setzen sie ihre Arbeit vor Ort fort, die auf einem Verständnis von Pflege als wesentlich für die Gesundheit der Gemeinschaft und den sozialen Wandel beruht.

Wir sprachen mit Boniwe, Bulelwa und Ntombetemba, den Vorsitzenden der CHW-Selbstorganisation in drei verschiedenen Provinzen, über das Selbstverständnis ihre Arbeit.

medico: Welche Bedeutung hat der Rechtsstreit für Euch?

Ntombetemba: Er bedeutet sehr viel. Wir haben viel gekämpft, Märsche organisiert und uns mit den Verantwortlichen des Gesundheitsministeriums zusammengesetzt. Die CHW in Westcap mussten organisiert werden. Jetzt sehen wir, dass die CHWs andernorts durch die Klage ermutigt wurden und begonnen haben, sich auf Gemeindeebene zu organisieren. Das gibt uns Kraft, es gibt uns Macht und Hoffnung.

Boniwe: Für mich und für uns als CHW ist der Rechtsstreit der Schlüssel zu allem. Wenn wir diesen Prozess gewinnen, werden wir unbefristet angestellt, erhalten endlich Leistungen und werden als fest angestellte Arbeiter anerkannt.

Bulelwa: Für mich und für die gesamte Gemeinschaft der Pflegekräfte ist dieser Fall das, was wir uns immer gewünscht und erträumt haben. Es braucht viel Zeit, sich mit der Regierung anzulegen, Zeit und Mittel die wir nur für kurze Zeit aufbringen konnten. Aber jetzt scheint es so, als würde unser Traum wahr werden.

Was würde mit den Gemeinden und dem Gesundheitssystem passieren, wenn die Community Health Workers nicht da wären?

Bulelwa: Ohne uns würde das System zusammenbrechen. Die lebenswichtige Arbeit der primären Gesundheitsversorgung wird von CHW geleistet. Wir sind diejenigen, die Informationen weitergeben. Wenn eine bestimmte Krankheit ausbricht, zum Beispiel Covid-19, klären wir die Menschen auf. Heute sind in Südafrika 48 % der Menschen gegen Covid-19 geimpft. Ich glaube nicht, dass die Gemeinden ohne CHW erreicht worden wären. Denn wir waren diejenigen, die von Tür zu Tür gingen - wir gingen zu den Kirchen und führten öffentlichkeitswirksame Programme durch. Wir waren es, die diesen Prozess tatsächlich verbreitet haben. Ich kann mir ein funktionierendes Gesundheitssystem nicht ohne CHW vorstellen.

Ntombetemba: Überall das Gleiche: In den Krankenhäusern müssten die Menschen sehr lange warten, bis sie versorgt werden. Auch die Kliniken sind überlastet. Das bedeutet auch, dass real mehr Menschen in der Gemeinde der Gefahr ausgesetzt sind, durch schlechte oder fehlende Versorgnung zu sterben. Als CHWs sind wir das Rückgrat der Gemeinden. Wir sind es, die das Versorgungssystem in den Gemeinden aufgebaut haben. Wir klären über nicht übertragbare und übertragbare Krankheiten auf und organisieren Kampagnen.

Boniwe: Die Menschen sind seit mehr als 5 oder 10 Jahren krank, aber die Hoffnung für sie begann damit, dass wir als CHW begonnen haben uns regelmäßig um sie zu kümmern und sie zu unterstützten.

Was bedeutet "Care“ oder „Pflege“ für Euch?

Boniwe: Lasst mich etwas beschreiben: Wir kümmern uns um die Familien. Manchmal gibt es Familienmitglieder, die HIV-positiv sind. Andere haben sogar Tuberkulose. Das ist gefährlich, denn das Risiko, sich mit TB anzustecken, ist sehr hoch. Obwohl das Gesundheitsministerium vorgibt, Maßnahmen zu unserem Schutz zu ergreifen, haben wir nichts davon erhalten. Also haben sich einige von uns mit TB angesteckt. Wir sind an diese Gefahr gewöhnt und haben keine Alternativen. Wenn wir mit unserer Arbeit aufhören würden, würden wir unsere Familien und unsere Gemeinschaft im Stich lassen. Fürsorge bedeutet für mich also Arbeit. Es bedeutet, dass wir uns um die Menschen kümmern und wir wollen, dass es anderen gut geht. Wir arbeiten zum Schutz unserer Gemeinschaften.

Bulelwa: Care-Arbeit bedeutet, etwas zu verändern. Sie liegt mir sehr am Herzen. Wenn Babys nicht geimpft würden, würden sie sterben, bevor sie ein Jahr alt werden. Und wenn diese Kinder sterben würden, bevor sie ein Jahr alt sind, würde das bedeuten, dass kein einziger Mensch 50 Jahre alt werden könnte. Pflege verbessert die Lebensqualität. Wenn es mir körperlich gut geht, kann es mir auch seelisch gut gehen. Wenn ich körperlich krank bin, werde ich auch emotional krank. Und vice versa. Wenn man die Gemeinschaft und die Menschen heilen will, darf man sie nicht auf die Pflege beschränken. Du lähmst sie sogar, indem du sie mit Fürsorge einschränkst.

Ntombetemba: Pflege bedeutet für mich, sich um diejenigen zu kümmern, die sich nicht selbst helfen können oder keine anderen haben. Dazu gehören Patienten, die in Hospizen, in der Palliativmedizin oder im Krankenhaus behandelt werden. Manchmal organisieren CHWs sogar Lebensmittel und Geld in den Gemeinden oder versuchen, andere Organisationen zur Unterstützung der Grundbedürfnisse einzubinden. Denn auch das ist ein Teil der Gesundheitsversorgung. Es ist meine Leidenschaft, mich um das Umfeld zu kümmern, in dem ich arbeite. Es geht darum, die Menschen zu lieben, mit denen ich arbeite. Fürsorge bedeutet, dass ich mich um jemanden kümmere.

Was gibt Ihnen die Hoffnung, Ihren aktivistischen Kampf und Ihre harte Arbeit fortzusetzen?

Ntombetemba: Wir hoffen, dass das Gesundheitsministerium eines Tages die Bedeutung unserer Arbeit anerkennen wird. Das sie sehen, dass unsere Arbeit mehr ist, als die der Krankenschwestern in den Krankenhäusern. Wir kümmern uns um jeden, das postnatale Kind genauso wie um die Person, die Drogen nimmt. In gewissem Sinne sind wir Sozialarbeiter, Psychologen und Mediziner. Wenn der Patient noch keinen Zuschuss erhält, verweisen wir ihn an das Amt für soziale Entwicklung. Wenn der Patient keinen Ausweis hat, verweisen wir ihn an das Amt für innere Angelegenheiten. Wenn der Patient kein Haus hat, verweisen wir ihn an Wohnprojekte.

Boniwe: Ich arbeite in einer Klinik als Beraterin. Manchmal kommen die Patienten zu mir und sagen: "Ich will nicht mehr. Ich will sterben. HIV kann mich umbringen.' Dann setze ich mich mit dieser Person zusammen. Obwohl wir wissen, dass HIV eine Krankheit ist, für die es bisher keine Heilung gibt, kann man ein langes Leben führen. Ich versuche immer, meinen Klienten Hoffnung zu geben. Ohne Hoffnung kann man kein Leben führen. Wenn man keine Hoffnung hat, hat das Leben keinen Sinn. Das trifft selbst auf uns als CHW zu. Wenn Hoffnung da ist, kann es auch Veränderung geben.

Bulelwa: Ich stehe für mein Recht ein. Ich bin keine Politikerin. Ich bin eine Aktivistin. Ich wecke das Bewusstsein für verschiedene Themen, das ist meine Aufgabe, die Augen zu öffnen. Ein Politiker sagt zwar, dass er etwas tun wird, aber er tut es nicht. Bei uns ist das anders. Wir reden nicht nur. Wir handeln. Das heißt, ich bringe Veränderung in die Gemeinschaft. Wenn ich an das Jahr 2020 zurückdenke, als die Pandemie ausbrach, gab es keine Hoffnung, und alle hatten Angst. Es war dunkel. Aber am Ende haben wir es geschafft. Jetzt sind wir erst einmal außer Gefahr. Die Pandemie ist vorbei, und wir werden lernen, mit ihr zu leben.


Jetzt spenden!