Murtaza Nonari hat keinen leichten Job in diesen Tagen. Als Nothilfe-Koordinator der pakistanischen medico-Partnerorganisation HANDS (Health and Nutrition Development Society) organisiert er den Aufbau von Flüchtlingslagern und die mobilen medizinischen Teams in einer der am schwersten von der Flut betroffenen Regionen im Süden Pakistans. Trotz Dauerstress und der großen Not um ihn herum hat er sich sein einnehmendes Lachen bewahrt. Normalerweise arbeitet er im Gesundheitsprogramm von HANDS und lebt auch selbst mit seiner Familie im Distrikt Kandhkot. Als die Wassermassen begannen in der Provinz Sindh ganze Landstriche zu überfluteten, war er jedoch gerade in Berlin. Die Heinrich-Böll-Stiftung hatte ihn zum Kongress der "Global Young Greens" eingeladen, denn Murtaza versucht mit einigen Gleichgesinnten in Pakistan per email und Facebook ein grünes Netzwerk aufzubauen. "Es wäre ein großer Erfolg, wenn wir bei den nächsten Kommunalwahlen antreten können. Es ist nicht leicht etwas jenseits der etablierten Parteien aufzubauen, die seit 15 Jahren die immer gleichen Slogans verkünden", erzählt der Aktivist. Ökologie und soziale Gerechtigkeit sind seine Themen. Mit den Zusammenhängen von Klimawandel und Armut will er sich demnächst verstärkt beschäftigen. Jetzt aber steht die akute Nothilfe für die "Klimaflüchtlinge" im Vordergrund. Als HANDS den Nothilfe-Fall deklarierte um seine Arbeit ganz auf die Flut-Hilfe auszurichten, beendete er (anders als Pakistans Präsident Zardari) umgehend seine Europa-Reise und flog zurück.
Unterdessen hatten seine Kollegen schon mit der Evakuierung der Menschen begonnen. Sie waren die Ersten und Einzigen. Die Armee kam erst mit dem Wasser. Alle verfügbaren Autos, HANDS-Mitarbeiter und Freiwillige waren vier Tage und Nächte im Einsatz. Zusätzlich mietete HANDS Traktoren mit großen Anhängern um die Menschen aus den gefährdeten Zonen an sichere Orte zu bringen. Insgesamt konnten so 85 000 Menschen evakuiert werden. 80% der Einwohner zwischen Shikarpur, Kandkhot und Kashmore sind von der Flut betroffen. Die meisten konnten rechtzeitig fliehen bevor die Dämme brachen oder ihr Land kontrolliert geflutet wurde, um die Städte zu schützen. 30 000 Menschen sitzen noch auf höher gelegen Dämmen und Inseln inmitten der Überschwemmungen - freiwillig. Aus Angst vor Plünderungen wollen sie ihr weniges Hab und Gut das ihnen geblieben ist nicht verlassen. Sie werden vom Militär mit Hubschraubern versorgt. Regelmäßig kommt auch ein mobiles, medizinischen Team von HANDS mit dem Boot vorbei. Die zunehmenden Durchfallerkrankungen bereiten ihnen Sorgen. Sauberes Trinkwasser ist Mangelware. Hygiene in diesen Verhältnissen schwierig. Unter der glühenden Sonne bei schwüler Hitze muss es nicht gleich Cholera sein, um zu ernsthaften Problemen zu führen.
An Land ist die Situation nicht unbedingt besser. Es sind zu viele Binnenflüchtlinge um alle in Camps unterzubringen und angemessen zu versorgen. Tausende leben noch am Straßenrand. Die großen internationalen Organisationen sind hier weit draußen auf dem Land nicht zu sehen. Die Distriktregierung bemüht sich nach Kräften, doch bleibt ihr nichts anderes übrig als die Koordination der verschiedenen lokalen Hilfsaktivitäten. Da die ausländischen Gelder nicht bei den lokalen Behörden ankommen, hat der Staat auf dieser Ebene nichts zu verteilen. Es sind die pakistanischen NGOs, einfache Nachbarschaftshilfe und die Improvisationsfähigkeiten der Betroffenen die schlimmeres verhindern. Wenn doch einmal Laster mit Hilfsgütern den Weg in die abgelegenen Regionen finden, werden die Hilfsgüter meist schnell am Straßenrand abgeladen.
Die rund 2500 Flüchtlinge von Kashmore wurden auf diese Weise einfach vergessen. Sie haben sich mit ihrem Vieh auf einen Damm nahe dem Guddu-Sperrwerk gerettet. Dieser Damm ist von der Hauptstraße nicht sichtbar, da er hinter einer eingemauerten Siedlung der Angestellten des örtlichen Kraftwerks direkt am Fluss liegt. Von den Hilfsgütern haben sie so nie etwas abbekommen bis Einwohner der Kraftwerkssiedlung lokale HANDS-Mitarbeiter informierten. Mittlerweile kommen die mobilen, medizinischen Teams von HANDS regelmäßig vorbei. Mit den Spendengeldern von medico international errichtet HANDS hier ein Nothilfe-Camp mit Nahrungsmittel- und Trinkwasserversorgung, Latrinen, Zelte als Sonnenschutz, medizinischer Versorgung und Unterricht für die Kinder. Damit die Bauern ihr Vieh nicht verlieren, wird außerdem auch Futter beschafft und die Tiere geimpft. Bis zu drei Monaten, rechnet Murtaza Nonari, werden die Betroffenen hier ausharren müssen: "Die große Herausforderung kommt danach, wenn das Wasser wieder weg ist. Häuser und Infrastruktur sind zerstört. Die Fischzuchtfarmen kaputt. Bis wieder Landwirtschaft möglich ist, vergehen mindestens sechs Monate. Der Indus hat fruchtbares Ackerland mit Sand bedeckt und die Be- und Entwässerungssysteme müssen erst wieder repariert werden."
Viele Flüchtlinge werden auch nicht wieder in die Landwirtschaft zurückkehren sondern suchen ihr Glück in den Städten. Vielerorts herrschen auf dem Land noch feudalistische Strukturen und sklavenähnliche Arbeitsbedingungen die den verarmten Landarbeitern nicht viel zu bieten haben außer extremer Ausbeutung.
Sukkur ist so eine Stadt. Sie zählt 900 000 Einwohner. Jetzt kommen 600 000 Binnenflüchtlinge dazu. Die drittgrößte Stadt in der Provinz Sindh liegt westlich des Indus und ist Mittelpunkt der regionalen Flüchtlingsströme. Durch einen Deich geschützt bietet sie den Einen sichere Zuflucht, den Anderen gute Verkehrsbindungen in die frühere Landeshauptstadt Karachi am Arabischen Meer. Entlang der großen Ausfallstraßen reihen sich die Zeltstädte auf. Weiter draußen leben die, welche keinen Platz mehr in einem Lager gefunden haben.
Der Schulunterricht ist auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Alle staatlichen Schulen dienen vorerst als Notunterkünfte. Die Lage in Sukkur ist prekär, aber die große Solidarität der Bevölkerung sorgt dafür, dass zumindest niemand verhungern muss. Außerdem konzentrieren sich hier auch die internationalen Organisationen wie UN-OCHA und WHO. Auch HANDS hat sein örtliches Regionalbüro zur Nothilfe-Zentrale umfunktioniert. Gemeinsam mit dem HANDS-Geschäftsführer Dr. Tanveer arbeitet die Mehrheit der Mitarbeiter aus dem HANDS-Hauptbüro in Karachi während der Nothilfe-Phase fast rund um die Uhr in Sukkur. Geschlafen wird wenig und gemeinsam im Büro.
Hier laufen die Fäden zusammen: Der Wetterbericht, die zu erwartenden Dammbrüche, die Schichten der 32 mobilen Klinken und der Bedarf der 10 000 Flüchtlinge in den Camps werden besprochen. 27 der insgesamt 44 Nothilfe-Lager von HANDS sind in der Umgebung. Wer es dorthin geschafft hat, kann sich glücklich schätzen, muss aber auch selbst mit anpacken. HANDS versucht die Eigeninitiative der Flut-Opfer zu stärken. Nur so lässt sich vermeiden, dass Menschen zu passiven Hilfsempfängern degradiert werden und sich ihre Ohnmacht noch verlängert. "In jedem Nothilfe-Camp bilden die Betroffenen ein Komitee das uns als Ansprechpartner dient und die Registrierung der Bewohner, das Errichten der Latrinen, Kochen, Sauberkeit etc. selbst organisiert", berichtet Dr. Shaista. Gemeinsam mit ihren beiden Kolleginnen sorgt die Ärztin für medizinische Versorgung und Gesundheitsaufklärung in den Camps von HANDS. Meist behandelt sie Durchfall- und Hauterkrankungen. Das weibliche Gesundheitsteam ist keine Ausnahme bei HANDS. 78% der ca. 1000 HANDS-Mitarbeiter sind Frauen. HANDS ist eine der größten, zivilgesellschaftlichen Organisationen in Pakistan und kann bis zu 100 000 Freiwillige mobilisieren. Als Teil der globalen Gesundheitsbewegung sind sie auch in internationalen Netzwerken wie dem People`s Health Movement und im Kontext des Weltsozialforums aktiv. Die Organisation hat eine lange Geschichte und starke Verankerung in den Provinzen Sindh und Belutschistan. HANDS verfügt über große Nothilfe-Erfahrung und alle Aktivitäten werden in enger Abstimmung mit den lokalen Behörden, der UN und anderen Hilfsorganisationen durchgeführt. Zurzeit verstärkt HANDS seine Aktivitäten im Süden der Provinz rund um die Stadt Thatta.
medico international konnte HANDS bereits mit mehr als einer Million Euro unterstützen. Der medico-Partner HANDS errichtet mit diesen Mitteln Flüchtlingslager, gewährleistet Wasser- und sanitäre Einrichtungen sowie die Lebensmittelversorgung und organisiert Gesundheitsdienste. Erste Mittel für eine Rückkehr der Flüchtlinge sind in diesen Programmen ebenfalls enthalten.
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