Streit um den Brand in der pakistanischen KiK-Fabrik geht weiter

Gerichtsverfahren, Verhandlungen und zivilgesellschaftliche Mobilisierung

15.01.2013   Lesezeit: 5 min

Am 11. September 2012 verbrannten fast 300 Menschen eingeschlossen in der Textilfabrik Ali Textile im pakistanischen Karatschi. Hauptauftraggeber der Fabrik war der deutsche Discounter KiK. Zwei der pakistanischen medico-Partner, der Gewerkschaftsbund National Trade Union Federation (NTUF) und die Advocacy-NGO Pakistan Institute for Labour Education and Research (PILER) engagierten sich umgehend an der Seite der Opfer und Überlebenden und gründeten mit anderen Organisationen das Workers Rights Movement.

NTUF-Sekretär Nasir Mansoor wurde zum Sprecher der Überlebenden auch in den internationalen Medien, PILER zum Verhandlungsführer gegenüber dem deutschen Discounter KiK. Jetzt sind sie erneut gefordert. Im von PILER und NTUF angestrengten Gerichtsverfahren gegen die Fabrikbesitzer will die pakistanische Polizei den Vorwurf des gemeinschaftlich begangenen Mordes fallenlassen, die Vorwürfe des „unintentional murder“ (nicht beabsichtigter Mord) und der Körperverletzung werden aufrechterhalten. Dies ist bereits der dritte Zug der Polizei, die juristische Aufarbeitung zu unterlaufen. Gescheitert war der Versuch, die inhaftierten Besitzer gegen Kaution auf freien Fuß zu setzen: das verhinderte der zuständige Richter. Bislang erfolgreich ist der Versuch, die Anklagen gegen vier höhere Staatsbeamte fallen zu lassen und das Verfahren auf die Fabrikbesitzer zu beschränken.

Erste Zugeständnisse des Auftraggebers KiK

PILER, NTUF und andere zivilgesellschaftliche Organisationen haben umgehend Widerspruch eingelegt. „Auf Druck von oben versucht die Polizei, die Klagen abzuschwächen“, sagt medico-Partner Nasir Mansoor, „doch wir werden das an den Arbeiterinnen und Arbeitern und ihren Familien verübte Unrecht nicht hinnehmen.“ Zumindest im Ansatz erfolgreich verlaufen auch die Verhandlungen mit KiK, die der zweite medico-Partner PILER führt. Das deutsche Unternehmen hatte zunächst eine Million Dollar Entschädigung angeboten, die Hälfte als Sofortzahlung, die zweite Hälfte später. Nach einer am 5. Januar 2013 veröffentlichten Erklärung PILERs wird das Unternehmen jetzt schon in der ersten Phase eine Million Dollar bereitstellen, um in einer zweiten Phase eine in der Höhe noch unbestimmte weitere Entschädigung zu zahlen. „Nach der Vereinbarung zwischen PILER und KiK“, so medico-Partner Karamat Ali, „wird KiK in der ersten Phase die Familien entschädigen, die keine staatlichen Zahlungen empfangen haben, weil die Leichname ihrer Angehörigen bis zur Unkenntlichkeit verbrannt waren. Außerdem wird KiK Sofortzahlungen an die Brandopfer leisten, die das Feuer zwar überlebt, doch schwere Verletzungen erlitten haben und deshalb bleibend arbeitsunfähig sind. Über die dazu bereitgestellte eine Million Dollar hinaus hat sich KiK zur Zahlung einer zweiten Summe verpflichtet, deren Höhe in Verhandlungen zwischen allen Beteiligten einschließlich der Fabrikbesitzer bestimmt wird.“

Die Hölle von Baldia Town

Tatsächlich geht es hier nicht um einen „Betriebsunfall“. Obwohl die im Industriegebiet Baldia Town gelegene Fabrik insgesamt über 1500 Arbeiterinnen und Arbeiter beschäftigte, war Ali Textile bei den zuständigen Behörden der Provinz Sindh nicht registriert. Das Gebäude war für den Betrieb absolut ungeeignet. Vorgeschriebene Inspektionen durch die Arbeits-, die Energie- und Bauaufsicht haben nicht stattgefunden. Von KiK beauftragte Inspektionen legten Gutachten vor, die der Realität vor Ort schlicht Hohn sprachen, von KiK aber unbesehen akzeptiert wurden. Zum Massengrab wurde Ali Textile, weil die Fenster der mehrstöckigen Anlage vergittert und die Notausgänge verstellt und verriegelt waren. Die Rechte der Belegschaft wurden aber auch in jeder anderen Hinsicht verletzt. Alle Beschäftigten mussten unbezahlte Mehrarbeit von täglich bis zu 12 – 14 Stunden leisten. Die meisten Beschäftigten hatten keinen Arbeitsvertrag, konnten deshalb von einer Stunde auf die nächste gefeuert werden und darüber hinaus weder Beschwerde führen noch Anspruch auf Sozialleistungen erheben. Gewerkschaftliche Organisierung wurde mit allen Mitteln behindert.

Baldia Town ist überall

Wenn die Überlebenden und Hinterbliebenen mit Unterstützung von PILER, NTUF und dem Workers Rights Movement auch jetzt keine Ruhe geben werden, liegt dies auch daran, dass solche Verhältnisse nicht nur bei Ali Textile, sondern schlicht in den meisten Textilfabriken Karatschis herrschen. Wie Ali Textile arbeiten auch für diese Fabriken auf Rechnung und Gewinn international operierender Textilunternehmen. Dazu passt, dass es nur wenige Wochen später, am 24. November, zu einer ganz ähnlichen Brandkatastrophe kam. Diesmal in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeshs, mit diesmal über 100 Toten und über 200 Verletzten. Auch beim bangladeschischen Unternehmen Tazreen Fashions gab es einen ausländischen Profiteur: die auch in Deutschland flächendeckend vertretene Kette C&A. Wiederum bezeichnenderweise ließ auch KiK bei Tazreen Fashions produzieren, hatte sich zum Zeitpunkt des Brands aber schon zurückgezogen.

„2013 wird ein wichtiges Jahr“

Zum Jahreswechsel veranstaltete PILER eine Gedenkveranstaltung, an der viele Betroffene und mehrere in Pakistan bekannte Sänger teilnahmen. Das Workers Rights Movement stimmt alle weiteren Schritte eng mit der weltweit aktiven Clean Clothes Campaign ab. Auch medico wird den Fortgang der Verhandlung mitverfolgen und seine beiden Partner weiter unterstützen. Das gilt auch für den Kampf der NTUF um die Freilassung mehrerer GewerkschaftsaktivistInnen. Die wurden auf Betreiben eines anderen Textilunternehmens in Karatschi, Al-Karam Textiles, von den paramilitärischen „Pakistan Rangers“ verhaftet und in der Haft gefoltert. Dabei haben sie sich gegen Missstände zur Wehr gesetzt, die denen bei Ali Textile und Tazreen Fashions aufs Haar ähneln. Polizei und Justiz werfen ihnen „terroristische Umtriebe“ vor; im November 2012 hat NTUF formell Beschwerde gegen die drohende Aburteilung unter der Anti-Terror-Gesetzgebung eingelegt. Unter solchen Verhältnissen stellen die von den Besitzern, ihrem Auftraggeber KiK und vom pakistanischen Staat eingeforderten Entschädigungszahlungen nur den Ausgangspunkt für andere Forderungen dar. Die nächstliegenden Forderungen betreffen den Brandschutz und die Ausstattung der Fabrikgebäude. Darüber hinaus geht es um die Arbeitsbedingungen im Ganzen und natürlich immer auch um die Durchsetzung des Rechts auf freie gewerkschaftliche Betätigung, das auch in Pakistan Verfassungsrang hat. KiK hat PILER gegenüber auch in diesen Fragen Verhandlungsbereitschaft signalisiert. medico wird das verfolgen und für Transparenz auch in der deutschen Öffentlichkeit sorgen. Das werden auch die pakistanischen und deutsche Medien, darunter das Magazin SPIEGEL und das ARD-Magazin Panorama. Alarmiert sind auch mehrere Abgeordnete des Deutschen Bundestags. „2013 wird ein wichtiges Jahr“, sagt Nasir Mansoor – wir werden ihn und PILER weiter unterstützen.


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