Regionales Handeln fördern

21.07.2010   Lesezeit: 5 min

Das Menschenrecht auf den bestmöglichen Zugang von Gesundheit ist Ausgangspunkt der medico-Arbeit. In der Projektförderung spielt dabei die Unterstützung von Basis-Gesundheitsinitiativen wie der mexikanischen Organisation EAPSEC eine herausragende Rolle. Seit 25 Jahren arbeiten die Gesundheitsaktivisten im mexikanischen Chiapas, unterstützen Gesundheitspromotoren in vernachlässigten Gemeinden und schaffen so für die Ärmsten Zugang zu Gesundheit. Sie sind aber auch Mitglied des lateinamerikanischen People´s Health Movement, das gemeinsam gegen die gesundheitlichen Folgen der Wirtschaftsliberalisierung aktiv ist.

Wir sitzen in einem kleinen geduckten Raum eines ebenso kleinen Hauses in San Cristobal, einem schönen Städtchen mit kolonialen Fassaden im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, nicht weit von der Grenze zu Guatemala. Am Tisch mit uns der Arzt Gabriel Garcia von der Gesundheitsorganisation EAPSEC, die seit 25 Jahren Gesundheitspromotoren ausbildet.

{jahresbericht-2009-12jpg class="links"}

Woran arbeitet Ihr gerade?

Gabriel Garcia: Wir führen eine Studie zu den Auswirkungen ökonomischer Makroprozesse durch, wie zum Beispiel der Freihandelsabkommen auf die Gesundheit der Menschen in unserer Region. Dabei befragen wir die Leute, die normalerweise nicht gehört werden. In Chiapas haben wir uns zehn Orte ausgesucht, an denen jeweils etwa 100 Familien interviewt werden. An der Studie beteiligen sich auch Organisationen aus Costa Rica, El Salvador, Guatemala und Nicaragua, auch sie werden an mindestens acht Orten ihrer Regionen jeweils 100 Familien befragen. Um zusätzlich gesicherte Zahlen über die lokale Gesundheitsversorgung zu erhalten, befragen wir lokale Gesundheitsprofessionelle und Vertreter der Kommunen.

Was erzählen die Familien?

Zu unserer Überraschung haben wir festgestellt, dass die Programme zur Geburtenkontrolle, die die Regierung seit Jahren propagiert und finanziell fördert, dazu geführt haben, dass es in manchen Gemeinden nur noch sehr wenig Kinder gibt. Das funktionierte insbesondere auf den Dörfern, wo Gesundheitsarbeiter von der Regierung für jede Frau Geld erhielten, die sie zu einer Sterilisation überreden konnten. In den Städten dagegen, wo es viel schwerer ist, die Frauen zu erreichen, gibt es nach wie vor eine hohe Kinderzahl. Ab-surd ist allerdings, dass das alles keinerlei positive Effekte hat. Die Leute sind so arm wie eh und je. Wenn die Menschen älter sind, wird die Kinderlosigkeit noch große Probleme schaffen.

Was haben Sie über die Lebenslagen der Menschen noch herausgefunden?

Ich war an fünf Orten, jeder hat seine Eigentümlichkeiten. Manche geben nur 50 Pesos die Woche für Lebensmittel aus, andere bis 2.500 Pesos. Die einen spüren die Krise an den steigenden Lebensmittelpreisen, andere bekommen davon kaum etwas mit, weil sie sich weitestgehend selbst versorgen. Deshalb haben wir sehr unterschiedliche Antworten auf die Frage erhalten, wie sich die wirtschaftliche Situation der einzelnen Familien gestaltet. Auf jeden Fall kann man sagen, dass Familien mit Zugang zu Land noch am besten gegen makroökonomische Prozesse geschützt sind. Dagegen sind die Bewohnerinnen und Bewohner in der Grenzregion zu Guatemala auf vielfache Weise von der Wirtschaftskrise und den globalen ökonomischen Veränderungen betroffen. Hier geben die Familien nach unseren Umfragen sehr viel Geld für Nahrungsmittel aus, sind die familiäre Gewalt, der Alkohol- und Drogenkonsum am höchsten, Geschlechtskrankheiten weit verbreitet. Der Drogenhandel spielt eine große Rolle, ebenso die Migration, auch die Prostitution.

In den Städten sind die Auswirkungen der Krise besonders drastisch spürbar. Bei unseren Befragungen in der Kreisstadt Comitán haben wir Kleingewerbetreibende befragt, Straßenhändler, die Mittagessen verkaufen oder selbst gemachte Getränke. Früher haben sie damit immer genug Geld verdient, um die Lebensmittel zu kaufen, die sie für die Neuproduktion ihre Waren benötigten. Heute sind sie Subunternehmer eines Kleinbetriebs, der die Lebensmittel vorfinanziert und damit an ihrer Arbeit noch verdient. Dieser Mangel an Geld ist erschütternd und ein Indiz, wie tief die Krise reicht. Gerade im Gesundheitsbereich versucht die mexikanische Regierung zu punkten. Sie hat eine Volksversicherung eingeführt und versprochen, dass damit alle einen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben würden.

Was sagen Ihre Interviewpartner?

Die meisten haben sich über die Volksversicherung beschwert. Erstens können gar nicht alle Mitglied werden, weil die Gemeinde bestimmt, wer einen Versicherungsschutz erhält. Die Kriterien dafür sind aber intransparent, im Zweifel wird nach dem klassischen Prinzip „Eine-Hand-wäscht-die-andere“ ausgewählt. Wer eine Versicherungspolice bekommt, hat damit noch lange keinen Arzt und noch viel seltener die Medikamente, die er braucht.

Was werden Sie mit den Ergebnissen der Studie anfangen?

Wir haben festgestellt, dass zwischen den einzelnen befragten Gemeinden Welten liegen. Die indigenen Gemeinden haben wenig Zugang zu Land und Verdienstmöglichkeiten, also sind ihre Lebensbedingungen ungleich schlechter als die der anderen. So dienen die Befragungen dazu, dass die Bevölkerung selbst sich erst einmal über ihre Situation klar wird. Dabei wird sich auch herausstellen, dass die Kommunen allein ihre Situation nicht ändern können, sondern dass sie sich mit anderen verbinden müssen. Hier wird der regionale Aspekt interessant. Eine indigene Gemeinde in Mexiko hat letztlich mehr mit einer indigenen Gemeinde in Guatemala gemeinsam als mit einem Stadtteil von San Cristobal.

Werden Sie in den befragten Orten auch die Ergebnisse der Studie vorstellen?

Das war der Grund, warum wir uns überhaupt an der Studie beteiligt haben. Wir wollen die Ergebnisse in die befragten Gemeinden zurückbringen und so einen Prozess der Selbstverständigung von unten entwickeln, zeigen wie man politische Einflussnahme auf die Gesundheitspolitik entfalten kann und dabei makroökonomische Prozesse berücksichtigen muss.

Seit 25 Jahren bilden Sie Gesundheitspromotoren aus und begleiten Sie bei ihrer Arbeit in den abgelegenen und vernachlässigten Gemeinden. Trotzdem sind Sie enthusiastisch über die Chancen, mit dieser Studie etwas bewegen zu können?

Der globale Kapitalismus verbreitet die entmutigende Botschaft, dass es zu dem, wie es ist, keine Alternative gibt. Unsere Hoffnungslosigkeit ist die Grundlage seines Erfolgs. Wir aber gehören zu denen, die mit ihrer kleinen lokalen Arbeit unbeirrt an der Hoffnung auf Veränderung festhalten. Die Gemeindearbeit, die gemeinsame Arbeit für dieses Gemeinwohl – das hält doch in Wahrheit die Welt zusammen. Für uns ist Gesundheit eine Frage des Gemeinwohls. Die Gesundheit des Einzelnen hängt eng mit der kollektiven Gesundheit zusammen. In diesem Denken lassen wir uns nicht beirren. Sich mit Menschen aus der Region zu verbinden, die ähnlich denken, kann uns nur ermutigen.

<a name="fussnote id="fussnote">


Jetzt spenden!