Über Jahrhunderte haben die reichen Staaten des Nordens Mittel und Wege gefunden, sich in anderen Regionen der Welt das zu holen, was sie für ihre Wirtschafts- und Lebensweise benötigen: Aus den Kolonien wurden Gold, Silber und Metalle aller Art bezogen, aber auch Kaffee, Tee und Gewürze importiert. Auch heute gibt es Bedarf an Rohstoffen, die in Europa, den USA oder auch China nicht oder nicht in ausreichendem Maße existieren: Es geht um Öl und Diamanten, um Mangan für die Stahlerzeugung, Kobalt für Metalllegierungen oder Coltan, ein Erz, das in jedem Mobiltelefon steckt. Obwohl die Länder, in denen solche Rohstoffe vorkommen, längst keine Kolonien mehr sind, profitieren ihre Gesellschaften noch immer nicht von dem natürlichen Reichtum. Im Gegenteil: In einer Vielzahl rohstoffreicher Länder, vor allem in Afrika, lebt die Mehrheit der Bevölkerung in Armut.
Einer der Gründe ist, dass das koloniale Erbe nachwirkt: Viele nationale Wirtschaften blieben einseitig auf den Rohstoffabbau ausgerichtet und der Norden behielt in hohem Maß die Kontrolle über den Abbau und die Handelsbedingungen. So kommt es, dass internationale Konzerne noch heute unmittelbaren Zugriff auf den Abbau und die Veräußerung der Ressourcen haben. Gestützt werden die Interessen der Konzerne von der internationalen Politik. Über Kreditauflagen, Entschuldungsprogramme, aber auch mittels Handelsvereinbarungen, die die Konzerne begünstigen, sind Regierungen im globalen Süden immer wieder dazu gebracht worden, dem Norden den Zugriff auf die benötigten Ressourcen zu gewähren.
All das funktioniert nicht zuletzt deshalb, weil Entscheidungsträgerinnen und -träger in den rohstoffreichen Staaten davon profitieren. Rohstoffdeals haben die Eliten vor Ort noch reicher und mächtiger gemacht – und damit zunehmend unabhängiger von der eigenen Bevölkerung. Um ihre Macht zu erhalten, sind sie nicht darauf angewiesen, sich um die Bedürfnisse der Menschen zu kümmern. Fast nirgendwo haben Einnahmen aus dem Rohstoffhandel die Verhältnisse gerechter und demokratischer gemacht. Sei es im Sudan oder im Kongo, in Sierra Leone oder in Nigeria, in zahlreichen Ländern haben die Konflikte um den Zugriff auf Rohstoffe sogar Kriege ausgelöst – mit Millionen von Toten und Vertriebenen. Werden neue Abbaugebiete erschlossen, muss die angestammte Bevölkerung oftmals weichen. Die Menschen werden enteignet oder im besten Fall mit niedrigen Entschädigungen abgespeist. In den Minen oder Schürfgebieten arbeiten Menschen, häufig auch Kinder, unter skandalösen Bedingungen. Hinzu kommt, dass in manchen Bereichen, etwa im Gold- und Rutilabbau, die Umweltverschmutzung extrem hoch ist. Böden und Wasser werden auf Dauer verseucht. Der Rohstoffabbau in dieser Form führt also dazu, dass Menschen massenhaft ihrer Existenzgrundlage beraubt werden. Vielen bleibt nichts anderes, als in die Städte oder in Nachbarländer abzuwandern.
In den vergangenen Jahren ist ein weiterer „Rohstoff“ entdeckt worden: fruchtbare Böden. Industrieländer, Agrarkonzerne, aber auch internationale Banken und Investmentfonds erwerben oder pachten riesige Ländereien, um auf ihnen Getreide für Biosprit anzubauen oder Plantagen für Palmöl zu entwickeln – Agrarprodukte, die vor Ort gar nicht gebraucht werden. Auch hierbei steht die lokale Bevölkerung auf der Verliererseite. Hirten, Kleinbäuerinnen, Fischer, Landarbeiterinnen und Nomaden verlieren durch das „Landgrabbing“ den für ihre Ernährungsgrundlage wichtigen Zugang zu Land und Wasser und werden in Armut gestürzt. Was bleibt, ist die Abwanderung.