Unten finden Sie zudem die Erklärung von Bamako, mit der das “Westafrikanische Netzwerk für den Schutz der Rechte von Migranten und Asylsuchenden sowie der Freizügigkeit” seine Position zur Migrationspolitik der EU und der afrikanischen Staaten zusammenfasst.
medico: Bislang hat sich die malische Regierung nicht auf ein Rückübernahmeabkommen mit der EU eingelassen. Warum?
Ousmane Diarra: Einerseits gibt es eine enorme Konkurrenz sowohl zwischen den afrikanischen Staaten als auch zwischen afrikanischen Organisationen und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) um die Mittel aus der Europäischen Union. Alle versuchen, es Europa recht zu machen, um an die Gelder zu kommen. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen werben darum und spielen das Spiel mit. Andererseits sind die afrikanischen Regierungen mit dieser Politik nicht einverstanden. Sie machen sich Sorgen um ihre eigene Bevölkerung, die stark auf die Migration angewiesen ist. Menschen, die zurückgeschoben werden, sind in der Regel vollkommen mittellos. Daran hat niemand Interesse. Insofern wächst der Druck aus der eigenen Bevölkerung, den Forderungen der EU nach Abschiebeerleichterungen nicht nachzugeben. Zumindest bis zu den anstehenden Präsidentschaftswahlen hat der Druck aus der Bevölkerung in Mali durchaus Gewicht.
Wie schätzt du die Programme zur „freiwilligen“ Rückkehr ein, die derzeit forciert werden? Gibt es Migranten, die davon profitieren könnten?
Es gibt eine kleine Gruppe von Migranten, die wirklich zurückkehren möchten. Ich nenne das „gewünschte freiwillige Rückkehr“. Für diese Menschen, die vielleicht in schwierigen Situationen sind, können diese Mittel ein Segen sein. Aber wir beobachten, dass bei einem Großteil der vermeintlich freiwilligen Rückführungen nicht von Freiwilligkeit gesprochen werden kann. Die Menschen werden teilweise sogar belogen und erpresst, damit sie zurückgehen. Darin liegt eine große Gefahr. Man kann von „freiwilliger Rückkehr“ nur dann sprechen, wenn keine „Sensibilisierung“ und keine „Aufklärungskampagne“ gemacht wird, was manchmal einer Gehirnwäsche gleichkommt. Wenn also die Leute eine echte freie Entscheidung treffen – und zwar von sich aus. Tatsächlich wird den Leuten aber erzählt, es gebe Reintegrationsmaßnahmen nach ihrer Rückkehr, und es wird ihnen vorgegaukelt, dass sie über längere Zeit Unterstützung bekommen. Das ist aber nicht der Fall.
Kennt Ihr aus Eurer Arbeit Fälle, in denen Rückkehrern etwas versprochen wurde, was dann nicht erfüllt wurde?
Wir haben ein Programm für Migrantinnen und Migranten entwickelt, die von der sogenannten freiwilligen Rückkehr enttäuscht wurden – denen man falsche Versprechungen gemacht hat und die besonders stark unter der Rückkehr leiden. Einige zerbrechen daran und tragen psychosoziale Schäden davon. Unsere Motivation ist, einen „Fall ins Nichts“ aufzufangen, den eine Rückkehr für viele bedeutet. Wir sind gut ausgebildet im Bereich der psychosozialen Begleitung und in der Soforthilfe. Das ist für uns Routine. Wir können aber längst nicht allen Betroffenen helfen. Unsere Ressourcen sind angesichts der Dramen, die so viele Menschen erleben, sehr begrenzt. Häufig können wir nur zusehen, wie erschöpft und traumatisiert die Leute sind. Die meisten sind zunächst völlig verloren. Sie wissen nicht, wie sie vor Ort neu beginnen sollen. Ihnen fehlt das Geld, selbst um über die ersten Tage zu kommen. Der malische Staat tut nichts, um diese Leute aufzufangen. Wir tun, was wir können, um die Menschen zumindest wieder in ihr soziales Umfeld zu reintegrieren und aus der Isolation zu holen.
Wie viele Zurückgekehrte brechen wieder auf?
95 Prozent würden wieder migrieren, wenn sie könnten. Es fehlen ihnen jedoch einfach die Mittel. Viele haben ihre Leben woanders aufgebaut. Sie haben dort ihre Bezüge, aber keine Kontakte mehr in Mali. Es gibt sogar Einzelfälle, in denen es Menschen gelingt, nach einer Abschiebung wieder mit einem Visum nach Europa zurückzukehren. Ich erinnere mich an einen Mann, der sich wirklich durchgekämpft hat. Er wurde 2008 aus Frankreich abgeschoben und hat seither um eine legale Rückkehr gekämpft. 2016 erhielt er endlich ein Visum und konnte offiziell und sicher mit Air France einfliegen.
Ist die Beobachtung richtig, dass die AME seit einiger Zeit mehr Aufmerksamkeit seitens europäischer Regierungsvertreterinnen und -vertreter bekommt? Zum Beispiel habt ihr Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in Mali getroffen.
Im Rahmen unserer Arbeit bemühen wir uns schon immer, im Kontakt mit Botschaften, Institutionen und auch mit unserer eigenen Regierung zu sein. Einfach um besser zu verstehen, wie Migrationspolitik entsteht und beeinflusst wird und welche Herausforderungen und Risiken es gibt. Es ist also eine alte Praxis, die wir fortsetzen. Im Falle des deutschen Außenministers war es die AME, die auf die Botschaft zugegangen ist, weil Deutschland plante, 400 Malier abzuschieben. Wir wollten wissen, warum sie abgeschoben werden sollten und was mit ihnen geschehen wird. In gewisser Weise übernimmt die AME Tätigkeiten, die eigentlich Journalistinnen und Journalisten leisten müssten: Dinge herausfinden, investigative Rückfragen an Institutionen stellen. So etwas gibt es aber in Mali nicht.
Du wurdest als Präsident der AME kürzlich vom Auswärtigen Amt zu einer Deutschlandreise eingeladen. Worum ging es dabei?
Ich habe immer viele kritische Fragen gestellt, die mir der Botschafter und andere Gesprächspartner aber nicht beantworten konnten oder wollten. Deshalb wurde ich schließlich nach Deutschland eingeladen. Diese Reise war so angelegt, dass die Bundesregierung versucht hat, afrikanischen Journalisten ein Bild davon zu vermitteln, wie gastfreundlich Deutschland ist und welche positiven Ansätze in der Migrationspolitik verfolgt werden. Die Kernbotschaft aber war: „Wir können und wollen nicht alle aufnehmen und wir sind gegen jegliche Form irregulärer Migration.“
Das Interview führte Ramona Lenz.
Als Selbstorganisation von Abgeschobenen bietet die AME psychosoziale Begleitung für Zurückgekehrte in Mali und unterstützt sie bei der schwierigen Reintegration. Zugleich setzen sich die Aktivistinnen und Aktivisten der Organisation gegen Abschiebungen aus Europa und für das Recht auf Freizügigkeit ein. Bei von medico unterstützten Netzwerktreffen tauscht sich die AME mit anderen Organisationen Westafrikas über die Auswirkungen der EU-Migrationspolitik und mögliche zivilgesellschaftliche Interventionen aus.
Spendenstichwort: Flucht und Migration
Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 3/2017. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. <link verbinden abonnieren>Jetzt abonnieren!
Deklaration von Bamako
medico-Partner AME ist Mitunterzeichner der Erklärung von Bamako, mit der das Westafrikanisches Netzwerk für den Schutz der Rechte von Migranten und Asylsuchenden sowie der Freizügigkeit seine Positionen zur Migrationspolitik der EU und der afrikanischen Staaten:
Wir, Organisationen der afrikanischen Zivilgesellschaft und der Diaspora, sind zutiefst besorgt über die Migrationspolitik, die auf Druck der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten umgesetzt wird. Diese Politik ist exklusiv und verfolgt ausschließlich die Sicherheitsinteressen Europas. Sie steht im Widerspruch zu den Interessen der afrikanischen Bevölkerung und der Migrantinnen und Migranten und hat fatale Auswirkungen auf die Freizügigkeit sowohl auf internationaler Ebene als auch auf dem afrikanischen Kontinent.
Die unterzeichnenden Organisationen verurteilen nachdrücklich:
• den Plan, Selektionszentren (sogenannte Hotspots) auf unserem Kontinent einzurichten, die die Rechte der Asylsuchenden verletzen;
• eine europäische Migrationspolitik, die zu einem Massensterben auf den Migrationsrouten beiträgt, dessen Hauptopfer unsere Jugend ist;
• den Druck der EU auf afrikanische Regierungen, Abkommen zu unterzeichnen, die im totalen Widerspruch zu den Interessen der afrikanischen Bevölkerung stehen;
• eine EU-Politik, die die bislang in verschiedenen Regionen Afrikas herrschende Freizügigkeit mit der Einführung innerafrikanischer Grenzschutzmaßnahmen untergräbt.
Wir fordern von unseren Staaten:
• die Anerkennung, dass Migration ein Grundrecht ist;
• keine Vereinbarungen mit Ländern der EU zu unterzeichnen, die diesem Grundrecht widersprechen;
• die Interessen der afrikanischen Migrantinnen und Migranten innerhalb und außerhalb Afrikas zu vertreten;
• eine echte afrikanische Politik zugunsten der Bürgerinnen und Bürger Afrikas zu verfolgen, die Migranten und vor allem Migrantinnen sowie die Rechte ihrer Kinder stärkt, ob sie sie begleiten oder nicht;
• auf die Entstehung einer echten afrikanischen Migrationspolitik hinzuarbeiten, die die positive Rolle der Migrantinnen und Migranten anerkennt und ihnen Rahmenbedingungen bietet, die ihre Würde und ihre Bedeutung als Träger der Entwicklung fördern.
Bamako, den 29.8.2017
Réseau Ouest Africain pour la Protection des Droits des Migrants, des demandeurs d’Asile et de la Libre Circulation (Westafrikanisches Netzwerk für den Schutz der Rechte von Migranten und Asylsuchenden sowie der Freizügigkeit)