Sicherheitspolitische Überlegungen machen von sich reden, die das Zeug haben, nachhaltigen Unfrieden zu stiften. „Vernetzte Sicherheit“ nennt sich das 2006 vom Bundesverteidigungsministerium formulierte Konzept, militärisches Handeln künftig systematisch mit zivilem zu verknüpfen. Seit sich Dirk Niebel, der neue Entwicklungshilfeminister, diese Ideen Anfang des Jahres zu eigen gemacht hat und neben der staatlichen Entwicklungspolitik auch die Arbeit von entwicklungspolitisch tätigen Hilfsorganisationen einer „vernetzten Sicherheit“ unterordnen will, wächst der Unmut. Nicht nur Hilfswerke, sogar Militärs – wenn auch hinter vorgehaltener Hand – äußern Unbehagen und Kritik.
Bundeswehrleitlinien
Statt Entwicklung nun Sicherheit? Es lohnt der Blick auf das, was mit dem neu-en sicherheitspolitischen Konzept gemeint ist. Das aktuelle „Weißbuch“ der Bundeswehr zur Sicherheitspolitik Deutschlands definiert „vernetzte Sicherheit“ als Leitlinie zur Umgestaltung der Bundeswehr, die nicht mehr alleine auf Landesverteidigung abgestellt wird, sondern auch internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung einschließlich des Kampfes gegen den Terrorismus leisten soll. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist fraglos ein legitimes Bedürfnis. Die Garantie der körperlichen Unversehrtheit, der Schutz vor Raub, die Rechts sicherheit, ein Leben in Frieden und größtmöglichem Glück – all das sind fundamentale Menschen rechte, deren Realisierung und Sicherstellung wichtige gesellschaftliche Aufgaben darstellen. Wer wäre nicht für Sicherheit? Den Autoren des „Weißbuch“ aber geht es nicht um einen solchen universellen Begriff von Sicherheit. Ausgangspunkt des neuen Konzeptes ist das partikulare Interesse, die Sicherheit Deutschlands gegen Bedrohungen von außen zu verteidigen. Auch Auslandseinsätze dienen diesem Ziel, wie der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck unmissverständlich klar gestellt hat: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Mit Blick auf die „Struck-Doktrin“ sollte jeder, der von Sicherheit redet, auch sagen, um wessen Sicherheit es geht und zu wessen Lasten diese verteidigt werden soll.
Als 2001 im Bundestag über die Entsendung von Truppen nach Afghanistan debattiert wurde, ging es allein um die Solidarität mit dem Bündnispartner USA. Mögliche Sicherheitsbedürfnisse der afghanischen Bevölkerung wurden erst thematisiert, als die militärische Intervention einer durchaus skeptischen Öffentlichkeit nahegebracht werden sollte. Mit einem Mal standen die Rechte afghanischer Mädchen und Frauen im Vordergrund, die die offizielle Politik zuvor nicht sonderlich interessiert hatten: Um Mädchen den Schulbesuch zu ermöglichen, müssten Soldaten entsandt werden. Ohne die Schaffung eines sicheren Umfeldes keine Entwicklung. Inzwischen hat sich der Rechtfertigungsnebel gelegt und niemand, der klaren Verstandes ist, würde heute noch behaupten, die NATO sei so etwas wie der bewaffnete Arm von amnesty international. Geblieben aber ist das Mantra: ohne Sicherheit keine Entwicklung.
Entwicklung und Frieden
Es ist noch gar nicht so lange her, da galt genau das Gegenteil. Noch in der 1980er Jahren stand außer Frage, dass Frieden nur dort gedeiht, wo soziale Entwicklung in Gang gekommen ist. Wohlgemerkt: es ging damals um Entwicklung und Frieden, nicht um Entwicklung und Sicherheit. Die Idee des Friedens zielt auf Ubiquität; Sicherheit dagegen ist immer exklusiv. Entwicklung drängt auf Veränderungsprozesse, die auch das Eigene tangieren; Sicherheit dagegen kann sich mit der Stabilisierung des Status quo begnügen, um Vormacht und Privilegien zu verteidigen. Die Fokussierung auf Sicherheit wird im Allgemeine mit der Zunahme der Bedrohungen begründet, die in der Welt auszumachen sind. Tatsächlich haben sich die globalen Verhältnisse im Zuge der weltweiten Entfesselung des Kapitalismus verändert, was auch den Profiteuren der Globalisierung nicht verborgen geblieben ist. Eine Ende der 1990er Jahre vom USamerikanischen National Intelligence Council in Auftrag gegebene Studie macht gleich mehrere „Global Trends“ aus, die allesamt den Status quo bedrohen würden: An erster Stelle nennt die Studie das anhaltende Bevölkerungswachstum, gefolgt von einem steigenden Energieverbrauch, die immer prekärer werdende Wasserknappheit, die Zunahme des Hungers, die Verstädterung, selbst die Finanzkrise hatten die sicherheitspolitischen Experten bereits prognostiziert.
Gefahr aus dem Süden
Bemerkenswert ist, dass solche Studien entweder gar nicht oder nur am Rande den Blick auf die Interessen des globalen Nordens richten. Nicht die milliardenschweren Agrarexportsubventionen mit ihren fatalen Auswirkungen auf die Lebensumstände afrikanischer Bauern gelten als Bedrohung für die globalen Verhältnisse, sondern das, was aus der billigend in Kauf genommenen Vernichtung von Lebensgrundlagen resultiert: der Bevölkerungsdruck, die Migration, die Verstädterung. Nicht im extensiven Trawlerfischfang vor der somalischen Küste sieht man das Problem, sondern darin, dass sich die in ihrer Existenz bedrohten Fischer nur noch mit Mitteln der Piraterie zu helfen wussten. Nicht in der Zerstörung der afghanischen Wirtschaft durch eine von außen aufgezwungene Öffnung der Märkte vermutet man den Grund für die wachsende Unzufriedenheit der afghanischen Bevölkerung, sondern darin, dass diese womöglich einfach nicht reif genug sei für die Demokratie.
Da die Ursachen für die Bedrohungen sozusagen allesamt im Süden selbst ausgemacht werden, kreisen die Überlegungen, wie ihnen zu begegnen ist, auch nur um interventionistische Politik – um punktuelle Gefahrenabwehr vor Ort, nicht aber um die Korrektur der globalen Verhältnisse. „Entwicklungszusammenarbeit, Finanz- und Handelspolitik, Menschen rechtspolitik, Polizei und Militär – über eine so breit angelegte Kombination von Mitteln zur Krisenbewältigung verfügt kaum ein anderer sicherheitspolitischer Akteur (als die EU)“, sagte Joschka Fischer 2003 und fügte hinzu: „Dieses mehrdimensionale Spektrum von Instrumenten ist gerade deshalb wichtig, weil wir wissen, dass die neuen Bedrohungen nicht allein mit militärischen Mitteln bewältigt werden können.“
Zweierlei wird in solchen Argumentationen deutlich: einerseits die Idee der Verzahnung von militärischen mit zivilen Mitteln, andererseits – sozusagen als Voraussetzung dafür – die Neubestimmung von Entwicklungszusammenarbeit und selbst Menschenrechtspolitik als Instrumenten von Sicherheitspolitik. Beide verlieren dabei den Charakter eigenständiger Politikbereiche; sie werden dem Diktat von Sicherheitspolitik untergeordnet. Die Konsequenzen einer solchen „Versicherheitlichung von Politik“ sind erheblich. Denn wenn Politik nicht mehr dem Ziel der Gestaltung eines menschenwürdigen Zusammenlebens folgt, sondern nur noch Gefahrenabwehr betreibt, dann liegt die Militarisierung von Außenpolitik ebenso nahe wie zugleich auch militärisches Handeln politisch normalisiert wird. Wenn sie nicht „out of business“ gehen wolle, müsse die NATO „out of area“ gehen, verlangte vor Jahren der republikanische Senator Richard Luger. Seitdem rüsten Streitkräfte für das, was im US-Jargon „Military Operations other than war“ genannt wird: z.B. für militärisches Peacekeeping oder die Unterstützung lokaler Behörden bei der Bewältigung von Krisen. Die Spannbreite solcher Interventionen reicht von Afghanistan bis zur Entsendung von Truppen ins erdbebenzerstörte Haiti.
Auch die zivile Seite stößt ins selbe Horn. Um Armut zu bekämpfen und die Leute in der Welt vor Drogenhandel, Krankheiten und Terrorismus zu schützen, müsse Hilfe künftig mit militärischem Handeln kombiniert werden, verlangte 2003 die Weltbank. Wenig später, 2006, kündigte die Britische Entwicklungsbehörde (DIFD) an, die Notwendigkeit einer Kooperation mit den Militärs stärker in Betracht zu ziehen. Entwicklungshelfer sollten ihre Samthandschuhe ausziehen, empfahl 2008 der damalige Bundeswehr- Generalinspekteur Naumann. Höchst aufschlussreich ist, wie sich diese Debatte in der Mittelvergabe niedergeschlagen hat: Zwischen 2002 und 2005 stieg in den USA der Anteil des Pentagon an der US-Auslandshilfe von 6 auf 22 Prozent. Deutlich wird in solchen fiskalischen Verschiebungen, was Kritiker der Vernetzung von Sicherheit und Entwicklung befürchtet haben. Es geht nicht um Vorrang fürs Zivile, sondern um dessen Unterordnung unter das Militärische.
Sicherheitsimperialismus
Schritt für Schritt weicht der utopische Überschuss, der noch in der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte zum Ausdruck kam, einem nachutopischen Pragmatismus, der nichts mehr verändern will, sondern nur noch darum bemüht ist, den Status quo zu sichern. In dem Maße aber, wie die strukturelle Ungleichheit konstant gesetzt wird, verkümmert Krisenbewältigung zu einer Art Sicherhei tsimper ial ismus, der von der profanen Frage angetrieben wird, wie man sich diejenigen, für die es in der globalisierten Welt keinen Platz zu geben scheint, die nicht systemrelevant sind, vom Leib halten kann. So hart dies klingt: genau darin liegt der latente Gehalt des heutigen Sicherheitsdiskurses. Die Botschaft, die in der öffentlichen Fokussierung auf Sicherheit mitschwingt, ist ebenso populär wie perfide. Weil die Welt in Chaos und Gewalt zu versinken droht, gilt es, wachsam und wehrbereit, notfalls auch auf eigene Rechte und die der anderen zu verzichten.
Es ist das Gefühl permanenter Unsicherheit, das schließlich eine Politik zulässt, die sich nicht mehr am bestehenden Recht orientieren muss. Das Recht ist normativ und lässt kaum Spielraum für politische Opportunitätserwägungen. Sicherheit dagegen ist immer subjektiv und deshalb auch offen für Panik- und Moralkampagnen. Die Ersetzung eines auf universellen sozialen Rechten basierenden entwicklungspolitischen Diskurses durch einen Diskurs, der sich um partikulare Sicherheitsinteressen dreht, lässt es schließlich, zu bestehendes Recht zu beugen. Das war im Irak-Krieg der Fall, der mit der Angst vor Massenvernichtungswaffen begründet wurde, die am Ende doch nie aufgefunden wurden. Das gilt für Guantánamo, die Operation Enduring Freedom, die geheimen CIA-Flüge über Deutschland und die in Frankfurt laut gewordene Debatte über die Zulässigkeit von Folter, obwohl das Verbot von Folter im Völkerrecht als absolut gesetzt ist.
Vernetzt
Auch das zweite Wort im Konzept der „vernetzten Sicherheit“ ist nicht ohne. Zwar gelten Vernetzungen als „in“, weil mit ihnen Zugänge und Synergien verbunden werden, doch sind Vernetzungen keineswegs eine egalitäre Veranstaltung, die frei von Hierarchien und Machtinteressen wäre. All das Gerede von „Kooperationen auf Augenhöhe“ entpuppt sich als ein höchst ideologisches Bemühen, wenn man der Spinne nachspürt, die das Netz kontrolliert.
Es sind mehrere Gründe, warum Hilfsorganisationen nicht systematisch und auf Augenhöhe mit Militärs zusammenarbeiten können. Beide Akteure haben prinzipiell unterschiedliche Mandate und verfolgen auch divergierende Strategien. Zudem können sich Militärs aus nahe liegenden Gründen nie vollends in ihre strategischen Planungen hineinschauen lassen. Unter solchen Umständen kann es zwar Gespräche, den diskursiven Austausch und sporadische Formen gegenseitiger Unterstützung geben, nicht aber eine geregelte Zusammenarbeit. Letztere führt zwangsläufig zur Instrumentalisierung des Zivilen für militärische Zwecke.
Wenn in Afghanistan Soldaten Brunnen bohren, dann tun sie das nicht um den Krieg zu zivilisieren, sondern um die Effektivität des militärischen Handelns zu steigern. Erklärtes Ziel ist die Vergrößerung des soldatischen Aktionsradius, die Informationsbeschaffung und der Schutz der Truppen vor Übergriffen. Entwicklungspolitische Überlegungen spielen dagegen keine oder nur eine nachgelagerte Rolle.
Im Gegenteil: Weil das Ansehen der Truppen in der lokalen Bevölkerung unmittelbar erhöht werden soll, müssen „Hearts and Minds“-Strategien rasch zum Erfolg kommen. Es fehlt die Zeit, Projekte gemeinsam mit den Menschen zu planen und in lokaler Ownership umzusetzen. Notwendig ist der Quick Impact, auch wenn darunter die Nachhaltigkeit leidet. Denn Quick-Impact-Projekte tendieren dazu, von außen übergestülpt zu werden, wobei genau jene Eigenständigkeit gefährdet wird, die entwicklungspolitisch beabsichtigt ist.
Hilfe als nichttödliche Waffe
Hinzu kommen die Gefahren, denen Hilfsorganisationen aufgrund der Vermischung von zivilem mit militärischem Handeln ausgesetzt sind. 2009 zählte das regierungsunabhängige Afghanistan NGO Safety Office 172 Übergriffe auf Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. 19 Aufbauhelfer, alle lokale afghanische Mitarbeiter, kamen dabei ums Leben. Die Risiken, denen sich Mitarbeiter von Hilfsorganisationen aussetzen, haben zugenommen seitdem die US-Truppen auf Counterinsurgency setzen. Der Bau von Schulen und Krankenstationen, das Räumen von Minen, die Förderung landwirt schaftlicher Alternativen zum Drogenanbau – all das gilt US-Militärs heute als Teil von Aufstandsbekämpfung. Zu welch abstrusen Blüten sich ein solches Denken aufschwingen kann, belegt ein kürzlich publik gewordenes US Field Manual mit dem Titel Commanders Guide to Money as a Weapon System.
Wer Hilfe als nicht-tödliche Waffe betrachtet, richtet die Vergabe von Mitteln nicht mehr an den Bedürfnissen von Menschen aus, sondern an eigenen Sicherheitsinteressen, vielleicht noch an der Loyalität der Leute gegenüber den Streitkräften. Und so überrascht es nicht, dass in Afghanistan heute das Gros der Hilfen in jene Landesteile fließt, die strategisch von Interesse sind, während vergleichsweise ruhige Provinzen, wie das Hazarajat, wo doch eigentlich ein sicheres Umfeld für den Wiederaufbau bestünde, weniger von Hilfen profitieren.
Angesichts der Armut, die in Afghanistan herrscht, gibt es zur Hilfe von außen oftmals keine Alternative. Dass sie dennoch vielerorts nicht mehr geleistet werden kann, ist nicht zuletzt die Folge ihrer Instrumentalisierung für militärische Zwecke. Damit hat eine bemerkenswerte Umkehrung dessen stattgefunden, was all die Jahre zur Rechtfertigung des Afghanistan- Einsatzes öffentlich bekundet wurde: Die Entsendung von Truppen dient nicht mehr dazu, ein sicheres Umfeld für den Wiederaufbau zu schaffen, vielmehr sind es die zivilen Maßnahmen, die nun zur Absicherung des militärischen Handelns beitragen.
Autor: Thomas Gebauer