Publik-Forum: Herr Gebauer, Sie setzen sich seit Jahren für humanitäre Hilfe und Menschenrechte ein. Was halten Sie von der Idee des Effektiven Altruismus?
Thomas Gebauer: Nicht viel. Ich sehe darin einen bedenklichen Kult, der Menschen suggeriert, sie könnten die Probleme der Welt lösen, ohne hinzusehen, woher diese Probleme kommen. Bei den Effektiven Altruisten wird nicht gefragt, warum Millionen von Menschen auf der Welt unnötig sterben. Sondern nur, wie man eine praktische Lösung für dieses Problem findet. Ihre Vordenker wie etwa der Philosoph Peter Singer, fragen nicht nach den notwendigen strukturellen Veränderungen zur Lösung des Elends in der Welt, sondern immer nur danach, wie man sich im Rahmen des Bestehenden mit den Dingen arrangiert.
Können Sie das Anliegen dieser Bewegung gar nicht nachvollziehen?
Ich kann das Anliegen, sich für Gerechtigkeit einzusetzen, immer nachvollziehen! Dabei muss ich mir aber auch die Wirkung meiner Hilfe vor Augen führen. Gerade wenn ich so stark auf Effizienz setze und ständig mit betriebswirtschaftlichen Kennziffern ankomme – gerade dann muss man doch auch wahrnehmen, wie ineffektiv diese Hilfe bleibt, wenn sich die Ursachen nicht ändern. Solche Hilfe verstetigt ein Elend, sie beseitigt es nicht.
Woran machen Sie diese Kritik fest?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Zusammen mit vielen anderen Organisationen hat Medico International vor einigen Jahren eine weltweite Kampagne zum Verbot von Landminen lanciert, die sehr erfolgreich war und ein Völkerrechtsabkommen zum Verbot dieser Waffen erstreiten konnte. Als ich mich kürzlich mit jungen Vertretern des Effektiven Altruismus unterhalten habe, habe ich sie gefragt, ob sie eine solche Initiative ebenfalls unterstützt hätten.
Und?
Die Antwort war ein glattes Nein. Solche Kampagnen, die auf strukturelle Veränderungen drängen, sind in deren Augen nicht effektiv, weil man eben nicht weiß, ob die Anstrengungen am Ende erfolgreich oder doch vergebens sein werden. Sie würden, sagten meine Gesprächspartner, lieber genauestens überlegen, wie sie ihre Mittel am effektivsten in die Betreuung der Opfer einbringen. Die Ursachen werden also immer ausgeblendet, die schädlichen politischen Strukturen als nicht veränderbar betrachtet. Und das halte ich für ein Problem.
Aber muss denn jeder, der helfen will, auch ein Systemkritiker sein?
Muss er nicht. Aber man will doch wirksam sein. Und dieses Effektivitätsdenken darf doch nicht dazu führen, dass ich Menschen meine Hilfe verweigere, nur weil sie nach betriebswirtschaftlichen Kriterien nicht effektiv ist! Peter Singer sagt zum Beispiel, dass man immer, wenn man am Straßenrand einen Hilfsbedürftigen sieht, überlegen soll, ob man nicht an anderer Stelle effizienter helfen könnte. Für mich liegt darin ein Aufruf zur Unterlassung von Hilfeleistungen.
Wie würden denn Sie bei Medico an dieser Stelle handeln?
Wir würden dem Hilfsbedürftigen beistehen und gleichzeitig dafür sorgen, dass diese Art von Hilfe auch kritisch bewertet und letztlich überwunden werden kann. Das ist unser Konzept: Hilfe verteidigen, kritisieren, die Ursachen bekämpfen und so die Hilfe letztlich überflüssig machen.
Ist denn ein Effektiver Altruist, der ein Drittel seines Gehalts spendet, nicht trotzdem besser als ein Salonsozialist, der viel redet, ohne etwas zu tun?
Das können Sie so sehen. Jede und jeder sollte spenden, wie und wo er oder sie es für richtig hält. Aber wenn daraus eine Bewegung wird, die andere Hilfskonzepte als ineffektiv kritisiert und schließlich auch noch missionierend auftritt – dann muss man die ethische Haltung einer solchen Hilfe infrage stellen. Ihr geht es offenkundig weniger um Nachhaltigkeit als um die Beruhigung des eigenen Gewissens angesichts der einen Verstrickung in ungerechte gesellschaftliche Verhältnisse.
Interview: Eva-Maria Lerch
Das Interview erschien in der Ausgabe 3/2019 der Publik Forum: "Die Spenden-Optimierer"
Zum Weiterlesen: Ilija Trojanow und Thomas Gebauer: "Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise". Fischer. 256 Seiten. 15 €
Thomas Gebauer, geboren 1955, ist Sprecher der stiftung medico international. Er war über Jahrzehnte Geschäftsführer der sozialmedizinischen Hilfsorganisation medico international e. V. Er hat zahlreiche Texte zur Kritik der Not- und Entwicklungshilfe veröffentlicht. Gebauer war 1997 Teil der Delegation, die den Friedensnobelpreis für die »Internationale Kampagne zum Verbot von Landminen« entgegennahm.