Und jetzt kommt der Winter

Ein Reisebericht zur aktuellen Lage von syrischen Flüchtlingen im Libanon

18.12.2012   Lesezeit: 3 min

In Syrien setzt sich die Eskalation der Gewalt mit verheerenden humanitären Folgen unvermindert fort. Wie dringend Nothilfe augenblicklich nicht nur im Land selbst, sondern auch in den benachbarten Zufluchtssaaten ist, haben zwei medico-Mitarbeiter Mitte Dezember bei einem Besuch in der libanesischen Bekaa-Ebene erlebt.

„Im Vergleich zu Anfang 2012 hat sich die Lage auch hier dramatisch verändert“, erzählt medico-Gesundheitskoordinator Andreas Wulf. Flohen die meisten Flüchtlinge in den Norden des Libanon, sind die Zahlen inzwischen in der nahe gelegenen Bekaa-Ebene explodiert. In einer Kleinstadt in den Bergen an der Grenze zu Syrien wohnen inzwischen neben 35.000 Libanesen 13.000 syrische Flüchtlinge. Offiziell registriert sind im Libanon aktuell mehr als 150.000 syrischen Flüchtlingen. Da viele eine Registrierung nachwievor scheuen, liegt die tatsächliche Zahl weitaus höher. Der „kleine Nachbar“ Libanon ist zum Zufluchtsland Nummer eins geworden.

Vor Ort ist der Zustrom von Schutz- und Hilfesuchenden Menschen unübersehbar geworden. Vielerorts sind auf Feldern oder am Straßenrand improvisierten Behausungen errichtet worden sind, die sich zum Teil zu ganzen Zeltdörfern auswachsen. In den notdürftig errichteten Unterkünften leben ganze Familien dicht gedrängt ohne Zugang zu Wasser und Strom und mit unzureichenden sanitären Anlagen. Auch für die Flüchtlinge, die nicht in Zelten leben, hat sich die Situation dramatisch zugespitzt. Die Kapazitäten sind erschöpft und viele Gastfamilien können sich monatelange zusätzliche Gäste nicht leisten. Und jetzt naht der Winter, in dem die Temperaturen bis unter den Gefrierpunkt sinken und auch wochenlang Schnee liegen kann. In ihrer Verzweiflung versuchen Menschen mit Werbeplanen ihre Behausungen winterfest zu machen.

Einblick in die Notlage haben die medico-Mitarbeiter auch beim Besuch von zwei unterstützen Projekten gewonnen. Im Camp Ein el Hilweh organisiert der Partner Nashet die Verteilung von Lebensmitteln und Hygieneartikeln an syrisch-palästinensische Familien mit kleinen Kindern, die hier Zuflucht gefunden haben. Außerdem bietet er psychosoziale Unterstützung für Kinder und Jugendliche an. „Die Maßnahmen sind gut angelaufen, unsere Partner mobilisieren auch viele freiwillige Helfer, können den wachsenden Bedarf aber nicht decken“, so Nothilfe-Koordinator Wilhelm Hensen.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in zwei Gesundheitszentren der langjährigen Partnerorganisation Amel nahe der libanesisch-syrischen Grenze, die medico ebenfalls mit Spenden unterstützt. Hier sind die monatlichen Konsultationen seit dem Sommer von durchschnittlich 100 auf rund 1.500 pro Monat empor geschnellt. Aufgrund der schlechten Lebensverhältnisse in den Notunterkünften kommen immer mehr Patienten mit typischen Flüchtlingskrankheiten zur Behandlung – Erkältungs- und Durchfallerkrankungen, Hautkrankheiten wie Läuse und Krätze. Selbst einen kleineren Ausbruch von Hepatitis A gab es bereits. medico plant, die Unterstützung für diese Gesundheitszentren sowie eine mobile Klinik weiter aufzustocken und zu verlängern.

Im Vergleich zu seinem letzten Besuch wenige Monate zuvor hat Wulf noch eine einschneidende Veränderung wahrgenommen: „Anfang des Jahres glaubten viele an ein schnelles Ende des Konflikts in Syrien. Diese Hoffnung ist vollständig geschwunden.“ Gewachsen hingegen ist die Ungewissheit über die Zukunft des Landes. Was als kurzfristige Schutzsuche gedacht war, entwickelt sich für zehntausende Menschen zum Aufenthalt auf unabsehbare Zeit. Umso drängender sind der Ausbau und die Verstetigung der Hilfsangebote. Das Szenario von mehreren 10.000 Flüchtlingen in Zeltbaracken im strengen Winter der Bekaa-Ebene treibt nicht nur die medico-Partner vor Ort an. Angeblich, so berichtet Wulf, sind „Contingency-Planungen“ für bis zu 500.000 Flüchtlinge auf dem Weg. Diese Zahl scheint nicht unrealistisch, sollten sich die Kämpfe um die Millionenstadt Damaskus ausweiten.


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