Menschenrechtsverletzungen gegen Migranten können nur gestoppt werden, wenn die Kriminalisierung der Migration beendet wird. Von Marta Sánchez, Koordinatorin unserer Partnerorganisation Movimiento Migrante Mesoamericano, die seit 2006 Karawanen von Menschen aus Zentralamerika organisiert, die in Mexiko nach ihren in der Migration verschwundenen Angehörigen suchen.
Seit dem Jahr 2000 kommen immer wieder kleine Gruppen von Müttern aus Mittelamerika nach Mexiko, um nach ihren verschwundenen Töchtern und Söhnen zu suchen. Sie fanden in Mexiko kein Gehör. Deshalb unterstützen wir die Angehörigen von Mexiko aus seit 2006 mit organisierten Karawanen. An erster Stelle geht es um den Wunsch der Mütter, ihre geliebten Kinder zu finden. Aber ihnen und uns geht es auch darum, dass der Gewalt Einhalt geboten wird. Die Straffreiheit muss bekämpft werden. Wenn niemand zur Rechenschaft gezogen wird, werden sie oder andere Mütter immer weiter nach Angehörigen suchen müssen.
Wir haben nicht nur eine humanitäre, sondern auch eine politische Mission. Wir protestieren gegen unsere Regierung und die Regierungen aller Länder. Nicht nur wegen der Übergriffe gegen Migranten und Migrantinnen im Transit, sondern auch weil es überhaupt zu erzwungener Migration kommt. Was passiert in unseren Ländern, einschließlich Mexikos, dass Menschen ihre Lebenswelten verlassen und sich unter extrem prekären Bedingungen auf diesen ungewissen Weg machen müssen?
Vor wenigen Tagen haben wir in San Fernando eine Gedenkveranstaltung abgehalten. Genau dort, wo vor über einem Jahr 72 Migranten und Migrantinnen auf grauenhafte Weise umgebracht wurden. Mexiko ist heute sicher eines der gewalttätigsten Länder der Welt - aber überall auf der Welt müssen Mütter nach ihren verschwundenen Kindern suchen. Denn weltweit werden die Schrauben gegen die Migration enger gezogen. Überall nimmt die Tendenz der Kriminalisierung von Migranten und Migrantinnen zu. Und das drängt sie auf Routen, die sie der organisierten Gewalt ausliefern. Die Verschärfung der Migrationsgesetze und die zunehmende Abschottung der Grenzen zwingen sie, „Profis“ in Anspruch zu nehmen. „Profis“ der organisierten Kriminalität, die die Routen des Drogenhandels, des Menschenhandels und der Klandestinität kontrollieren.
Überall in Mexiko haben wir Menschen getroffen, deren Familienangehörige - unabhängig von Migrationsbewegungen - Opfer brutaler Gewalt geworden sind. Wir frühstückten in einer kirchlichen Tagungsstätte. Die Köchin begann zu weinen und umarmte uns, weil ihr Sohn vor zwei Monaten ermordet wurde. Auf den Plätzen, wo wir unsere Aktionen durchführten, trafen wir trauernde Mütter, die ebenfalls nach ihren Töchtern und Söhnen suchen. Wir begegneten Menschen aus Mexiko, die sich nun ebenfalls organisieren, um ihre verschwundenen Angehörigen zu suchen. Allerorten taucht das Problem auf. Wir fragen uns: Was denken sich die Verantwortlichen? Wie lange kann ein Land ein Problem dieser Größenordnung aushalten?
Wir können nur eines tun: Die Missstände öffentlich machen und zur Anklage bringen; Aktionsformen finden, die das System zwingen anzuerkennen, was geschieht, und wenigstens in Teilen etwas zu verändern. So können sie nicht weitermachen, sie müssen etwas verändern.
Projektstichwort
Gesundheitliche Menschenrechtsarbeit ist heute unweigerlich mit Kriminalisierung und der Ausbeutung der Migration konfrontiert. In Zentralamerika sind die Rücküberweisung ein Wirtschaftsfaktor und die Gewalterfahrungen der Menschen auf dem Weg nach Norden ein düsterer Schatten über dem Leben ganzer Familien. medico hat deshalb die Projektarbeit in diesen Bereich begonnen auszuweiten. Das oben beschriebene Movimiento Migrante Mesoamericano, das den vielfältigen Verbrechen zivilen Widerstand entgegensetzt, unterstützt medico genauso wie die Gesundheitsarbeit in der „La 72“ in Tenosique. Spenden werden erbeten unter dem Stichwort: Migration.